Analyse zur AHV-ReformDas ist ein fairer Rentendeal
Vier Jahre nach dem Scheitern der grossen Reform macht das Parlament dem Volk ein neues Angebot: Rentenalter 65 für Frauen, sozial abgestufte Rentenzuschläge und eine Geldspritze für die AHV.
Das ist nun ein kleiner Reformschritt. Einen solchen hatte Sozialminister Alain Berset für die erste und die zweite Säule angekündigt, nachdem das Volk 2017 den grossen Wurf abgelehnt hatte. Einiges spricht dafür, dass nach 25 Jahren Stillstand diese AHV-Reform vor dem Souverän Gnade findet.
Denn in weiten Kreisen der Bevölkerung dürfte sich die Meinung durchgesetzt haben, dass für Frauen und Männer das gleiche Rentenalter gelten soll und dass strukturelle Benachteiligungen der Frauen bei der Entlöhnung oder in der zweiten Säule dort beseitigt werden müssen, wo die Diskriminierung besteht. Wenn Frauen tiefere Pensionskassenrenten haben als Männer, hilft es ihnen wenig, wenn sie ein Jahr weniger lang Erwerbsarbeit leisten müssen.
Bis 160 Franken mehr Rente
Altersvorsorgevorlagen wurden jedoch vom Volk bisher nur angenommen, wenn Verschlechterungen mit Gegenleistungen wenigstens teilweise aufgewogen wurden. Insofern kann die aktuelle Vorlage AHV-21 als fairer Rentendeal betrachtet werden. Die Gegenleistung besteht für neun Jahrgänge aus Rentenzuschlägen, von denen Frauen mit tiefen Einkommen mehr profitieren als jene mit mittleren und hohen Löhnen. Die monatlichen, lebenslangen Rentenzuschläge betragen 160 Franken für tiefe Einkommen, 100 Franken für mittlere und 50 Franken für höhere Einkommen.
Allerdings bekommen nur jene zwei Jahrgänge, für die als Erste Rentenalter 65 gilt, diese Zuschläge zu 100 Prozent. Die nachfolgenden vier Jahrgänge erhalten einen Teilzuschlag. Das Gleiche gilt für die ersten drei von einer Rentenaltererhöhung betroffenen Jahrgänge. Denn das Rentenalter wird in vier Schritten auf 65 angehoben: Voraussichtlich wird für Frauen des Jahrgangs 1960 das Rentenalter erstmals um ein Vierteljahr auf 64 Jahre und 3 Monate erhöht. Entsprechend erhalten sie 25 Prozent des Rentenzuschlags. Ab Jahrgang 1963 gilt dann Rentenalter 65, deshalb bekommen diese Frauen den vollen Zuschlag.
Zusätzlich wird für die Übergangsgeneration die Frühpensionierung abgefedert. Frauen mit tiefen Renten können ohne Kürzung weiterhin mit 64 Jahren in Pension gehen. Auch für die anderen sind die Kürzungssätze kleiner als regulär. Und Frauen, die im Alter auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind, müssen sich den Rentenzuschlag bei der EL-Berechnung nicht als Einkommen anrechnen lassen.
Auch viele Frauen halten das tiefere Rentenalter für überholt.
Bei der Rentenaltererhöhung für die Frauen handelt es sich trotzdem um eine Sparmassnahme. In den ersten zehn Jahren der Reform wird die AHV um rund 10 Milliarden entlastet. Rund ein Drittel davon fliesst aber zurück an die Übergangsgeneration. Verglichen mit der 2017 gescheiterten Altersvorsorge 2020 ist die Abfederung zielgerichteter. Die gescheiterte Reform sah einen monatlichen AHV-Zuschlag von 70 Franken für alle Neurentner vor, für Männer und Frauen. Dieser mit Lohnbeiträgen finanzierte Giesskannenzuschlag stiess bei Wirtschaftsverbänden sowie bei FDP und SVP auf vehementen Widerstand.
Die aktuelle AHV-Reform wird nun im bürgerlichen Lager breit unterstützt – von GLP, Mitte, FDP und SVP, was die Chancen gegenüber der letzten Reform deutlich erhöht. Abgestimmt wird voraussichtlich im September 2022. Die Gewerkschaften haben der Vorlage den Kampf angesagt, SP und Grüne werden sich am Referendum beteiligen.
Ziehen die Argumente der Linken?
Allerdings bleibt abzuwarten, wie vehement die Linke vor allem in der Deutschschweiz dagegen antritt. Zwar stellen die Gewerkschaften die Erhöhung des Pensionsalters als Rentenkürzung für die Frauen dar, weil diese für die volle AHV-Rente ein Jahr länger arbeiten müssen. Dass diese Darstellung bei allen Frauen verfängt, darf jedoch bezweifelt werden. Denn auch viele Frauen halten das tiefere Rentenalter für überholt.
Auch ohne Referendum könnte das Volk über die AHV-Reform abstimmen, weil die Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte erhöht wird. Dies bringt der AHV jährlich zusätzliche Einnahmen von 1,4 Milliarden Franken, was die Rentenfinanzierung bis gegen Ende dieses Jahrzehnts sichert. Auch dies dürfte für die Vorlage sprechen. Denn erstens zahlen bei der Mehrwertsteuer auch die Rentnerinnen und Rentner mit und nicht wie bei Lohnabzügen nur die Erwerbstätigen. Und zweitens dürfte der Mehrheit im Volk klar sein, dass die AHV ohne Zusatzeinnahmen die steigende Zahl von Rentenbezügern nicht tragen kann.
Für die Bürgerlichen wird der Abstimmungskampf dennoch kein Spaziergang. Denn sie sehen die Erhöhung des Frauenrentenalters nicht nur als Sparmassnahme, sondern als ersten Schritt für eine generelle Erhöhung auf 66 und 67 Jahre. Und dafür gibt es wohl zurzeit in der Bevölkerung keine Mehrheit. Die Linke wird deshalb ans taktische Kalkül der Stimmberechtigten appellieren: Mit einem Nein zur Erhöhung des Frauenrentenalters wird auch Rentenalter 67 verhindert. Dennoch ist den meisten Stimmberechtigten wohl bewusst, dass sie die Erhöhung des Rentenalters über 65 hinaus zu gegebener Zeit immer noch an der Urne verhindern können.
Fehler gefunden?Jetzt melden.