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Dating-Psychologie
Sind Männer in der Unterzahl, gehen Frauen eher in die Offensive

Die Minderheit – oder hier der Hahn im Korb – macht die Regeln.
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Drei Freunde sitzen an einem Tisch in einem gut gefüllten Wirtshaus. So wie die Mehrzahl der anderen Gäste sind die drei Männer Anfang 20 zum Wandern in diese Gegend gekommen und vertrödeln nun den Abend in der einzigen Kneipe weit und breit. Sie trinken, lachen und labern. Irgendwann taucht eine Touristin gleichen Alters auf und fragt, ob denn noch ein Platz am Tisch frei sei. «Klar ist er frei, gern», antworten sie, die Frau setzt sich zu ihnen. Und mit einem Schlag verändert sich der Ton zwischen den Männern. Die Freunde werden zu Konkurrenten. Jeder will der Frau gefallen und buhlt mit Sprüchen, Geschichten und Gepluster um ihre Aufmerksamkeit, auch wenn das so keiner zugeben würde.

Sässen drei Frauen mit einem einzelnen Mann zusammen, würde das ebenfalls die Dynamik verändern, vor allem in der weiblichen Fraktion am Tisch. Unter umgedrehten Geschlechtervorzeichen prägt sich Konkurrenz zwar in etwas anderem Verhalten aus. Ansonsten aber gilt: «Same, same but different», die gleiche Sauce, nur halt auch irgendwie ein bisschen anders.

Sind in einem Umfeld – am Arbeitsplatz, an der Universität, in einer Stadt, einem Land, an einem Wirtshaustisch – Frauen oder Männer in der Überzahl, hat das Konsequenzen. Das zahlenmässige Verhältnis der Geschlechter wirkt sich auf Verhalten, Denken und Erleben aus. «Ein höherer Anteil von Frauen als Männern in einer bestimmten Population signalisiert einen relativen Überschuss an potenziellen Konkurrentinnen in der Partnersuche. Das verschärft den intrasexuellen Wettbewerb unter den Frauen», schreiben Forscher um Tania Reynolds in einer aktuellen Studie in den «Archives of Sexual Behavior».

Sind Frauen in der Überzahl, zeigen sie eher promiskes Verhalten und gehen leichter Affären ohne grosses Bindungsversprechen ein.

Eine romantische Erzählung ist das natürlich nicht. Auf dem Partnermarkt geht es um Angebot und Nachfrage und deren Auswirkungen. Wie in fast jeder Studie zu den Effekten des Zahlengeschlechterverhältnisses erklären auch die Autoren um die Psychologin von der University of New Mexiko in den ersten Absätzen ihrer Publikation, dass der Mensch nun einmal zu den «sich sexuell reproduzierenden Spezies» gehöre und es vergleichbare Beobachtungen entsprechender Effekte auch im Tierreich gebe. Mit anderen Worten: Der Mensch ist halt auch nur ein Tier und kann die Biologie und die Gesetze von Angebot und Nachfrage auf dem Partnermarkt nicht gänzlich abschütteln.

Wenn Männer in der Mehrheit sind, sind Frauen zufriedener mit ihrem Körper

Also zurück zum Konkurrenzgebaren des Homo sapiens. In mehreren Experimenten testeten die Psychologen um Reynolds die Auswirkungen eines zahlenmässigen Überhangs von Frauen. Hatten die mehr als 1700 Probandinnen den Eindruck, sie befänden sich in einem Umfeld mit deutlicher Frauenmehrheit, gaben sie eine im Schnitt höhere Unzufriedenheit mit ihrem Körper zu Protokoll. Zudem äusserten sie eher die Absicht, eine Diät zu versuchen, um abzunehmen.

Wenn die Psychologen dagegen einen Männerüberhang suggerierten, war die Unzufriedenheit mit dem Äusseren geringer. Frauen trügen intrasexuelle Konkurrenz unter anderem aus, indem sie ihre Attraktivität erhöhen und einander zu überstrahlen versuchen, argumentieren die Psychologen um Reynolds. Männer legen Wert auf jugendliche Schönheit, das zeigen Studien allen vermeintlich veränderten Rollenbildern und Rollenerwartungen zum Trotz immer wieder. Sind Männer Mangelware, stehen Frauen demnach unter erhöhtem Druck, sich diesen Präferenzen anzupassen.

«Angehörige des überrepräsentierten Geschlechts stehen unter erhöhtem Konkurrenzdruck, um die Aufmerksamkeit potenzieller Partner zu gewinnen», schreiben auch die Psychologen Jon Maner und Joshua Ackerman in einem Beitrag in den «Trends in Cognitive Sciences». Das unterrepräsentierte Geschlecht kann hingegen besonders wählerisch auftreten. Sind Frauen in der Überzahl, zeigen sie eher promiskes Verhalten und gehen leichter Affären ohne grosses Bindungsversprechen ein, wie auch die Psychologen Roy Baumeister und Kathleen Vohs einmal in der Zeitschrift «Personality and Social Psychology Review» berichtet haben. An US-Colleges zum Beispiel hat sich das Geschlechterverhältnis in den vergangenen Jahrzehnten dahingehend verändert, dass dort nun im Schnitt etwa 40 Männer auf 60 Frauen kommen. Das präge die Datingkultur enorm, heisst es in zahlreichen Beiträgen.

Kausalitäten sind dabei schwer zu belegen, auch wenn sie plausibel klingen. Grundlage der Analysen sind Mittelwerte und meist Korrelationen. Auf Bevölkerungsebene etwa korreliert ein Überhang an Frauen mit der Beobachtung, dass weniger Paare heiraten, Männer und Frauen weniger feste Partnerschaften eingehen, es mehr Teenagerschwangerschaften gibt und mehr Gewese um physische Attraktivität gemacht wird.

Mangelt es an Frauen, passen sich Männer stärker an weibliche Präferenzen an.

Sind Männer in der Unterzahl, sind zudem offenbar die Erwerbsrate und die Karriereambitionen von Frauen höher; der Wunsch danach, Kinder zu bekommen, sei verzögert, wie zum Beispiel die Psychologin Kristina Durante von der Rutgers Business School zusammen mit Kollegen im «Journal of Personality and Social Psychology» berichtet hat; auch dahinter stecke die Macht von Angebot und Nachfrage auf dem Markt der Liebe.

Zu ihren Schlüssen kamen die Forscher auf Grundlage von Experimenten ebenso wie von historischen Daten. Im 12. Jahrhundert, so die Forscher um Durante, seien Frauen in Teilen Nordeuropas etwa ökonomisch weitgehend mit Männern auf Augenhöhe gewesen. Damals herrschte arger Männermangel, Kriege, Seuchen, das Übliche. Und so verdienten eben Frauen das Geld, führten Geschäfte und gründeten daran geknüpfte Organisationen. Kaum ein Jahrhundert später, so Durante und ihre Kollegen, waren die Frauen dagegen offenbar wieder weitgehend aus dem Erwerbsleben verschwunden: Es gab wohl wieder mehr Männer.

Gibt es weniger Frauen als Männer, werden weniger Ehen geschieden

Mangelt es hingegen an Frauen, passen sich Männer stärker an weibliche Präferenzen an. In solchen Zeiten beziehungsweise Gesellschaften, so Emily Stone im Fachjournal «Marriage & Family Review», steigt die Rate verheirateter Paare, und es wird auch in jüngeren Jahren geheiratet. Sowohl Frauen als auch Männer geben eine geringere Zahl von Partnern an, mit denen sie schon einmal Sex hatten. Die Scheidungsraten liegen niedriger, und es werden weniger uneheliche Kinder und generell offenbar mehr Kinder geboren. Sind Frauen in der Minderheit, spielten das Ideal einer monogamen Partnerschaft und der traditionellen Familie sowie eine restriktivere Sexualmoral eine grössere Rolle.

Die Psychologen Justin Moss und Jon Maner legen dafür einen kausalen Zusammenhang zumindest nahe. In ihrer im «Personality and Social Psychology Bulletin» publizierten Studie zeigen sie, dass die dominante Sexualmoral sich jeweils an den Präferenzen des Minderheitengeschlechts ausrichtete. Ein höherer Hang zu Promiskuität, wenn Männer unterrepräsentiert waren, eine höhere Bedeutung von Monogamie, wenn es andersherum war.

Das Geschlecht in der Minderheit gibt den Ton an. Sind das Frauen, passen sich demnach die Männer an. Und noch immer stehen Frauen laut internationalen Studien besonders auf Kerle mit hohem sozialen Status. Der Mann mit Macht und Geld, der Superstar, das Alphatier darf sich die besten Chancen ausrechnen. Er ist das begehrte Gegenstück zur physisch attraktiven Frau, der moderne Prinz. Entsprechend fechten die Typen nun ihre intrasexuelle Konkurrenz aus: Es geht um Karriere und andere Aktivitäten, die sozialen Status versprechen. Gibt es zu viele Männer, die um Frauen konkurrieren, haben Psychologen um Vladas Griskevicius in einer Studie gezeigt, fallen ihre ökonomischen Entscheidungen anders aus. Unter diesen Bedingungen sparen sie weniger, gehen eher ins Risiko und sind eher bereit, Kredite aufzunehmen. Kurz: Es geht um den schnellen Gewinn, der Status verspricht, die Konkurrenz schläft schliesslich nicht. Was die Studie von Griskevicius auch zeigt: Unter den Bedingungen eines relativen Männerüberschusses werden von ihnen auch besondere finanzielle Anstrengungen in der Balz erwartet, wie zum Beispiel ein besonders teurer Verlobungsring.

Werden Männer und Frauen in ihrem Konkurrenzgebaren aggressiv, etwa indem sie den Ruf der anderen schädigen, dann trifft es jeweils die Geschlechtsgenossinnen oder -genossen mit dem höchsten Wert auf dem Partnermarkt. Das sind schliesslich die schärfsten Konkurrenten. Besonders stark jedoch wirken die potenziellen Effekte des zahlenmässigen Geschlechterverhältnisses auf jene Frauen und Männer, deren Marktwert eher in den Kellerregionen liegt: Frauen, die als nicht besonders schön wahrgenommen werden, und Männer von niedrigem sozialen Status. Beide Gruppen stehen unter dem stärksten Druck, sich an die Präferenzen des begehrten Geschlechts anzupassen, wenn dieses in der Minderheit ist und die Ansagen machen kann.

Ja, das alles klingt hart und kalt. Nicht jede Geschichte über Frauen, Männer und die Liebe ist rein romantisch. Aber war das nicht längst klar?