Corona-Politik BrasiliensDer Ankläger, den Bolsonaro als Tapir beschimpft
Ein Parlamentsausschuss untersuchte die Pandemiepolitik Brasiliens. Es stellt dem Präsidenten ein schlechtes Zeugnis aus – und empfiehlt eine Anklage.
Nun, da alles vorbei ist, stellt sich die Frage, was bleibt: Fast ein halbes Jahr lang hat sich in Brasilien ein Untersuchungsausschuss mit der Corona-Politik der Regierung von Jair Bolsonaro befasst. Am Dienstag wurde der Abschlussbericht verabschiedet: Er wirft dem Präsidenten etliche Straftaten vor, darunter Täuschung, aber auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Ausschuss empfiehlt eine Anklage. Spätestens hier aber fangen die Probleme an: Denn dass tatsächlich ein Verfahren gegen Bolsonaro eingeleitet wird, ist extrem unwahrscheinlich. Zu gross ist immer noch der Rückhalt des Präsidenten im Parlament und in der Justiz. Gut möglich also, dass von der Arbeit des Untersuchungsausschusses am Ende nicht viel mehr bleibt als ein politisches Signal.
Die Brasilianer werden aber einen Namen im Gedächtnis behalten: Omar Aziz. Im vergangenen halben Jahr sass der Abgeordnete dem Untersuchungsausschuss als Präsident vor. Keine leichte Aufgabe, mussten sich die Parlamentarier doch mit einer Tragödie riesigen Ausmasses befassen: 600’000 Corona-Tote beklagt Brasilien, kaum eine Familie, die nicht einen Angehörigen verloren hat. Bei Omar Aziz ist das nicht anders: Im Januar verstarb der Bruder des Politikers an Covid-19.
Hearings im Parlament waren grosses Spektakel
Viele Brasilianer geben Bolsonaro die Schuld an den katastrophalen Ausmassen der Pandemie im eigenen Land. Der Präsident verharmloste das Virus stets, warnte vor Impfstoffen und förderte gleichzeitig den Einsatz höchst umstrittener Medikamente.
Genau darum war im April der Untersuchungsausschuss zusammengetreten: Er sollte klären, inwieweit und wie bewusst die Regierung versagt hatte im Kampf gegen den Erreger. Von Anfang an waren die Sitzungen auch ein Medienereignis, live übertragen im Fernsehen. Gebannt verfolgten Millionen Zuschauer das politische Theater, die Intrigen, Anschuldigungen, Skandale und wütenden Wortgefechte. (Lesen Sie auch den Artikel «Man wollte die Bevölkerung gezielt dem Virus aussetzen».)
Und so passierte es, dass aus dem vormals eher unbekannten Abgeordneten Omar Aziz eine der bekanntesten politischen Persönlichkeiten seines Landes wurde. 63 Jahre alt ist er und seit Jahrzehnten in der Politik aktiv: Bevor er Abgeordneter wurde, war Aziz Gouverneur des Bundesstaates Amazonas, er war Lokalpolitiker wie auch Vizebürgermeister von Manaus.
Auch gegen Omar Aziz und seine Familie gibt es Korruptionsvorwürfe.
Die Liste der ehemaligen Ämter von Aziz ist lang, ebenso wie die der Parteien, denen schon angehört hat. Wollte man es positiv ausdrücken, könnte man sagen, dass Aziz flexibel ist in seinen politischen Ansichten. Kritiker dagegen werfen ihm vor, ein typisches Mitglied des sogenannten «centrão» zu sein, des grossen Zentrumsblocks im brasilianischen Parlament, der sich oft mehr von Posten und Pfründen leiten lässt als von politischen Überzeugungen.
Tatsächlich gibt es Korruptionsvorwürfe gegen Aziz und seine Familie. Kurzzeitig sassen seine Frau und einige seiner Brüder sogar in Haft. Aziz nennt die Anschuldigungen unbegründet, das Verfahren läuft noch.
Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss gehörte Aziz zu den Mitgliedern, die dem Präsidenten zunächst weder komplett feindlich gegenüberstanden noch ihn offen unterstützten. Im Lauf der Anhörungen kam es aber zu immer heftigeren Auseinandersetzungen: Aziz nannte Bolsonaro einen Motorradrocker, der wiederum beschimpfte Aziz als Tapir. Einer von Bolsonaros Söhnen hat dazu angekündigt, Klage wegen Fehlverhaltens einreichen zu wollen gegen Aziz.
Dass nun, da der parlamentarische Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, wieder Ruhe einkehrt in Brasilien, ist unwahrscheinlich: Die Infektionszahlen sinken, dafür schwächelt die Wirtschaft, und nächstes Jahr sind Wahlen. Ob Aziz dann auch eine Rolle spielen wird? Seinen Namen kennt heute jedenfalls fast jeder im Land.
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