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Saeb Erekat
Der bekannteste Sprecher der Palästinenser ist tot

Der promovierte Politikwissenschaftler war seit Mitte der 1990er Jahre Chefunterhändler bei den Verhandlungen mit Israel: Saeb Erekat.
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Eben noch hatte er mit erregter Stimme gesprochen, es ging um das Thema, das ihn immer und überall umtrieb: die Schaffung eines Staates für die Palästinenser. Saeb Erekat wollte einigen Journalisten an jenem brütend heissen Sommertag im Juni in der Nähe von Jericho zeigen, welche Auswirkungen es auf die Palästinenser haben würde, sollte Israel Teile des Jordantals annektieren. «Die Siedler stehlen schon jetzt Land und Wasser von den Palästinensern. Was bleibt dann noch?»

Sichtlich erschöpft liess er sich dann auf einen der Sitze des Minibusses fallen, sein ansonsten sonnengegerbtes Gesicht war plötzlich aschfahl. Der wortgewaltige Politiker und Diplomat, der seit Jahrzehnten bei allen Verhandlungen im Nahen Osten für die Anliegen der Palästinenser kämpfte und den Titel Chefunterhändler trug, wirkte müde und angeschlagen. In diesem Moment der Schwäche erzählte Erekat, wie es war, als er monatelang um Luft ringen musste. Seine Lungenfibrose hatte sich sukzessive verschlechtert, dann klappte es 2017 mit einer Lungentransplantation in den USA. «Ein neues Leben wurde mir geschenkt», schwärmte der 65-Jährige.

Nun ist Saeb Erekat nach einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Mitte Oktober war er mit schweren Atembeschwerden in das israelische Hadassah-Spital in Jerusalem gebracht worden. Welch eine Symbolik: Israelische Ärzte kämpften um das Leben des Palästinensers. Seine Behandlung war auch deshalb schwierig, weil er nach der Transplantation Immunsuppresiva einnehmen musste, um eine Abstossung des Organs zu verhindern. Dadurch war sein Immunsystem geschwächt.

Das Oslo-Abkommen handelte er zusammen mit Jassir Arafat aus

Seit sich das Coronavirus ausbreitete, verliess er sein Haus in Jericho im Westjordanland kaum noch. Nur seine Familie, seine zwei Söhne, die Zwillingstöchter und die acht Enkel, besuchten ihn. Mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, der am 15. November 85 Jahre alt wird und um dessen Gesundheit es auch nicht zum Besten bestellt ist, telefonierte er regelmässig.

10. November vor 19 Jahren: Palästinenserführer Jassir Arafat (r.) anlässlich der 56. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York; In der Mitte Chefunterhändler Saeb Erekat,

Seit Anfang der 1990er-Jahre gab es keine Nahost-Verhandlung, bei der Erekat nicht dabei gewesen wäre. An der Seite von Jassir Arafat handelte er das Oslo-Abkommen aus, das Frieden zwischen Israelis und Palästinensern und eine Zwei-Staaten-Lösung bringen sollte. In San Francisco und im britischen Bradford hatte er Politikwissenschaften studiert und seinen Doktortitel in Friedens- und Konfliktforschung erlangt.

Auch wenn er an der Universität in Nablus im Westjordanland als Professor lehrte, so war Erekat mehr ein Mann der Tat denn der Theorie. Arafat und Abbas setzten den Fatah-Funktionär in verschiedenen Funktionen ein, er hatte Ministerpositionen inne und war im Legislativrat, zuletzt fungierte er als Generalsekretär des Exekutiv-Komitees der PLO. Egal welche Position Erekat hatte: International wurde er als der bekannteste Sprecher der Palästinenser wahrgenommen. «Als Verfechter palästinensischer Selbstbestimmung» habe Erekat «kontroverse Debatten geführt, aber immer auf Verhandlungen mit Israel gesetzt», hob Heiko Maas hervor.

Trumps Wahlniederlage bekam er nicht mehr bewusst mit

Der deutsche Aussenminister appellierte an die politisch Verantwortlichen in der Region, «Erekats Vermächtnis fortzusetzen und weiter aktiv auf eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung hinzuarbeiten». Dass dieses Ziel in den vergangenen Monaten in weitere Ferne gerückt ist, daraus machte Erekat keinen Hehl. Mit der Macht des Wortes kämpfte er gegen das Vorrücken israelischer Siedler im Westjordanland und die von Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vorgebrachten Annexionspläne.

Den von US-Präsident Donald Trump veröffentlichten Nahost-Plan bezeichnete er als «Betrug des Jahrhunderts» und als einseitig zugunsten Israels. Dass Trump seine Wiederwahl nicht geschafft hat, konnte er nicht mehr miterleben, zu diesem Zeitpunkt lag er schon im Koma.

Zuvor hatte Erekat noch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und zwei arabischen Golfstaaten kritisiert. Als Verrat habe er diesen Schritt empfunden, sagen ihm nahestehende Menschen, weil dies ohne Einbindung der Palästinenser geschehen war. In seinem letzten Gespräch mit der SZ hatte er Gleichberechtigung als vordringlichsten Wunsch formuliert. Sein Lebenstraum, dass in seinem Geburtsort Abu Dis mit Blick auf die Altstadt von Jerusalem einmal das Parlament als Herzkammer eines palästinensischen Staates tagen würde, erfüllte sich nicht. Das halb fertig gebaute Gebäude ist inzwischen eine Ruine.