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Dem tödlichsten Krebs davongelaufen

Geschafft: Martin Inderbitzin (mit blauer Hose) im Ziel des New York Marathon. Foto: New York Marathon
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Als Martin Inderbitzin Anfang November die Ziellinie des New York Marathon überquert, reisst er jubelnd die Arme in die Höhe, als hätte er gerade gewonnen. Dabei ist er nur ein Mitläufer, einer von über 50'000 aus aller Welt, die an diesem spätherbstlichen Sonntag die 42 Kilometer durch die US-Metropole rennen. Und doch ist er ein Sieger: Er bezwang seine schwere Krankheit.

Vor sechs Jahren hatte der Zürcher vieles im Kopf. Nur nicht die Idee, jemals einen Marathon zu laufen. Der studierte Neurowissenschaftler war zwar nicht gerade unsportlich; immerhin spielte er ein bisschen Tennis, wenn er dafür Zeit fand. Sonst aber lebte er vor allem seine Leidenschaften aus. Neben der Wissenschaft war das, Videos und Filme zu produzieren.

Bauchweh nach dem Fondue

Doch dann kam jener Tag im Februar 2012: Nach einem fröhlichen Fondueessen in einer Berghütte bekommt Martin Inderbitzin plötzlich heftige Bauchschmerzen – etwas Ungewohntes für den damals 32-jährigen, bisher kerngesunden Mann. Trotzdem reist er nach Spanien, wo er zu jener Zeit promovierte.

Die Bauchschmerzen lassen aber nicht nach. Im Gegenteil: Als er es nicht mehr aushält, sucht er in Barcelona den Spitalnotfall auf. Dort diagnostizieren die Ärzte eine «Pankreatitis», eine Bauchspeicheldrüsenentzündung. Mit dem Rat, vorläufig nichts Fettiges mehr zu essen und sich in der Schweiz weiter abklären zu lassen, kehrt Martin Inderbitzin nach Hause zurück.

Die Schockdiagnose

In Zürich erhärtet sich der Verdacht, dass mit seiner Bauchspeicheldrüse etwas nicht stimmt. Weitere Untersuchungen zeigen, dass sie von einem Tumor befallen sein muss. Vier Monate nach den verräterischen Bauchschmerzen liegt Martin Inderbitzin im Triemlispital auf dem Operationstisch. Dabei wird der vordere Teil seiner Bauchspeicheldrüse, der sogenannte Kopf, entfernt. Doch der Schock kommt erst nachher: Eine Gewebeprobe des herausgeschnittenen Drüsenteils zeigt: Der Tumor ist bösartig.

Martin Inderbitzin beginnt, sich darüber zu informieren, was das heisst. Je mehr er im Internet recherchiert, desto verzweifelter wird er: Dort steht etwa, dass fünf Jahre nach der Diagnose nur noch einer von zwanzig Patienten am Leben ist: Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine der tödlichsten Krebserkrankungen. Im Vergleich zu anderen Tumorarten, bei denen in den letzten Jahren teilweise enorme Fortschritte erzielt wurden, kommt die Medizin beim Bauchspeicheldrüsenkrebs nur zaghaft voran.

Martin Inderbitzin mit seiner Ehefrau Katarina. Foto: pd

Der Hauptgrund: Dieser Krebs macht lange keine oder nur unspezifische Beschwerden; daher wird er oft zu spät entdeckt. Wenn nicht mehr operiert werden kann und der Krebs bereits Ableger gestreut hat, ist eine Heilung nicht mehr möglich.

Aber selbst bei frühzeitiger Diagnose ist die Behandlung schwierig. So gilt die Operation als eine der anspruchsvollsten überhaupt. Denn die unscheinbare Bauchspeicheldrüse, in der Fachsprache Pankreas genannt, ist nur etwa 80 Gramm schwer, hat aber gleich mehrere lebenswichtige Funktionen zu erfüllen für die Verdauung und die Blutzuckerregulation. Mit der Entfernung des krebsbefallenen Drüsenteils ist es deshalb meist nicht getan.

Das Leben umgekrempelt

Das war auch bei Martin Inderbitzin so. Nach der Operation folgen während sieben Monaten Bestrahlungen und Chemotherapie. Gleichzeitig krempelt er sein Leben um. Er erstellt eine «bucket list», eine Liste von den Dingen, die er unbedingt noch erleben will. «Die Krebsdiagnose konfrontierte mich plötzlich mit meiner Endlichkeit.»

Nur drei Monate nach der Chemotherapie schafft er den ersten Triathlon, dann heiratet er seine Freundin Katarina, segelt mit ihr von Mallorca nach Kuba und geht mit ihr danach auf eine Weltreise. Dabei treffen sie Krebspatienten aus anderen Ländern, interviewen und filmen sie. Seine Idee: eine Onlineplattform einzurichten mit Überlebensgeschichten wie seiner eigenen.

Martin Inderbitzin ist überzeugt, dass Patienten, die sich an solchen «survivors» orientieren, ihre Krankheit besser bewältigen und so einen Überlebensvorteil haben. Durch die belastenden Therapien seien Krebspatienten nicht nur körperlich gestresst, sondern auch mental. Das aber schwäche das Immunsystem, erklärt er, der einst über Stress promoviert hat. «Für mich war es deshalb ganz zentral, wie ich mit dem Stress umgehe, den mir meine Krankheit macht.»

Dann erzählt er, wie hoffnungslos und am Boden zerstört auch er nach der Diagnose zuerst einmal war. Und wie ihm sein damaliger Arzt am Triemlispital wieder Mut machte: Der berichtete von einem ähnlichen Patienten, der die schwere Krankheit überstanden hat.

Leben im Hier und Heute

«Das war ein Ansporn für mich, wieder aufzustehen und nach vorn zu schauen», sagt Inderbitzin. Er ist sich sicher, nicht zuletzt dank dieser Widerstandsfähigkeit, die Psychologen Resilienz nennen, auch drei Rückfälle weggesteckt zu haben.

Nach dem erfolgreich absolvierten Marathon ist seine «bucket list» zwar erneut kürzer geworden. Aber abgearbeitet ist sie noch nicht. Bald eine Familie zu gründen, kann er sich als Nächstes vorstellen. Aber sonst ist Martin Inderbitzin zurzeit ganz zufrieden. Wenn ihn die Krankheit etwas gelehrt habe, sagt er, dann dies: «Das Leben findet im Hier und Heute statt.»

Martin Inderbitzin tritt diese Woche an zwei Publikumsanlässen der Schweizerischen Pankreasstiftung auf: 19. 11., 19 Uhr, St. Gallen (Pfalzkeller) und 20. 11., 19 Uhr, Bern (Hotel Ador). Inderbitzins Website: mysurvivalstory.org.