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Chef eines Gameentwicklers
Der Mann, der neue Welten erschafft

Computerspiele wie "Destiny 2" sind für Kinder heute das, was für Eltern und Großeltern der Spielplatz war.
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Es passiert ja wirklich nicht oft, dass ein Mensch, dem man noch nie in seinem Leben begegnet ist, einem beim Videogespräch mit Tränen in den Augen gegenübersitzt – erst recht nicht, wenn es der Chef eines erfolgreichen Videospielherstellers ist, der gleich Werbung machen könnte für die Fortsetzung seines bedeutsamsten Produkts. Natürlich wird Bungie-Chef Pete Parsons später über das Computerspiel «Destiny 2» sprechen und über seine Firma, die seit der Trennung von dem Spiele-Publisher Activision autonom agiert, doch nun geht es erst mal um, wie er lachend und weinend gleichzeitig sagt: «Geschichten, die ich nicht erzählen kann, ohne zu heulen».

Sie machen das einmal pro Woche bei Bungie: sich herzerwärmende Geschichten erzählen. Es kann ein krebskrankes Kind sein, dessen Wunsch es ist, bei Bungie die Entstehung eines Computerspiels vor Ort zu sehen. Oder eine Frau in England, die vor dem Ersticken bewahrt wurde, weil ein Online-Mitspieler die Polizei gerufen hatte. Oder diese Freundschaft von Parsons zu jemandem in München: «Er nennt sich online Jack. Wir sind uns nie begegnet und waren einander nie näher als 5000 Kilometer, doch ist er einer meiner engsten Freunde. Wir können uns alles sagen, ich würde alles für ihn tun. Die einzige Gemeinsamkeit, die wir haben, ist ein Computerspiel.»

Ist es nicht genau das, worüber die Leute debattieren, nicht erst seit der globalen Pandemie, aber seither noch intensiver? Wie wird das sein, wenn analoge und digitale Welt immer mehr verschmelzen? Wenn Kinder einem mitteilen, dass der Spielplatz von damals heutzutage nun mal Online-Videospiele wie «Destiny 2», «Fortnite» oder «Minecraft» sind? Wenn sie fordern, Begriffe wie Freundschaft neu zu definieren, und dass die Beziehung zu einem, der am anderen Ende der Welt hockt und den man noch nie getroffen hat, genauso intensiv sein kann wie eine mit dem Nachbarn, den man jeden Tag sieht?

Man kann das als Humbug abtun oder als Vorboten einer Gesellschaft, wie sie in düsteren TV-Utopien wie «Black Mirror» gezeichnet wird: der Mensch als einsamer Egomane, der für ein paar weltfremde Milliardäre strampelt und dem vorgegaukelt wird, dass er doch gar nicht alleine sei – er könne ja jederzeit online mit anderen kommunizieren. Man kann aber auch mal Leuten wie Parsons zuhören, der sagt: «Die Herkunft ist egal, das Geschlecht, der Wohnort. Wichtig ist doch: Es gibt jemanden, den ich mag, der mir wichtig ist, mit dem ich gemeinsame Erfahrungen mache – von denen es einige gibt, an die ich mich bis an mein Lebensende erinnern werde.»

Bitte nicht falsch verstehen: Bei der «Destiny»-Franchise, deren erste Folge im September 2014 auf den Markt gekommen ist, handelt es sich um einen First-Person-Shooter. Die Geschichte spielt 1000 Jahre in der Zukunft, die Menschen haben während einer Blütezeit die Planeten des Sonnensystems besiedelt, es scheint der Höhepunkt der Zivilisation zu sein. Dann gibt es indes Angriffe mehrerer Alien-Gruppen, die fast alles zerstören. Der Spieler schlüpft in der letzten Stadt auf der Erde in die Rolle sogenannter Guardians und versucht, vereinfacht ausgedrückt, Ausserirdische sowie eine finstere Macht abzuwehren, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern.

Der Unterschied zu vielen anderen First-Person-Shootern, und auch der Grund, warum es nur etwa sechs Stunden dauert, die Handlung der Erweiterung «Beyond Light» zu spielen: Es ist die erste Folge einer Trilogie, die in den kommenden Jahren veröffentlicht werden soll, und es geht Parsons weniger darum, eine Geschichte voranzutreiben, als vielmehr eine Welt zu erschaffen. «Ich verrate jetzt mal die drei Zutaten eines Bungie-Spiels», sagt er und grinst, wie ein Mensch grinst, der weiss, dass er nicht wirklich ein Firmengeheimnis verraten wird: «Erschaffe eine Welt, in der sich Leute aufhalten wollen. Gib den Leuten in dieser Welt was zu tun, das ihnen Spass macht. Und dann vergiss nie: Alles, was man so tut, macht mit Freunden umso mehr Spass.»

«Wir spornen die Leute an, einander kennenzulernen»

Er vergleicht «Destiny 2» weniger mit anderen Videospielen als vielmehr mit einem Golfplatz: Man will schon was für sich selbst erreichen, aber man hilft sich zum Beispiel gegenseitig bei Technik oder Analyse des Platzes, vor allem aber gratuliert man sich, wenn dem anderen ein grandioser Schlag gelungen ist – und nicht zu vergessen: Wie oft redet man beim Golfspielen nicht übers Golfspielen, sondern über so ziemlich alles andere? «Wir haben festgestellt, dass sich Spieler darüber unterhalten, was in der Welt los ist: Sportereignisse, Oscar-Verleihung, Politik», sagt Parsons, und wer das nicht glaubt, der sollte am Kinderzimmer lauschen, worüber Kinder reden, wenn sie vermeintlich nur zocken.

Das führt natürlich zu der Frage: Wie erreicht man bei einem Online-Videospiel dieses sogenannte «Non-Toxic Environment»? Auf gut Deutsch: ein Klima, das nicht vergiftet ist, schliesslich sind die Online-Versionen vieler Spiele bekannt dafür, dass dort geflucht, gepöbelt, gedroht wird.

Es gibt bei Bungie eine Abteilung unter der Leitung der Designerin M. E. Chung (die davor an Spielen wie «Tomb Raider», «Halo» und «Bioshock» gearbeitet hat), die sich fast ausschliesslich ums Zusammenspiel der Nutzer kümmert. «Wir spornen die Leute an, einander kennenzulernen und einander zu helfen. Das können einzelne Missionen sein, die man nur gemeinsam schafft – oder Live-Events, die darauf abzielen, dass Leute zusammenkommen. Ist das nicht herrlich, wenn man jemandem drei Stunden lang hilft, ein Ziel zu erreichen – und dann zu beobachten, wie es gelingt?» Er sagt noch einmal, weil es ihm gar so wichtig ist: «Alles, was man tut, macht mit Freunden umso mehr Spass.»

All das hat freilich auch mit der Firmengeschichte von Bungie zu tun: Das Unternehmen hatte nach einigen Erfolgen zu Beginn des Jahrtausends den Mega-Kracher «Halo» entwickelt und in Zusammenarbeit mit Microsoft nicht nur Massstäbe für Computerspiele gesetzt, sondern auch massiven finanziellen Erfolg gehabt – von den ersten drei Teilen wurden insgesamt mehr als 28 Millionen Exemplare verkauft. Danach folgte die Trennung von Microsoft («Halo» ist dort weiter höchst erfolgreich), um unabhängig ein neues Spiel zu entwickeln: «Destiny», als Publisher war Activision zuständig. Auch das war erfolgreich, die Trennung erfolgte im Januar 2019, diesmal behielt Bungie die Rechte am Spiel.

Auf die Parsons-Analogie mit dem Golfspielen übertragen: Bungie hat einen Golfplatz gebaut und dann Microsoft überlassen, das daraus einen megalomanischen Freizeitpark erschuf. Daran ist überhaupt nichts verkehrt, aber es war nicht, nun ja, Bungie. So ähnlich war es dann auch bei «Destiny», als sich Bungie lieber um Spielspass auf dem Grün kümmern wollte als darum, wie der Hummer im Klubhaus schmeckt. «Activision war ein grossartiger Partner», sagt Parsons: «Es war aber wichtig für uns, kreativ unabhängig zu sein.» Es ist freilich auch bekannt, dass sie bei Activision nicht unbedingt daran geglaubt haben, dass drei Fortsetzungen von «Destiny 2» lohnenswert seien.

Das ist nun bei der Erweiterung «Beyond Light» zu sehen: Sie haben, wenn man so will, das Restaurant im Golfklub entfernt; dafür aber dieses dritte Loch, das den Spielern so gefallen hatte, wieder aufgebaut – und dazu ein paar weitere Löcher eingeführt, die Fans der ersten Stunde gefallen dürften. Es ist ein Platz, auf dem man gern mit Freunden zockt; oder, in kapitalistischen Zahlen: Nachdem die Erweiterung im November vergangenen Jahres auf Steam erschienen war, lag sie auf Platz eins (Deluxe Version), zwei (Season Pass) und drei (normale Version) der Umsatz-Charts des Streamingportals.

Er ist ein Kulturoptimist, der digitalen Wandel als Chance sieht

Wer so erfolgreich ist und als Chef eines privaten Unternehmens keine Zahlen veröffentlichen muss, der kann es sich natürlich leisten zu sagen: «Wir konzentrieren uns nicht auf den Profit, sondern darauf, eine Umgebung für unsere Spieler zu schaffen.» Der Umsatz 2020 dürfte im mittleren dreistelligen Millionenbereich liegen, es werden noch zwei «Destiny»-Erweiterungen folgen, an neuen Spielen wird bereits gearbeitet: «Wir sind finanziell und kreativ gut aufgestellt, wir können nun Talente anlocken, die vorher schwer zu erreichen gewesen sind.»

Das führt zurück zur Ausgangsfrage: Wohin werden sich analoge und digitale Welt entwickeln? «Junge Leute machen diese Unterscheidung gar nicht mehr», sagt Parsons. Er ist, das wird während des Gesprächs immer wieder deutlich, ein Kulturoptimist, der im digitalen Wandel eher eine Chance sieht, wenn der Golfplatz ein Golfplatz bleibt und nicht, wie soziale Netzwerke zum Beispiel, des Wachstums wegen metastasiert. Das ist aber kein Problem des Digitalen, sondern der Profitsucht des spätkapitalistischen Menschen.

Parsons spricht lieber über seinen 15 Jahre alten Sohn, der online Freundschaften schliesst, und er spricht darüber, wie gut es tut, wenn jemand einen mal fragt und tatsächlich auch an einer Antwort interessiert ist – ob nun online oder analog: Wie geht's? Und er redet darüber, dass er nun bei Vorstellungsgesprächen ganz besonders geeignete Kandidaten nicht fragen muss, ob sie denn zum Firmensitz nach Bellevue in der Nähe von Seattle ziehen wollen: «Wir können Leute von überall einstellen, und sie können bleiben, wo es ihnen gefällt.» Und dann sagt er – nicht nur, weil das gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten viele Leute interessieren dürfte, sondern weil er Ärger bekäme, wenn er diesen Punkt verschwiege: «Wir stellen ein! Bewerbt euch!»