Kommentar zur neuen Achse Afrika-Russland Der selbstgerechte Westen erntet jetzt den Zorn des Südens
Afrikanische Staaten orientieren sich neu nach Moskau. Im Umgang mit dem Süden der Welt machen Europa und die USA schwere Fehler – und sehen sie nicht einmal.
Westliche Gesellschaften haben Gefallen gefunden an einer ausgiebigen Nabelschau. Familie, Beziehung, Gesundheit. Jede Facette des eigenen Lebens wird begutachtet, Berater und Influencer helfen bei der Selbstbespiegelung. Das lässt sich aushalten, solange der Tanz ums Ich nicht ablenkt von anderen Fragen, die für unsere Zukunft bedeutsam sind. Zum Beispiel, wie westliche Gesellschaften ihre Verbindungen mit Staaten pflegen, die noch in der Armut stecken oder schon als aufsteigende Schwellenländer gelten. Europa und die USA wollen Russland isolieren und ein Gegengewicht zu China aufbauen. Dafür brauchen sie belastbare Allianzen.
Es geht um Länder des Südens, in Afrika, Asien, Lateinamerika. Viele verfügen über strategische Rohstoffe, wie Niger mit seinem Uran, es gibt zahlreiche Beziehungen zu diesen Staaten. Aber macht sich der Westen auch Gedanken darüber, wie er dort eigentlich auftritt – oder wie seine Politik ankommt? Die Antwort lautet: leider viel zu wenig. Und das rächt sich.
Zu selten werden ernsthafte Versuche unternommen, Empfindlichkeiten und Zwänge in einem anderen Land zu verstehen.
Ihre eigene Selbstgerechtigkeit fällt den Industrieländern selten auf. Immer wieder fordern sie – gern im Duktus des Dozenten – Freiheit, Pluralismus oder Menschenrechte ein, sie wollen die Welt mit ihren Idealen beglücken. Ein westlicher Diplomat hat es jüngst – sehr privat – so auf den Punkt gebracht: Ständig sei man damit beschäftigt, westliche Werte zu predigen, anstatt auch mal pragmatisch zu fragen: Wo können wir unterstützen? Zu selten werden ernsthafte Versuche unternommen, Empfindlichkeiten und Zwänge in einem anderen Land zu verstehen. Dem Westen fehlt die Fähigkeit zuzuhören.
Versäumen es Europa und Nordamerika, sich aus dieser Ignoranz zu lösen, werden antiwestliche Impulse weiter zunehmen. Schon jetzt sind sie deutlich spürbar, etwa in der Sahelzone, wo sich ein feindliches Klima gegen die Ex-Kolonialmacht Frankreich aufgebaut hat. Die Menschen sehen nicht, wie ihnen die Einmischungen aus Paris helfen sollen. Frankreich bezieht nützliches Uran aus Niger, aber die Welt im Sahel wird für Bewohner immer bedrohlicher. Und dann poppen Putschisten auf, deren Agenda man nicht genau kennt. Sie versprechen wie ein Deus ex Machina Erlösung – und verteufeln den alten Paten Frankreich.
In Teilen Asiens schwindet das Vertrauen vieler Menschen, dass der Westen noch als Gegengewicht zu China taugen könnte. In Kambodscha etwa regiert nun Armeechef Hun Manet, der zwar im Westen ausgebildet wurde. Aber sein politischer Kompass deutet nach Peking. Im Pazifik, wo viele kleine Staaten vom Klimawandel bedroht sind, fühlten sich die Regierungen lange alleingelassen – bis Peking auf der Bühne erschien. Und Lateinamerika? Dort gibt es viele historische Verflechtungen mit Europa, mit den USA verbindet die meisten Länder eine komplizierte Hassliebe; umso bitterer ist es, dass gerade die Beziehungen zu den Europäern vielen Regierungen Lateinamerikas immer weniger bedeuten. Wirtschaftlich tun sich andere Perspektiven auf. China bespielt die Bühne.
Der Westen macht sich angreifbar, wenn er selbst immer wieder die hohe Latte reisst, die er für andere auflegt.
Was den Schutz von Menschenrechten angeht, soll hier kein Missverständnis aufkommen. Es geht nicht darum, dieses Ziel zu verwässern. Der Westen macht sich aber angreifbar, wenn er selbst immer wieder die hohe Latte reisst, die er für andere auflegt. Beispiel Pandemie: Industriestaaten schwadronieren gern darüber, wie sie der armen Welt auf Augenhöhe begegneten, aber dann haben sie sich doch erst mal selbst mit Corona-Impfstoffen bedient. Von fairer Verteilung: keine Spur.
Ignoranz und Doppelmoral aber schaden dem Westen mehr, als es sich seine Regierungen eingestehen. Sie schüren Misstrauen. Sei es, weil das Erbe des Kolonialismus Schatten wirft; sei es, weil sich die Europäer durch Widersprüche unglaubwürdig machen. Kleinbauern in Westafrika mit Entwicklungshilfe zu fördern, aber zugleich lokale Märkte mit subventioniertem Geflügel aus Europa zu überschwemmen – das passt nicht zusammen. Die grösste Hypothek für den Westen ergibt sich allerdings daraus, dass er massgeblich den Klimawandel verantwortet, unter dem ärmere Länder – oft unverschuldet – besonders leiden.
Manchmal ist es nützlich, wenn andere den Spiegel hochhalten, so wie es der scharfsinnige indische Aussenminister nach Beginn des Ukraine-Kriegs tat. Sinngemäss merkte er an, dass Europa seine eigenen Probleme stets als Weltprobleme betrachte; aber wenn die Welt Probleme habe, sähen die Europäer diese nicht als die ihren an.
Die Empörung ist gross, dass nun russische Wagner-Söldner in Lücken vorstossen, die eine diskreditierte westliche Politik in Afrika aufgerissen hat. Dagegen ist ad hoc wenig auszurichten, Söldner und Putschisten bilden eine symbiotische Beziehung, die zutiefst autoritär ist. Aber man kann zumindest Lehren aus den Fehlern ziehen: Postkoloniale Selbstgerechtigkeit hilft nicht dabei, Freunde um sich zu scharen.
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