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Angst vor Chaos auf Haiti
Der abgesetzte Premier, der plötzlich Präsident ist

Nicht einmal sein Alter ist gesichert: Haitis Interimspräsident Claude Joseph.
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Als Claude Joseph am Mittwoch dieser Woche erklärte, die Polizei habe die Lage in Haiti im Griff, klang das für viele Menschen in dem Karibikstaat vermutlich wie Hohn – das bitterarme Land versinkt doch seit langem schon immer tiefer im Chaos.

Spätestens seit Anfang dieser Woche droht die Lage aber nun vollständig ausser Kontrolle zu geraten: Eine Gruppe schwer bewaffneter Angreifer überfiel in der Nacht zum Mittwoch die Privatresidenz des Präsidenten Jovenel Moïse. Der Staatschef wurde getötet, seine Frau angeschossen. Wer hinter dem Mord steckt, ist noch nicht geklärt, genauso, wie unklar ist, wer nun eigentlich die Macht innehat in Haiti.

«Lasst uns nach Harmonie suchen»

Claude Joseph jedenfalls hat sich schon am Mittwochmorgen zum Interimspräsidenten erklärt – gleich nachdem er die Öffentlichkeit über die Ermordung von Moïse informiert hatte und kurz bevor er den Belagerungszustand über dem Land verhängte. «Lasst uns nach Harmonie suchen, um gemeinsam voranzukommen, damit das Land nicht im Chaos versinkt», erklärte Claude Joseph in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache.

All das wirft Fragen auf, vor allem auch, weil gar nicht klar ist, ob der Mann überhaupt die Befugnisse für die Bildung einer Übergangsregierung hat.

Wenig ist bekannt über Claude Joseph, nicht einmal sein Alter ist gesichert. Er soll in den USA Politik studiert haben, später wurde er haitianischer Botschafter in Argentinien, auch arbeitete er als Diplomat in Spanien. Anfang 2020 wurde er zum Aussenminister ernannt, und als im April dieses Jahres der Premierminister zurücktrat, rückte Joseph nach. Allerdings blieb auch er nur kurz im Amt. Nach nur drei Monaten sollte Claude Joseph schon wieder ersetzt werden, dies hatte Präsident Moïse erst am Montag bekannt gegeben und einen angesehenen Arzt zum Nachfolger bestimmt.

Doch eine Amtsübergabe fand nicht statt. Stattdessen war Moïse am Mittwochmorgen tot – und Claude Joseph auf einmal Chef einer selbst ernannten Übergangsregierung.

Viele Unstimmigkeiten

War die Situation schon zuvor unübersichtlich, ist sie nun vollends verfahren und chaotisch. Jovenel Moïse hatte 2017 das Präsidentenamt angetreten, nach Wahlen, die wiederholt werden mussten, weil es im ersten Durchgang so viele Unstimmigkeiten gab. In der Folge häuften sich Korruptionsvorwürfe, gleichzeitig zögerte Moïse die eigentlich fälligen Parlamentswahlen immer weiter hinaus. Die Folge: Seit 2020 hatte er kein Mandat mehr. Die weitere Folge: Der Präsident regierte per Dekret. Beobachteter fürchteten, das Land sei auf dem Weg zurück in eine Diktatur.

Nach der Ermordung von Moïse gibt es nun also in Haiti weder Präsident noch Parlament. Und zu allem Überfluss starb der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs im Juni auch noch an Covid-19.

Nun fragen sich die Menschen in Haiti, wie es wohl weitergehen wird mit ihrem Land. Der Senatspräsident könnte die Regierungsgeschäfte übernehmen. Es könnte auch eine Verfassungsgebende Versammlung eingesetzt werden, wie sie von der Opposition schon seit langem gefordert wird. Haiti würde so eine neue politische Basis bekommen, aus der Krise würde eine Chance.

Claude Joseph müsste aber gleichzeitig, nähme er den ersten Teil des Wortes «Interimspräsident» ernst, dafür sorgen, dass Neuwahlen angesetzt werden. Dass ihm dies ein Anliegen ist, hat er bisher aber nicht zu erkennen gegeben; schon gibt es also die Sorge, dass die Übergangsregierung versuchen könnte, sich an ihre neu gewonnene Macht zu klammern. Haiti könnte noch weiter abstürzen in die Unordnung, aus der Opposition werden Rufe nach einem Eingreifen der Internationalen Gemeinschaft laut.

Woraus man schliessen kann: Niemand hat die Lage in Haiti derzeit im Griff. Ganz im Gegenteil.