Fondation BeyelerDas faschistische Trampeltier
Der «Hausengel» von Max Ernst ist das Bild der Stunde. Es ist Teil einer Ausstellung surrealistischer Meisterwerke der Sammlung Hersaint.
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- Das Bild «Der Hausengel» von Max Ernst steht im Mittelpunkt der neuen Ausstellung «Der Schlüssel der Träume» in der Fondation Beyeler.
- Das bunte, vogelköpfige Trampeltier ist eine Allegorie des Faschismus, die 1937 als Antwort auf die Niederlage der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg entstand.
- Das Bild gehört der Sammlung Hersaint, aus deren Bestand in der Fondation Beyeler fünfzig Meisterwerke des Surrealismus zu sehen sind.
Max Ernsts «Hausengel», derzeit in der Fondation Beyeler ausgestellt, ist das Bild der Stunde. Ein wütendes und stampfendes Ungetüm, das wie Elon Musk, Donald Trump oder Wladimir Putin ohne Rücksicht auf Verluste voranschreitet. Herausgeputzt mit farbigen Stofffetzen aus glänzendem Satin, schillerndem Federstoff oder wild in den Himmel züngelnden Armkleidern streckt es alle viere von sich, auf maximalen Schrecken bedacht.
Das Monstrum zieht seinen Vogelkopf ein: geschlossen die Augen, aufgerissen der Schnabel, der mit seinen Zähnen an eine Hundeschnauze erinnert. Mächtig holt der linke Fuss mit seiner gezackten Sohle aus, während der rechte tief einsinkt in eine Welt, die zu einem flachen, grünlichen Streifen am unteren Bildrand geschrumpft ist. Am tief gelegten Horizont zeichnen sich ein paar weisse Berggipfel ab, die wie die Linie eines Seismografen die Erschütterungen des Trampeltiers nachzuzeichnen scheinen.

Max Ernst (1891-1976) hat das Bild 1937 in Südfrankreich gemalt. Mit seiner Geliebten Leonore Carrington bewohnte er damals in Saint-Martin-d’Ardèche, nördlich von Avignon, ein Haus, auf dessen Aussenmauer noch heute ein grosses Relief prangt. Zwei vogelähnliche Wesen sind darauf zu sehen. Ein Mann, der bedrohlich seine Arme hebt und seinen Schnabel aufreisst, und eine Frau, die sich mit nach links geneigtem Oberkörper von ihm distanziert und auf ein kleines Monster blickt, das auf ihrer linken Hand sitzt. Auf dem Unterleib des Vogelmanns befindet sich noch ein zweiter Vogel, ein sogenannter Loplop, eine Figur, der das Geschlecht abhandengekommen ist. Wie die meisten Werke des Künstlers ist das Relief symbolisch aufgeladen und offen für psychoanalytische Deutungen.
Loplop, das Alter Ego
Anfang der Dreissigerjahre hatte Max Ernst seinen Vogel Loplop erstmals vorgestellt, den er gewissermassen als Alter Ego in seine Bilder einführte. In seinem «Dictionnaire abrégé du surréalisme» aus dem Jahre 1938 bezeichnete er den Loplop als «Maler, Dichter und Theoretiker des Surrealismus von den Anfängen bis zum heutigen Tag». Er hat ihn auch einmal als Privatphantom bezeichnet, mit dem er sich einbringen konnte in seine Werke und sich zugleich auch wieder davon distanzierte.

Auch beim «Hausengel» sehen wir wie auf dem Relief ein doppeltes Vogelwesen, denn am rechten Bein und am rechten Arm der auftrumpfenden Hauptfigur, die mit ihren Extremitäten die Diagonalen des Bilds auslotet, hat sich ein seltsames Gebilde festgekrallt, das unschwer als Loplop zu erkennen ist. Es ist, als wolle das Alter Ego des Künstlers dem wüsten Treiben Einhalt gebieten. Übrigens: In einer früheren Version dieses längst ikonisch gewordenen Hauptwerks aus der noch wenig bekannten Collection Hersaint scheint der Hausengel dem Loplop, der ihn am linken Bildrand zu fassen versucht, noch entschwinden zu können.
«Hausengel», ein ironischer Titel
Max Ernst hat gegenüber seinem Freund, dem Kunsthistoriker Werner Spies, die Entstehung und die Bedeutung des Motivs wie folgt erklärt: «Ein Bild, das ich nach der Niederlage der Republikaner in Spanien gemalt habe, ist der ‹Hausengel›. Das ist natürlich ein ironischer Titel für eine Art Trampeltier, das alles, was ihm in den Weg kommt, zerstört und vernichtet. Das war mein damaliger Eindruck von dem, was in der Welt wohl vor sich gehen würde, und ich habe damit recht gehabt.»
Die Niederlage der Republikaner, die sich gegen die faschistischen Truppen des Generals Francisco Franco wehrten, wurde mit der Bombardierung von Guernica am 26. April 1937 durch die deutsche Legion Condor besiegelt. Auch Pablo Picasso hat auf die Katastrophe von Guernica reagiert: Im Unterschied zu Max Ernst, dem mit dem Hausengel eine Allegorie für die faschistischen Täter gelang, malte aber Picasso auf seinem berühmten Gemälde, das am 12. Juli 1937 auf der Weltausstellung von Paris erstmals ausgestellt wurde, die Opfer des Bombardements.

Bemerkenswert ist die malerische Technik, die Max Ernst für den «Hausengel» verwendet hat, dem er später den Untertitel «Le triomphe du surréalisme» gab. Während der Grossteil der insgesamt 14 Werke von Max Ernst, die in der neuen Ausstellung bei Beyeler hängen, mit der sogenannten Grattage experimentieren, bei der unter die Leinwand Gegenstände gelegt werden, die sich abzeichnen, oder mit der «Décalcomanie», bei der flüssige Farbe auf eine Fläche aufgetragen und danach in einem Abklatschverfahren auf das Bild aufgetragen wird, bediente er sich bei diesem antifaschistischen Programmbild eines plakativen Verismus, wie wir ihn sonst von Yves Tanguy oder Salvador Dalí kennen, die ebenfalls in der Ausstellung vertreten sind.
X, Schiffsschraube oder Hakenkreuz
Die dämonische Figur des «Hausengels», die uns heute mit den ausgreifenden Extremitäten an die Plattform X, ehemals Twitter, erinnern mag, mit der sich der reichste Mann der Welt die Herrschaft über den gesellschaftspolitischen Diskurs zu sichern versucht, verglichen frühere Interpreten mit einer Schiffsschraube oder einer Swastika. Denn mit seinen abgewinkelten Klauen und abstehenden Gliedmassen erinnert der wütende Engel, der sich zum ästhetischen Ereignis herausgeputzt hat, viele Betrachter an ein Hakenkreuz.
Die Ausstellung dauert bis zum 4. Mai.
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