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Unterwegs mit Zürichs «Mister Krebs»
Das vergessene Wassertier

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Er sieht die Tiere, wo sie andere übersehen.
Zoologe Thomas Stucki erinnert in perfekter Flusskrebs-Umgebung an eine ehemals stark verbreitete einheimische Tierart, den Steinkrebs.
Er sieht die Tiere, wo sie andere übersehen.
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«Wo haben Sie den gefunden?» Zwei Schüler auf dem Heimweg wundern sich, als Thomas Stucki am Wegrand steht und einen Krebs begutachtet. Stucki präsentiert das Tier und bietet den Schülern an, ihn einmal selber in die Hand zu nehmen.

Nach einem kurzen Zögern und der Anweisung, den Steinkrebs mit zwei Fingern von oben am Oberkörper zu fassen, getrauen sie sich. Das gut zehn Zentimeter lange Männchen geht in Imponierstellung, die Knaben sind fasziniert. Ihnen war nicht bewusst, dass es fast vor ihrer Haustür so viele Krebse gibt.

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Aber es gibt auch schon Nachwuchs.
Der Steinkrebs befindet sich wie die anderen einheimischen Arten auf dem Rückzug.
Diese Exemplar im Langnauer Striempelbach hat eine Schere und Beine verloren.

Wir stehen am Striempelbach in Langnau am Albis. Auf der einen Seite des Bachs verläuft eine Quartierstrasse mit Mehrfamilienhäusern, auf der anderen ein Gehweg. Im Bach sind Steinkrebse zu sehen. Einige rudern auf dem Rücken, eigentlich kein gutes Zeichen. «Vielleicht häuten sie sich gerade», sagt Stucki. «Das ist die für sie gefährlichste Phase.» Sie sind dem Reiher, der Bisamratte oder anderen Tieren ausgeliefert.

Ausserordentlich ist auch, dass sie am Tag so gut sichtbar sind. Krebse sind nachtaktiv. Dann verlassen sie ihre Verstecke unter den Steinen oder im Geäst und begeben sich auf die Suche nach kleinen Wassertieren und pflanzlicher Nahrung. Sie sind wichtige Regulatoren der Natur und damit bedeutend für die Biodiversität.

Thomas Stucki ist «Mister Krebs», sagt Rolf Schatz. Die beiden sind Süsswasserkrebs-Lobbyisten. Stucki ist Präsident des Forums Flusskrebse und Chef der Aargauer Jagd- und Fischereiverwaltung. Schatz ist Langnauer GLP-Gemeinderat und immer auf Achse, wenn es darum geht, die Wasserfauna zu schützen oder Aufklärungsarbeit zu leisten.

Rolf Schatz setzt sich seit vielen Jahren für die Flusskrebse ein. Er ist wenig optimistisch für deren Zukunft.

Im Sihltal eingefunden haben sich die beiden Männer, weil ab Donnerstag in Langnau das Internationale Flusskrebs-Forum stattfindet, das sie organisieren. 

Flusskrebse stehen selten im öffentlichen Fokus. Wenn die Wassertemperaturen hoch sind oder Politiker das Restwasser unterhalb der Stauseen reduzieren wollen, um einem allfälligen Strommangel zuvorzukommen, ist stets von den gefährdeten Fischen die Rede, vor allem von den Forellen und Äschen. «Die Flusskrebse gehen vergessen», sagt Stucki. «Sie haben im Gegensatz zu den Fischen keine Lobby.» Obwohl gerade die Krebse in den kleineren Gewässern leben und ebenso auf Wasser angewiesen sind. «Krebse gehören zu unserem Lebensraum», so Stucki.

Kürzlich rettete Rolf Schatz mit einer Handvoll Freiwilligen ein paar Dutzend Krebse aus dem vertrockneten Grenzbach in Oberrieden und brachte sie in den nahen Chrebsbach. Für die nächtliche Aktion wurde vom Hydranten oberhalb des Bachs Wasser abgelassen.

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Im Wassereimer geht es auf die Reise.
Rettungsaktion: Freiwillige haben am 12. August im ausgetrockneten Oberriedner Grenzbach Krebse gesammelt und sie im ein paar Kilometer entfernten Chebsbach (Foto) eingesetzt. 
Lichtscheu und ohnehin selten im Scheinwerferlicht: Der Steinkrebs.

Es gibt vier einheimische Krebsarten. Die grösste Art ist der Edelkrebs, der inklusive Scheren gut und gern 20 Zentimeter gross werden kann und im letzten Jahrhundert – etwa in Klöstern – noch als Delikatesse galt. Neben den Steinkrebsen gibt es noch den Dohlenkrebs und den Italienischen Dohlenkrebs, der im Tessin, Wallis und in Graubünden auftritt. Alle stehen auf der roten Liste und sind stark gefährdet. Der Italienische Dohlenkrebs ist gar vom Aussterben bedroht. Vor ein paar Jahrzehnten waren sie noch stark verbreitet gewesen. 

Fremde Krebse bedrohen einheimische

Zu schaffen machen den einheimischen Krebsen zwei Gattungen: Der Mensch, der ihre Umgebung verbaute und das Wasser vergiftete. Und fremde Krebse, die meist aus gastronomischen Zwecken ausgesetzt wurden. Sie haben die Krebspest eingeschleppt, die für die einheimischen Tiere tödlich ist. Sie selbst sind resistent gegen die Krankheit.

Schlagzeilen machte vor allem der Rote Amerikanische Sumpfkrebs, der sich etwa im Küsnachter Schübelweiher, im Katzensee oder im Furtbach breitmachte. Im Zürichsee und in der Limmat sind Kamberkrebse, Galizierkrebse oder Signalkrebse zu finden. Sie gefährden die lokalen Arten, da sie früher geschlechtsreif werden, sich viel schneller vermehren, schneller wachsen und überdies als aggressiv gelten.

«Eigentlich müsste man die Flusskrebse neu Bachkrebse nennen.»

Thomas Stucki, Forum Flusskrebse

Aus den Flüssen sind die einheimischen Krebse, die acht bis zehn Jahre alt werden können, praktisch verschwunden und haben sich in kleinere Gewässer zurückgezogen. «Eigentlich müsste man sie neu Bachkrebse nennen», sagt Zoologe Stucki.

Diverse Kantone wie Zürich, Aargau oder St. Gallen haben Programme ins Leben gerufen, um die Flusskrebse zu schützen. National gibt es eine Koordinationsstelle. Viel hängt aber vom Engagement von Einzelpersonen ab.

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… der Krebs wohl.
Für den Laien ein gewöhnungsbedürftiger Anblick: Ein Steinkrebs erkundet die Hand von Thomas Stucki.
Ideales Habitat für den Flusskrebs: Bach mit Wasser und viel Uferstruktur wie Pflanzen und Steine. Da fühlt sich…

Im Bezirk Horgen, wo es vergleichsweise viele Krebse gibt, ist bloss noch jeder elfte oder zwölfte Bach mit den Gliederfüsslern bevölkert. «Damit sich die Population erholt, braucht es noch viel Arbeit», sagt Stucki. «Vor allem für das Mittelland bin ich nicht optimistisch», ergänzt Rolf Schatz.

Krebse unter Schock stossen Scheren ab

Auch die steigenden Temperaturen machen den Flusskrebsen zu schaffen. «Ab 25 oder 26 Grad wird es für sie schwierig», so Stucki. Wobei Edelkrebse weniger heikel sind als die meisten Fische. Elektrisch abfischen und umsiedeln ist wiederum schwieriger, da man schon beobachtet hat, dass Krebse im Stress ihre Scheren abstossen und sterben. 

Die Trockenheit ist für die Krebse ebenfalls etwas weniger schlimm, da sie in der Lage sind, durch ihre Spezialkiemen für kurze Zeit Sauerstoff aus der Luft zu nehmen, und sich – anders als Fische – in feuchter Erde vergraben können. Dazu brauchen sie aber schattige Stellen und eine gute Bachstruktur mit bewachsenen Uferpartien – wie im Langnauer Striempelbach, der renaturiert wurde. Stucki plädiert für Rinnen in den Bächen, da diese weniger schnell versiegen als breitere Bachbetten.

Quellen für Tiere statt für Menschen

Trotzdem ist die Trockenheit ein Risiko für alle aquatischen Lebewesen, sagt Rolf Schatz. Deshalb wälzt er als Verantwortlicher für die Wasserversorgung die Idee, die Trinkwasserquellen im Sihltal der Natur zu überlassen und sich für die Versorgung der Menschen auf das Seewasser zu konzentrieren. «Wir können das Wasser aus dem Zürichsee pumpen», sagt er. «Die Krebse nicht.»

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