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Schweizer Muskelmann
«Den Körper zu formen, gibt mir ein Gefühl von Macht»

2017: Karrer verlässt die Bühne an der Schweizer Meisterschaft als Gesamtsieger.
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In einer Sporthalle im zugerischen Unterägeri zieren Muskelberge die Bühne. Mittendrin: Yannis Karrer. Die braungefärbte Brust reckt er empor, die stählernen Arme, im Scheinwerferlicht glänzend, spannt er weit aus. Er erinnert an eine griechische Götterskulptur. An Herkules.

Doch durch diesen Marmorblock fliesst Blut. Etwas schneller, etwas rassiger an diesem Tag. Noch einmal holt er tief Luft – dann erschallt sein Name durch die Halle: «Yannis Karrer. Yannis Karrer.» Der Moderator stimmt in die Zurufe des Publikums ein: «Yannis Karrer – Gesamtsieger.» Karrer wahrt den Schein. Den Pokal nimmt er unter Beifall und lachend entgegen.

Wenn dieses Publikum nur gewusst hätte, welch Spannung sich in diesem Moment entlud. Wie er zuvor gelitten, mit sich selbst gerungen hatte. «Ich fühlte mich lethargisch. Die Wettkampfvorbereitung hat mir alles abverlangt.»

Seit seinem Gesamtsieg am Schweizer Natural-Bodybuilding-Contest sind drei Jahre vergangen.

Die Familie hat zuerst gezweifelt

Beginnen wir von vorne. Yannis Karrer wuchs im zürcherischen Nürensdorf auf. Mit sieben spielte er beim FC Bassersdorf Fussball, insgesamt acht Jahre lang. «Ich war schon immer sportlich und hatte einen athletischen Körper. Aber diese Muskeln musste ich mir hart erarbeiten», sagt der heute 25-Jährige. Doch statt im Fitnessstudio Gewichte zu stemmen, verbrachte Karrer die Freizeit früher mit Fussballspielen und Skifahren. Für seinen Vater, der selbst während vieler Jahre Triathlon betrieben hatte, war Sport «schon immer wichtig gewesen».

Mit 15 begann Karrer seinen Körper zu formen. Er machte rasch Fortschritte. «Das faszinierte mich. Und deshalb habe ich immer weitergemacht.» Bereits als 19-Jähriger gewann er bei seinem ersten Natural-Bodybuilding-Wettkampf Gold bei den Junioren.

Yannis Karrer begann mit 15 Gewichte zu stemmen.

Die Eltern standen der Leidenschaft ihres Sohnes skeptisch gegenüber. Es fehlte das «Grundvertrauen», sie hatten Angst, Karrer würde irgendwann zu Dopingmitteln greifen. Zwar konnte er von Anfang an auf die Unterstützung der Familie zählen, doch es brauchte ein Schlüsselerlebnis, das zum Umdenken führte. Ihre Einstellung zum Bodybuilding habe sich an der WM 2014 in Boston geändert. «Mein Vater sah die imposanten Athleten und ihre Leidenschaft für den Sport. Das machte ihm Eindruck. Mittlerweile findet er Bodybuilding sogar cool», sagt Karrer.

Der WM-Titel bringt 6’000 Dollar

Sein nächstes grosses Ziel sind die Weltmeisterschaften in den USA im kommenden Jahr. Obwohl der Siegerpreis nur mit 6’000 Dollar dotiert ist, tue dies seiner Leistungsbereitschaft keinen Abbruch. Die Vorbereitung für die Saison nimmt rund 10 bis 25 Wochen in Anspruch – sein Ziel ist der Titel.

Und die Wettkampfvorbereitung hat es in sich: Die Kalorienzufuhr trägt Karrer mit peinlichster Gründlichkeit in eine App ein. An einem Tag isst er zwischen 500 und 1000 Gramm Gemüse und Früchte, 100 Gramm Poulet, Reis, dazwischen Brötli, Proteinshakes und Müesli – das nur als Beispiel.

In der Wettkampfvorbereitung drosselt Karrer die Kalorienzufuhr, um den Körperfettanteil zu senken. Mit dem für Bodybuilder widerstrebenden Nebeneffekt: Muskelabbau gepaart mit Kraftlosigkeit. Nebeneffekte, die er bei seinem Gesamtsieg 2017 an der Schweizer Meisterschaft schon verspürt hatte und die er ganz fachmännisch als Folgen von «Relative Energy Deficiency» bezeichnet.

Drei Jahre ist es jetzt her, seit Karrer letztmals an einem Bodybuilding-Contest teilgenommen hat. «Die Belastungen einer Wettkampfvorbereitung sind sowohl körperlich als auch psychisch enorm», weiss er. Deshalb wollte er sich auf den Abschluss seines Studiums fokussieren. So gesund Natural Bodybuilding auch ist, Karrer verhehlt nicht, dass zu viele Wettkämpfe auf Dauer der Gesundheit schaden könnten.

Er geht in seinem Körper auf

Karrer weiss, wie es um den Ruf des Bodybuildings bestellt ist. Und wenn Doping in der Szene oftmals tabuisiert wird, spricht er dieses Problem offen, ohne Umschweife an.

Alleine dem Begriff Natural Bodybuilding liege schon eine gewisse Problematik zugrunde. Er impliziert, dass ein Verband existiert, der Doping offensichtlich toleriert. Und das sei auch der Fall. Karrer zielt dabei auf die International Federation of Bodybuilding and Fitness (IFBB) ab.

Er selbst gehört dem naturalen Pendant zur IFBB an, der World Natural Bodybuilding Federation (WNBF), die den Einsatz von Dopingmitteln untersagt. «Die Aufteilung einer Sportart in zwei Arten von Verbänden ist schon speziell», sagt Karrer.

Die International Federation of Bodybuilding & Fitness (IFBB) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg (1946) ins Leben gerufen. Die renommiertesten Wettbewerbe, die Mr. Olympia und die Arnold Classics, unterstehen der IFBB. Das naturale Pendant zur IFBB ist die World Natural Bodybuilding Federation (WNBF).

Um der Glaubwürdigkeit des Sports willen, brauche Bodybuilding restriktivere Dopingkontrollen und eigentlich, findet Karrer, nur einen Verband – einen dopingfreien. Dann könnte der Sport beispielsweise als olympische Disziplin taugen. Doch für umfassende Dopingkontrollen fehlen den Verbänden nicht zuletzt die finanziellen Mittel.

Karrer macht diesen Sommer an der Universität Zürich seinen Abschluss in Medizin. Geld verdient er mit der Vermarktung von Fitnessprodukten über soziale Medien und als Personal Trainer. Dass sein Körper teilweise in der Öffentlichkeit irritiert, schmeichle ihm. Gleichzeitig fühle er sich auch «wie ein exotisches Tier» beobachtet. «Natürlich. In erster Linie geht es beim Bodybuilding um Optik. Daher verstehe ich die Reaktionen.»

Doch der Sport berge durchaus ästhetische Qualitäten. Karrer erhebt Bodybuilding gar zu einer Kunstform. Dass der Künstler in seinem eigenen Werk aufgeht, sozusagen «Körper und Werk verschmelzen», sei «aussergewöhnlich und unvergleichbar». Den Körper nach Belieben zu formen, gibt Karrer «ein Gefühl von Macht».

Heute fällt es ihm schwerer als noch zu Beginn, viel Muskeln aufzubauen. Obwohl: Zeit investiert er mehr. «Das ist normal. Muskelwachstum verläuft asymptotisch. Die Erfolge stellen sich nach einer gewissen Zeit ein. Irgendwann stockt es.»

Ein Grund, zu Dopingsubstanzen zu greifen?

«Auf keinen Fall. Ich möchte auch noch im hohen Alter Bodybuilding betreiben. Die Verwendung von Dopingsubstanzen würde dies gesundheitlich erschweren – vielleicht verunmöglichen.»

Eisbrecher – der Hockey-Podcast von Tamedia

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