CO₂-DebatteDas sind die fünf grössten Streitpunkte im neuen Klima-Gesetz
Heute und morgen erweist sich, wie grün der Nationalrat nach den Wahlen im Herbst geworden ist: Er entscheidet über Massnahmen von Benzinpreisen über Gebäudevorschriften bis zur Flugticketabgabe.
Es gab einen Aufschrei, der noch immer nachhallt: Das Klimaschutzgesetz scheiterte vor zwei Jahren im Nationalrat, nachdem es von den Bürgerlichen verwässert worden war. Die Wählerschaft stellte ihnen im vergangenen Herbst die Quittung dafür aus – und bescherte grünen Parteien einen Wahlsieg.
Heute Dienstag und morgen Mittwoch nimmt der Nationalrat einen zweiten Anlauf, um ein neues CO₂-Gesetz zu beschliessen. Die Vorzeichen sind diesmal ganz anders: Die grünen Kräfte sind gestärkt, die FDP hat sich zu einer Klimawende durchgerungen, und der – oft konservativere – Ständerat hat eine grundsätzlich mehrheitsfähige Vorlage gezimmert. Daran ändert auch die Corona-Wirtschaftskrise nichts: Mit 141 zu 54 Stimmen wies der Nationalrat am Dienstag einen Antrag der SVP ab, es noch einmal von der Kommission überarbeiten zu lassen.
Trotzdem wird in der grossen Kammer noch um wichtige Entscheidungen gerungen: am Dienstag um die Ziele und die Gebäudevorschriften, am Mittwoch dann um die Treibstoffpreise und die Flugticketabgabe. Bereits so gut wie klar ist, dass dereinst die Bürgerschaft an der Urne über das Gesetz entscheiden wird, weil die SVP das Referendum ergreifen will.
Sparziel
Mit Ausnahme der SVP sind sich alle Fraktionen im Bundeshaus einig: Die Temperatur auf der Erde soll um maximal 2 Grad steigen gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter, gar möglichst nur um 1,5 Grad. Das entspricht dem Pariser Klimaabkommen.
Damit ist die Einigkeit aber auch schon vorbei. Bei den konkreten Zielen stehen drei verschiedene Vorschläge zur Debatte: Soll die Schweiz den Ausstoss von Treibhausgasen bis 2030 auf 40, 50 oder 60 Prozent senken? Vor zwei Jahren stand das Land bei 86 Prozent, wobei stets das Jahr 1990 als Vergleich dient. Eigentlich müsste der Wert Ende dieses Jahres auf 80 Prozent sinken, was die Schweiz voraussichtlich knapp verfehlen wird.
Bei der Festsetzung der Ziele geht es nicht nur um einen Zahlenstreit. Vielmehr leiten sich die Klimaschutzmassnahmen daraus ab: Je ambitionierter der Plan, desto einschneidender müssen auch die konkreten Vorschriften sein. Eine Reduktion auf 50 Prozent bis in zehn Jahren schlagen der Bundesrat, CVP und FDP vor. Ein ehrgeizigeres Ziel von 40 Prozent verlangen SP, Grüne und Grünliberale, für einen möglichst hohen Wert plädiert die SVP. Sie argumentiert, die Schweizerinnen und Schweizer hätten schon sehr viel für den Klimaschutz getan, der CO₂-Ausstoss pro Kopf sinke stetig. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wies darauf hin, dass die Pro-Kopf-Emissionen 5,4 Tonnen betragen, rund zehnmal mehr als das, was laut Wissenschaft nachhaltig ist. Der Nationalrat beschloss schliesslich deutlich mit 143 zu 55 Stimmen, das Ziel nicht zu senken, und mit 126 zu 72 Stimmen ebenfalls klar, es nicht zu verschärfen.
Umweltorganisationen und einige Parlamentarier kritisierten, diese Ziele seien ungenügend. Sommaruga verteidigte das Gesetz im Rat trotzdem: Man könne der Klimajugend nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Vielmehr müsse man das Machbare und Mehrheitsfähige beschliessen und einen Schritt in die richtige Richtung tun.
Sparen in der Schweiz oder im Ausland
Die Schweiz kann ihre Treibhausgas-Bilanz verbessern, indem sie den Ausstoss im Inland senkt oder entsprechende Projekte im Ausland unterstützt. Dabei steckt sie in einem Dilemma: Im Ausland kann pro investierten Franken mehr gespart werden, im Inland ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die heimische Wirtschaft profitiert. Die Schweizerische Akademie für Wissenschaften weist aber darauf hin, dass das Potenzial für Projekte im Ausland rasch schwinden dürfte, weil die Preise in Zukunft stark steigen dürften.
Mindestens 60 Prozent der CO₂-Einsparungen müssten im Inland geschehen, schlugen Bundesrat, CVP und FDP vor. Ein Teil der CVP sowie Grüne und SP forderten, dass dieser Wert auf 75 Prozent angehoben wird, die SVP wiederum wollte alle Vorschriften dazu streichen. Auch dieses Ziel ist entscheidend dafür, wie griffig die Klimaschutzmassnahmen ausfallen werden. Mit jenen, welche im Gesetz vorgesehen sind, würden rund 75 Prozent im Inland erreicht: Diese Vorgabe bekräftigte der Nationalrat mit 111 gegen 86 Stimmen. Von den 50 Prozent, um die der Ausstoss bis 2030 sinken soll, würden damit mindestens 37,5 mit Massnahmen in der Schweiz selbst erreicht. Umweltorganisationen wie die Klima-Allianz kritisierten das als ungenügend: In Schottland betrage das Ziel 66 Prozent, in der EU werde ein Wert zwischen 50 und 55 Prozent diskutiert. Mehrere Anträge, welche diese Forderung erfüllen und noch weiter gehen würden, reichte die Genfer Kommunistin Stéphanie Prezioso Batou ein. Sie blieb damit aber chancenlos.
Benzin- und Brennstoffpreise
Die Benzinpreise werden morgen Mittwoch zu einem grossen Thema. Der Kompensationsaufschlag soll bis auf 12 Rappen pro Liter steigen können: So schlagen es der Ständerat sowie die linken Parteien vor. Die SVP und ein Teil der FDP wollen diesen Aufschlag auf 8 Rappen begrenzen; sie dürften damit aber keine Mehrheit finden. Einen Kompromissvorschlag, der möglicherweise Chancen hat, lanciert nun der Walliser CVP-Nationalrat Philipp Matthias Bregy: Er schlägt vor, den Zuschlag auf 10 Rappen zu begrenzen und dem Bundesrat die Kompetenz zu erteilen, die Obergrenze vorübergehend zu reduzieren, «wenn die wirtschaftliche Notwendigkeit nachgewiesen wird».
Mit diesem Vorschlag wollen CVP-Vertreter den ländlichen Gebieten entgegenkommen und die Gefahr mindern, dass das Gesetz in der Wirtschaftskrise nach Corona an der Urne abstürzt. Die Gefahr besteht: Die SVP, die mit dem Referendum droht, kritisierte im Nationalrat, das CO₂-Gesetz bestrafe die Landbevölkerung, die auf das Auto angewiesen sei.
Die linken Parteien sehen hier allerdings keinen Widerspruch: «Wer das Auto wirklich und viel braucht, steigt sowieso besser auf Elektromobilität um», sagte SP-Nationalrat Beat Jans. Das sei heute schon günstiger als ein Auto mit Benzin- oder Dieselmotor. Im Gesetz ist zudem vorgesehen, den Kantonen und Gemeinden jährlich 60 Millionen Franken zur Verfügung zu stellen für Klimaschutzprojekte, beispielsweise die Installation von Elektroauto-Ladestationen in Mehrfamilienhäusern.
Für Diskussionen sorgt auch die CO₂-Abgabe auf fossile Brennstoffe. Heute beträgt sie maximal 120 Franken pro Tonne, in Zukunft sollen es bis zu 210 Franken sein. Die SVP wehrt sich dagegen, doch dürfte sie damit klar unterliegen.
Flugticketabgabe
Die Flugticketabgabe ist der Zankapfel, der vor zwei Jahren zum Absturz des Gesetzes führte, weil die SVP sowie Teile von FDP und CVP sie aus dem Gesetz strichen. Der Ständerat hat sie wieder eingefügt, und diesmal scheint der Fall klar: Zwar wehren sich noch immer einige Bürgerliche gegen die Abgabe oder wollen sie verzögern, doch dürften diese am Mittwoch unterliegen. Das liegt wesentlich daran, dass die FDP-Fraktion die Abgabe jetzt mehrheitlich unterstützt und auch in der CVP nur noch eine kleine Minderheit dagegen ist.
Die Abgabe beträgt voraussichtlich mindestens 30 und maximal 120 Franken, die Details wird der Bundesrat festlegen. Grüne und SP verlangen, dass Passagiere der Business und First Class noch höhere Abgaben leisten sollen, doch dürfte dieser Antrag chancenlos sein. Für Privatjets soll die Abgabe zwischen 500 und 5000 Franken betragen; von der Abgabe befreit werden sollen kleine Privatflugzeuge, wie sie etwa für Flugschulen zum Einsatz kommen. SP und Grüne wollen sie auf bis zu 20’000 Franken erhöhen.
Energievorschriften für Gebäude
Eigentlich sind die Energievorschriften für Gebäude Sache der Kantone. Weil viele von ihnen es aber verpasst haben, die Verbrauchswerte rechtzeitig zu senken, soll nun der Bund eingreifen: Ab 2023 würde es faktisch verboten, neue Ölheizungen einzubauen, es sei denn, diese werden mit Biobrennstoff betrieben. Die Kantone hatten sich gegen diese Bestimmung gewehrt. Im Nationalrat zeichnet sich nun ein Kompromiss ab: Die Bundesregeln gelten nur in jenen Kantonen, welche selbst keine griffigen Massnahmen beschlossen haben.
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