Der Horror im Alltäglichen
Stephen King konzentrierte sich in seinen Kurzgeschichten schon mal auf Liebeskummer, Einsamkeit und Rechtsextremismus. Auch in «Blutige Nachrichten» schreibt er gegen das Horrorclown-Image an – zumindest ein bisschen.
Bevor Stephen King als Schriftsteller ein reicher Mann wurde, hauste er mit seiner Frau und den Kindern in einem heruntergekommenen Wohnwagen. Das Geld, das er als Aushilfsenglischlehrer verdiente - läppische 6400 Dollar im Jahr, wie er einst dem «Playboy» erzählte - reichte aber nicht mal für den Lebensunterhalt im Trailer.
Also jobbte King nachts noch in einer Wäscherei und schrieb Kurzgeschichten. Die verkaufte er für ein paar Dollar an Zeitschriften, die man dem Segment der Gentlemen-Unterhaltung zuordnen kann. Publikationen wie «The Dude» oder «Cavalier». Es waren die glorreichen Siebzigerjahre, als das Internet weder die Print- noch die Erotikindustrie bedrohte.
Kings Exit-Strategie aus der Wohnwagen-Misere wurde sein Debütroman «Carrie», 1974, mit dem seine Karriere als finanziell sorgloser Bestsellerautor begann. Das Genre der Pulp Fiction in Kurzform hat der heute 72-Jährige über die Jahrzehnte aber trotzdem mit grosser Freude gepflegt. Die Kurzgeschichten des Langschreibers King, die selten unter 100 Seiten lang sind, gibt es in diversen Sammelbänden, von denen nun ein neuer erschienen ist: «Blutige Nachrichten» enthält vier Stories, die er in den letzten Jahren verfasst hat.
Die besten King-Verfilmungen basieren auf Short Stories.
Das Genre liegt King, er erreicht darin eine erzählerische Finesse, die seinen Romanen manchmal abgeht. Was man zum Beispiel daran erkennen kann, dass die besten Verfilmungen seiner Bücher oft nicht auf seinen Romanen basieren, sondern auf den Short Stories: Aus «Die Leiche» wurde der Sommerabenteuerfilm «Stand by Me», aus «Rita Hayworth and the Shawshank Redemption» die Gefängnisballade «Die Verurteilten».
In der kurzen Form übertreibt es der Gruselliebhaber King nicht immer gar so mit den obskuren Monstern und Überwesen, die seine Romane bevölkern. Stattdessen besinnt er sich auf den Horror, von dem es schon im normalen Leben genug gibt – sanft zugespitzt natürlich. Er hat Geschichten verfasst, in denen es um Liebeskummer geht, um Einsamkeit, um Rechtsextremismus. Alles Themen, mit denen er in der Öffentlichkeit eher nicht in Verbindung gebracht wird, weil der popkulturelle Einfluss seiner Horrorclowns, Zombiekatzen und Körperfresser immer grösser war.
Schade eigentlich, denn King ist auch ein ausgezeichneter Chronist weniger übernatürlicher Befindlichkeiten, zumal der amerikanischen. Eines seiner schönsten Werke ist die Novellen-Sammlung «Hearts in Atlantis» (1999), in der es um die 68er-Generation und das schwere Erbe des Vietnamkriegs geht, das Amerika bis in die Gegenwart hinein formt.
Gegen sein Horror-Image schreibt King auch im neuen Band ein wenig an, in der Kurzgeschichte «Chucks Leben». Darin geht es um einen Bankbuchhalter mit grauem Anzug und grauem Leben. Der spaziert nach einer Tagung durch Boston und trifft auf der Bolyston Street einen Strassenmusiker, dessen Schlagzeugspiel ihn dazu verleitet, die Aktentasche abzustellen und zu tanzen. Ein winziger revolutionärer Akt in einem regelkonformen Leben. Wie dieser arme Kerl für ein paar Minuten per Moonwalk aus seinem Schablonendasein ausbricht, das letztlich auch eine Horrorgeschichte ist, das ist die schönste Passage des Bandes.
King erzählt nun auch aus weiblicher Perspektive.
Um sie geniessen zu können, muss man allerdings erst an der ersten Kurzgeschichte vorbei, der schlechtesten der vier. Sie liest sich, als hätte ein lustlos programmierter Stephen-King-Algorithmus sie verfasst. «Mr. Harrigans Telefon» erzählt von einem Jungen, der sich bei einem knorrigen Millionär ein paar Dollar dazuverdient, indem er ihm vorliest. Nach dem Tod des Alten hat der Junge über ein iPhone weiterhin Kontakt zu ihm und er bittet ihn aus der Gruft um Hilfe.
Solche obskuren Plots liebt King, und manchmal funktionieren sie auch, wenn er sie mit Figuren bevölkert, die das Übernatürliche glaubhaft machen; hier bleiben die Protagonisten aber so blass, dass man diesen Einstieg am besten überblättert.
Es gibt ausserdem eine Mini-Fortsetzung seines Romans «Der Outsider» von 2018, deren Titel dem Band seinen Namen gibt: «Blutige Nachrichten». Die junge Privatdetektivin Holly – King, der alte Männerschreiber, hat sich in den letzten Jahren redlich Mühe gegeben, öfter mal aus weiblicher Perspektive zu erzählen – verdächtigt einen Reporter des Lokalfernsehens, selbst hinter dem Bombenanschlag auf eine Schule zu stecken, über den er so kenntnisreich berichtet.
Am lustigsten ist die letzte Kurzgeschichte mit dem Titel «Die Ratte». Darin zieht sich ein Schriftsteller, der bislang nur Kurzgeschichten zustande gebracht hat, und mit allen Romanversuchen seine Familie und sich selbst an den Rand des Nervenzusammenbruchs manövriert hat, in eine verlassene Waldhütte zurück. Ein letzter Versuch, das Opus Magnum zu schaffen, von dem er träumt, einen opulenten Westernroman.
Stephen King: Blutige Nachrichten. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne, München 2020. 560 S., ca. 37 Fr.
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