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Die Finalissima Napoli - Juventus
Das volle Mass an Drama und Hype

Mit Napoli Leader der Serie A: Trainer Luciano Spalletti.
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Das Gerede von der Finalissima ist natürlich heillos übertrieben. Oder etwa nicht? Im Stadio Diego Armando Maradona von Neapel, dem früheren San Paolo, draussen in Fuorigrotta, tragen die SSC Napoli und Juventus aus Turin an diesem Freitagabend ein schon ziemlich entscheidendes Spiel aus, ein Wegscheidespiel sozusagen. Und da in dieser Begegnung auch immer Italien mitverhandelt wird, Süden gegen Norden, späte Bourbonen gegen späte Savoyer auch, ist wieder alles drin, das volle Mass an Drama und Hype.

So viel vorweg: Gewänne Napoli, zur Saisonhälfte der schönste italienische Leader seit geraumer Zeit, ein perfekt intoniertes Ensemble aus spiellustigen und noch recht namenlosen Choristen, ja, dann würde es wahrscheinlich schon eine Finalissima gewesen sein.

Verliert Napoli, ist die Magie vielleicht weg – aber sonst …

Sieben Punkte liegen zwischen Napoli und Juve, das sich den zweiten Tabellenplatz in der Serie A gerade mit der AC Milan teilt. Nach einem Sieg wären es zehn, zweistellig. Und wenn den Turinern in ihrer Vereinsgeschichte auch memorable Aufholjagden gelungen sind, auch scheinbar mirakulöse waren dabei, so ist diesmal vielleicht doch alles ein bisschen anders.

Seit 33 Jahren warten die Neapolitaner auf ihren dritten Meistertitel, seit Maradona eben. Und selten schienen die Aussichten so gut zu sein wie in dieser Saison, da die Rivalen aus Turin, Mailand und Rom allesamt unstet sind, ach was: dramatisch unterlegen in Spiel und Konstanz. Bislang wenigstens. Aber es ist noch eine Weile Winter, dann kommt der Frühling, der frühe Sommer. Verlöre Napoli gegen Juve, wäre der hohe Vorsprung für Erstere dahin, dann zerbräche vielleicht auch die Magie, dann könnte das Momentum ganz plötzlich verwehen. Ist Neapel nicht oft eingebrochen in der Rückrunde?

Also doch: Finalissima!

Mit Juventus erster Verfolger von Napoli: Trainer Massimiliano Allegri.

Im grossen Duell gibt es auch ein philosophisches zwischen den Trainern, von zwei Herrschaften mit je sehr unterschiedlichen Spielideologien, beide aus der Toskana, der geografischen Schnittstelle zwischen Süd und Nord, Scholle vieler italienischer Fussballlehrer. Luciano Spalletti, der Coach von Napoli, 63 Jahre alt, kommt aus Certaldo, einer Kleinstadt im Landesinnern zwischen Siena und Florenz; Massimiliano Allegri, 55 Jahre alt, fünfmal Meister mit Juve, kommt aus der Hafenstadt Livorno. Luftlinie: vielleicht sechzig Kilometer. Dazwischen: tausend toskanische Hügel. Es trennen sie Welten.

Beide waren Mittelfeldspieler in ihrer Aktivzeit, keine sehr erinnerungswürdigen Fussballer. Spalletti, ein Wasserträger im Mittelfeld, blieb in der Serie C hängen, der dritten italienischen Liga. Allegri, ein Spielgestalter, brachte es bis in die Serie A, Spuren hinterliess er da aber keine. Einmal sagte er in seiner unnachahmlich dürren Art: «Ich war ein mediokrer Spieler.»

Spannend ist dieser Rückblick auf ihre Aktivzeit nur, weil die Spieler, die sie waren, so gar nicht zu den Trainern passen wollen, die sie geworden sind.

Der Ästhet auf dem Traktor: Napolis Trainer Spalletti

Spalletti hat ziemlich viel Sinn für Ästhetik, fast schon manieriert wirkt das manchmal. Seine Mannschaften spielen choral und rund und trotzdem vertikal, mit Überfallspielern in der Spitze, die dort eigentlich nichts zu suchen haben: den «incursori» aus dem Mittelfeld und der Abwehr. Spalletti kokettiert damit, dass er vom Land kommt und gerne auf dem Traktor sitzt, er besitzt einen Hof in Certaldo, ein Weingut. Aber sein Fussball ist modern, urban, wenn man will. Gibt man ihm genügend Zeit, verpasst Spalletti jeder Mannschaft seine Matrix. Im vergangenen Sommer zwang ihm sein Boss, Vereinspräsident Aurelio De Laurentiis, eine Sparkur auf.

Die gesamte Nomenklatura ging: Lorenzo Insigne, Dries «Ciro» Mertens, Kalidou Koulibaly, Fabian Ruiz. Es kamen Leute, von denen man davor nie oder wenig gehört hatte: der Südkoreaner Kim Min-jae, der 21-jährige Georgier Khvicha Kvaratskhelia, Giovanni Simeone, der Sohn von Diego Simeone. Okay, man leistete sich für 30 Millionen Euro den jungen Nationalstürmer Giacomo Raspadori. Aber insgesamt war das ein generelles Downgrading. Es hiess, so wird das nie mehr etwas werden.

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Doch Spalletti gelang es, aus einem höchstens durchschnittlich bemittelten Personal ein selbstbewusstes Team zu komponieren. Spieler, von denen niemand mehr viel erwartet hatte, feiern da Triumphe über die Prognostiker. Mario Rui, Juan Jesus, Stanislav Lobotka? Voll da. Dieser Kim? Koulibaly ist schon fast vergessen. Und klar, dann ist da noch das «genietto», das kleine Genie aus Georgien mit dem unaussprechbaren Namen, das an guten Tagen zu unerhörten und wohl auch ungesunden Vergleichen verleitet: Kvaradona! Spalletti schützt ihn vor den Hochjublern, wenn es mal nicht so rund läuft wie zuletzt. Aber was für eine Wonne.

Die Metapher aus dem Pferdesport: Juves Trainer Allegri liebt sie

Allegri ist ganz anders. Als Spieler war er eine 10, als Trainer aber gibt er mit viel Lust den Maurer und Zyniker. Ästhetik hält er für eine dramatisch überbewertete Kategorie.

Es ist noch nicht lange her, da wünschten sich die Juventini den Trainer weg. Allegri hätte nie zurückgeholt werden sollen, hörte man, Rückkehrer servierten meistens nur Aufgewärmtes, selten Gourmet. Juves Spiel passte dann auch perfekt zum Desaster in der Vereinsleitung, zu den vielen Wirren mit der Justiz wegen der «Plusvalenze», der Tricksereien auf dem Transfermarkt und der Schönung in der Buchhaltung, die nun bald in einem Strafprozess verhandelt werden. Alles sehr hässlich. Im Herbst war Juventus Achter, eine Katastrophe. Aus der Champions League flog man auch wieder früh, von wegen Super League. Das üppig gepolsterte Selbstverständnis, es lag am Boden.

Nun ist man plötzlich zurück, wenigstens sportlich. Acht Siege in Folge. Kein einziges Gegentor. Überhaupt hat Juve in dieser Saison erst sieben Tore kassiert, so wenige wie kein anderer Verein in den grossen Ligen Europas. Zwölfmal spielten die Turiner schon zu null. Und, jetzt kommts: In der Serie von acht Siegen gab es fünf 1:0. Oftmals fiel das eine Tor kurz vor Schluss, selten sehr verdient in der Summe. Mehr Allegrismus geht gar nicht. 1:0 ist sein Traumresultat, die Quintessenz seiner Philosophie, alte italienische Schule.

Hier muss nun kurz von Pferdesport und vom Begriff «corto muso» die Rede sein – wörtlich: kurze Schnauze. In Pferderennen kommt es ja mal vor, dass ein Pferd in allerletzter Sekunde und ganz knapp noch am Leader vorbeizieht, um eine Schnauzlänge eben. Allegri ist ein Pferdefreund, er besitzt selbst welche, Vollblüter. Er soll in Livorno schon oft auf der Rennbahn gesehen worden sein. Und so brauchen die italienischen Zeitungen nun die Metapher als ständige Illustration für Juves Verfassung. Als Siegstrategie ist «corto muso» allerdings eine riskante Sache. Mal steht zum Schluss dann noch ein Pfosten im Weg, mal ein gegnerisches Bein. Oft ist es einfach Dusel.

Das «Maradona» wird zum ersten Mal in dieser Saison voll sein, 60’000 Zuschauer. Weil, nun ja, es ist halt eine Finalissima.