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Einsatz auf Bauernhof
Schweizer Behörden vergessen nie: Ein Journalist findet sich als «Zivi» in Äthiopien wieder

«Ferenj» wird er genannt – «der entfernte Fremde»: Der Zivildienstleistende Serafin Reiber mit einem Stallarbeiter in Äthiopien.
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In Kürze:
  • Ein Schweizer Journalist leistet Zivildienst auf einem Bauernhof in Äthiopien.
  • Der gelernte Landwirt wurde in Deutschland von seiner Dienstpflicht eingeholt.
  • Schwierigkeiten mit Führungskultur und Bürokratie erschweren Verbesserungen.
  • Trotz Herausforderungen gibt es Hoffnung auf positive Veränderungen.

Und dann brennen sie doch. Endlich greifen die Flammen auf die toten Legehennen über, der Rauch wird dichter, durchzieht die noch warme Abendluft mit dem süsslichen Geruch der Verwesung. Ich lege altes Heu und die Reste eines Baugerüsts aus Eukalyptus nach, stecke das Feuerzeug ein. Ebsa, der Stallchef, schreckt zurück, zieht sein T-Shirt über Mund und Nase. 

«I’m feeling sick», sagt er und grinst. Die Melker und Stallarbeiter stecken die Köpfe zusammen. «Ferenj», sagen sie halblaut, auf Amharisch «der entfernte Fremde», gefolgt von Worten, die ich nicht verstehe. Ich greife nach einer Mistgabel, werfe die Überreste eines toten Stierkalbs in die Flammen. 

Ein Bürgerkrieg kam dazwischen

Es ist Anfang Oktober, meine erste Woche in Äthiopien am Horn von Afrika. Bis Ende des Jahres soll ich versuchen, die Haltung von rund 50 Milchkühen, 30 Jungvieh und mehreren Tausend Legehennen zu verbessern. Die Arbeit für die Landwirtschaft des Schweizer Kinderhilfswerks Selam ist der letzte Teil meines Zivildiensts. Wie etwa 50 andere Schweizer pro Jahr leiste ich meinen Dienst im Ausland, in der Entwicklungszusammenarbeit. Gelernt habe ich Landwirt. Erst in Graubünden, wo ich aufgewachsen bin, später in der Westschweiz. 

Schon einmal hätte ich nach Addis kommen sollen. 2020, gleich nach der Lehrabschlussprüfung. Doch nur wenige Tage nach dem Vorstellungsgespräch kam die Pandemie, später ein Bürgerkrieg mit über 500’000 Toten in Tigray, im Norden des Landes. 

Das Vorhaben verzögerte sich, wie so vieles in Äthiopien. Ich aber wollte nicht warten, zog nach Deutschland, wurde Politikkorrespondent beim «Spiegel» in Berlin – und hätte das Unterfangen im deutschen Polittheater fast vergessen. 

Wie lässt sich der Betrieb verbessern? Zivi Serafin Reiber, gelernter Landwirt, in Addis Abeba mit Mitarbeitern des Bauernhofs.

Schweizer Behörden aber vergessen nie. Zu Jahresbeginn erinnerten sie mich per Brief und in scharfem Ton an meine Dienstpflicht. Es gab kein Entrinnen. Ich nahm unbezahlten Urlaub. Und ein paar Monate später fand ich mich mit 27 Jahren an einem Oktobertag am Frankfurter Flughafen wieder, mit Koffern voller Arbeitskleider, Stiefel und Werkzeug für Äthiopien.

Eigentlich wollte ich die Dinge langsam angehen. Ich habe mir vorgenommen, die ersten Wochen still mitzuarbeiten, zu beobachten, nicht einzugreifen. Erst verstehen, dann vorschlagen – aus Respekt vor einer mir fremden Kultur. Und natürlich auch aus Sorge davor, einer dieser wohlmeinend-naiven Entwicklungshelfer zu werden, die seit vielen Jahrzehnten auf diesen Kontinent einreiten: blindwütig entschlossen, ihre Vorstellungen von Fortschritt durchzusetzen, ohne dabei auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen, um die es eigentlich geht. 

So weit die Theorie. Dann kam mein erstes Wochenende auf dem äthiopischen Bauernhof. 

Die Warnung von Docteur Jaquier

An einem Samstag nach dem Melken entdecke ich auf der Weide Berge von Hühner-, Rinder- und Kälberkadavern, Schlachtabfälle, stolpere über einen Kuhschädel im hohen Gras. Selbst das auf dem Gelände lebende Hyänenrudel hat das Fleisch verschmäht.

In der äthiopischen Mittagshitze erinnere ich mich an zähe Winternachmittage in der Berufsschule in Moudon in der Vallée de la Broye.  Docteur Jaquier hielt dort seine in langsamen Fribourger Französisch gehaltenen Vorträge über Tierseuchen und Zoonosen, also Tierkrankheiten, die auf den Menschen übergehen können und zu Katastrophen führen, stets mit abschreckenden Bildern untermalt. 

Bloss weg damit, fährt es mir durch den Kopf. Und so erlaube ich mir schon nach wenigen Tagen eine Abweichung von meinem Plan. Erst versuche ich, den Stallchefs das Problem «Tierseuche» zu erklären, versuche es mit Diplomatie, Beispielen, Vergleichen. Man hört mir zu, nickt eifrig. Und doch merke ich: Ohne Befehl von oben läuft in Äthiopien nichts. Ich solle mein Problem mit dem «Big Boss» besprechen. Nur er könne entscheiden, was mit den toten Tieren geschehen solle.

Kein Treibstoff erhältlich

Widerwillig suche ich den obersten Betriebsleiter, einen freundlichen, feinfühligen Mann Anfang 50, der früher Physiklehrer war. Es gefällt mir nicht, wegen ein paar Tierkadavern ins Büro des Einheimischen zu gehen. Besonders, weil die in Äthiopien verbreitete Schamkultur dazu führt, dass in Bedrängnis geratene Chefs nach unten treten, ihren Angestellten das Leben zur Hölle machen.

Eine vom Ferenj, vom Fremden, angestrengte Rüge von ganz oben könnte das Vertrauen der Belegschaft über Wochen zerstören, meine Vorhaben hier blockieren. Ich zögere, denke dann aber doch an Dr. Jaquier und seine Bilder, bitte um ein paar Liter Benzin und um Unterstützung.

Treibstoff aber ist an diesem Nachmittag nicht zu bekommen. Auf dem Hof gibt es kaum Maschinen, und auch die sind selten betankt. An der nahen Tankstelle an der Strasse stehen die Autofahrer seit dem Morgen und warten. 

Dafür leiht mir Goitom, der Betriebsleiter, seine Autorität. Ich solle alle Unterstützung bekommen, die ich brauche. Und so stehen wir bald zusammen auf der Weide, um die Kadaver zu verbrennen – mit Plastikmüll und Heu als Brandbeschleuniger. 

Eine plausible Erklärung, wie und warum die Tierkadaver dort gelandet sind, habe ich an diesem Abend und bis heute nicht bekommen. Ich finde mich damit ab, konzentriere mich auf das wichtigere Problem: die Gesundheit der Tiere. Diese soll ich verbessern in den nächsten Monaten.

Der Bauernhof entstand aus einer Hungersnot

Rofam, so heisst der Betrieb im inzwischen mittelständischen Stadtteil Kotebe, ist kein klassisch äthiopischer Bauernhof. Er entstand in den 1990er-Jahren nach Schweizer Vorbild, um ein Waisenheim für über 150 Kinder zu versorgen. 

Zahai Röschli, die äthiopische Adoptivtochter eines Schweizer Ingenieurs, hatte es Mitte der 1980er-Jahre gegründet. In Äthiopien war es da zu einer der schwersten Hungersnöte im vergangenen Jahrhundert gekommen. 

Blick von oben auf den Betrieb der NGO Rofam im Stadtteil Kotebe.

Die Dürre und die Misswirtschaft der sozialistischen Derg-Militärdiktatur führten zu einer Katastrophe, die vor allem im Norden Äthiopiens bis zu einer Million Menschen das Leben kostete. Bilder verhungernder Kinder gingen um die Welt. Um Spenden zu sammeln, nahmen Dutzende US-Popstars «We Are the World» auf. Zahai Röschli beschloss, zurück nach Äthiopien zu ziehen, ein Kinderheim aufzubauen. 

Die äthiopische Regierung gab dafür Land ab, am äussersten Rand von Addis, in Kotobe. Um das Kinderheim entstanden bald eine Schule, ein Gesundheitszentrum, Werkstätten, in denen die Waisenkinder nach Schweizer Vorbild eine Berufslehre machen konnten.

Fast 40 Jahre sind seitdem vergangen. Zahais Adoptivvater, der Ingenieur David Röschli, der bis ins hohe Alter Industriehallen, Ställe, Kinderheime, Schulhäuser gebaut und mit findigen Konstruktionen die Industrialisierung des bitterarmen Äthiopien vorangetrieben hat, ist seit 14 Jahren tot. 

Auf dem Gelände haben sie ihm einen Park angelegt. Ingenieur Röschli wacht als golden glänzende Büste über der klumpigen, rötlich-braunen Erde von Addis. Manche sagen, die Innovation des Hilfswerks sei mit David Röschli gestorben.

Seit einigen Jahren verlangt ein äthiopisches Gesetz, dass Betriebe von ausländischen Hilfswerken von Äthiopiern geleitet werden müssen. Ich fand das eine gute Idee. Das Ziel jedes Hilfswerks ist doch, sich selbst überflüssig zu machen. 

Kein Spielraum in Äthiopien

Doch das passiert nicht von heute auf morgen. In Addis geschah es zu schnell. In der Praxis im Kuhstall oder in den Werkstätten, in denen meine beiden Zivi-Kollegen (Tobias und Selim) arbeiten, führt die äthiopische Führungskultur leider dazu, dass zwar verwaltet, besprochen, angeordnet, aber kaum effektiv produziert wird. 

Um die Betriebe mit dem guten Ziel, den bitterarmen Waisenkindern zu helfen, sind über Jahre schwerfällige  Verwaltungsstrukturen und undurchsichtige Organigramme entstanden. Der Schweizer Vorstand des Hilfswerks scheint gewillt, sie aufzubrechen. Doch die äthiopische Gesetzgebung lässt kaum Spielraum.  

Zum Betrieb gehört auch eine Krankenstation.

Überdeutlich wird das Problem bei den Industriebetrieben des Hilfswerks, die zu hohen Kosten und in bescheidener Qualität Dinge herstellen, die Äthiopien nicht mehr braucht: veraltete Häcksler, wacklige Kinderkarusselle. In den Lagern und Werkstätten sitzen Bürokraten, Röschlis Werk ist zum maroden Industriemuseum geworden.

Dabei bräuchten viele Menschen in Äthiopien dringendst Unterstützung – besonders auf dem Land, wo viele Eltern noch immer nicht wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen, auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind, Kleinkinder Überlandbusse nach Essensresten und Krümeln absuchen. 

Die Industrialisierung Äthiopiens, die unbedingt nötig wäre, um das Land aus der Armut zu führen, treiben längst andere voran: die Chinesen, die ohne soziale Sensibilität in Sonderwirtschaftszonen ihre Fabriken errichten und von den günstigen äthiopischen Arbeitskräften profitieren. 

Ein Liter Milch, 80 Rappen

Auf dem Bauernhof ist es besser. Die Nachfrage nach Gemüse, besonders aber nach Eiweiss in Form von Milch und Eiern, ist riesig. Morgens und abends warten Dutzende Anwohner auf die Milch der rund 50 Kühe von Kotebe. 100 äthiopische Birr kostet der Liter, das sind rund 80 Rappen. Für einen Arbeiter, der in Äthiopien kaum mehr als 5000 Birr verdient, ist das viel Geld. 

Umso wichtiger ist es mir, die Produktion zu steigern. Im November, zu Beginn der äthiopischen Trockenzeit, geben die Kühe der eigentlich leistungsfähigen Holstein-Rasse im Durchschnitt nicht einmal 14 Liter Milch pro Tag. Das genetische Potenzial der Tiere aber läge bei mindestens 18 bis 20 Litern. Das Futter, das grösstenteils eingekauft wird, verdauen sie schlecht. Hinzu kommen zahlreiche hausgemachte Probleme: schlechte Klauenpflege, geringe Fruchtbarkeit, hohe Zahl an Fehlgeburten, Euterentzündungen. 

Einen Tierarzt gibt es zwar, im Theoretischen scheint er gut ausgebildet. In der Praxis mangelt es ihm an vielem. 

«Wurde schon immer so gemacht»: Neuerungen einführen ist auf diesem Betrieb schwierig.

Stallchef Ebsa, ein studierter Agronom, ist dafür umso ehrgeiziger. Er folgt mir auf Schritt und Tritt, beobachtet mich genau. Manchmal fühle ich mich wie bei meiner Lehrabschlussprüfung im bünderischen Valendas, als ich zwei älteren Bauern einen Vormittag lang beweisen musste, dass auch jemand mit Kühen und Maschinen umgehen kann, der nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen ist.

Ich entwerfe einen farbigen Plan mit sieben Massnahmen, von Dunkelrot für dringend (Fütterung umstellen, Tiere auf die Weide, sie nicht weiter auf Beton liegen lassen) bis Blau für nötig, aber nicht dringend (Milch kühlen). 

Ebsa und ich sind fast gleich alt, verbringen auch nach der Arbeit Zeit miteinander, spielen mit den anderen Arbeitern Fussball, werden mit der Zeit Freunde. Ebsa kommt aus der politisch aufstrebenden, aber armen Oromo-Region im Süden des Landes. Anders als die Stallarbeiter kann ich mit ihm Englisch sprechen. Dafür bringt er mir die äusserst mühsam zu lernende amharische Sprache mit ihren 276 verschiedenen Buchstaben bei. 

Betrieb mechanisieren?

Die Stallarbeiter sprechen alle Orominia, die Sprache der Oromo, die zwar mit lateinischen Buchstaben auskommt, aber kaum einfacher zu lernen ist. Bald muss ich feststellen, dass sie meine Ideen zwar gut und richtig finden, sich aber kaum für die Umsetzung motivieren lassen. Sie sagen: Wir werden für das Melken und Ausmisten bezahlt, mehr nicht. Ihre selbst im äthiopischen Vergleich bescheidenen Löhne motivieren sie nicht zu mehr.

Ich schlage vor, den Betrieb besser zu mechanisieren. Mit Tobias, dem anderen Zivildienstleistenden, der Mechaniker ist, repariere ich drei praktisch neue, aber nie benutzte und durch den Stillstand beschädigte türkische Melkmaschinen.

Schlage vor, das mannshohe Elefantengras, dessen Verfütterung ich eingeführt habe, mit der Maschine zu mähen. Und werbe dafür, einen wassersparenden Hochdruckreiniger anzuschaffen. Ich scheitere.

Die Arbeiter freuen sich nicht an der Maschine, sondern blicken das Ding entgeistert an, fürchten um ihre Arbeitsplätze. Entnervt gehe ich nach Hause und greife abends zu einem Lehrbuch über Marx, lese über die Angst der Arbeiter im Kapitalismus.

Wettkampf mit Surafel

Mein Argument, dass die Arbeiter dank der Melkmaschine für anspruchsvollere und interessantere Arbeiten eingesetzt werden könnten, findet auf dem Hof auch in den nächsten Tagen keinen Anklang. Zum Beweis zeigen mir die Arbeiter, wie schnell sie von Hand melken können. Ich lasse mich auf einen Wettkampf ein. «Surafel», wie sie mich mittlerweile nennen, verliert natürlich – genauso wie beim Wettessen von Injera, einem sauren Teigfladen, der als Beilage zu  allem verwendet wird. 

In Äthiopien ist es schwierig, Maschinen zu kaufen. Wie viele afrikanische Länder ist Äthiopien hoch verschuldet. Es fehlen Devisen. Deswegen erhebt der Staat teils astronomische Zölle, was den Import von Maschinen sehr teuer macht. 

Um das wertvolle Wasser nicht für die Stallreinigung zu verschwenden, möchte ich einen Hochdruckreiniger kaufen. Auch das ist mühsam. Trotz brandneuen Velowegen – eine Idee des Präsidenten, für deren Umsetzung Häuser abgerissen wurden – verbietet das Hilfswerk Zivildienstleistenden das Fahrradfahren. Angeblich aus Angst vor Gefängnisstrafen bei Unfällen. Auch an Autofahren ist nicht zu denken. Nach einem langen Fussmarsch finde ich schliesslich ein gebrauchtes Gerät zu einem fairen Preis in einer Autowerkstatt. 

Ich lasse Ebsa den Preis (keine 80 Franken) verhandeln und beginne schon, von einem brauchbaren Stromanschluss im Stall zu träumen. Doch auch hier habe ich die Rechnung ohne die äthiopischen Bürokraten gemacht. 

Gefragte Frischprodukte. Die Nachfrage nach Gemüse, besonders aber nach Eiweiss in Form von Milch und Eiern, ist riesig.

Bei Investitionen über 5000 Birr (36 Franken) müssen Kostenvoranschläge von drei verschiedenen Firmen eingeholt werden. Ein eigens dafür eingestellter Einkäufer muss die Papiere analog einholen, abzeichnen und von zig Stellen im Betrieb, ja vom Betriebsleiter validieren lassen. Da es in Addis nur wenige Anbieter von Hochdruckreinigern gibt, die Kostenvoranschläge ausstellen wollen, ein Ding der Unmöglichkeit. Und auch sonst verunmöglicht die Prozedur, die wohl der Korruptionsbekämpfung dienen sollte, sinnvolles Wirtschaften. 

Als ich ein paar Meter Stahldraht für einen Weidezaun brauche und den Arbeitern mit halbwegs brauchbaren Schaufeln und Besen eine Freude machen will, wiederholt sich das Problem. Ich verliere die Geduld, gehe zur Bank, besorge mir ein dickes Bündel Geldscheine, schiesse das Geld selbst vor – illegalerweise, wie ich später erfahre. Selten habe ich mich so schlecht gefühlt, privilegiert zu sein. 

Spuren des Kriegs

Es ist Anfang November. In einem Kinderheim in Wuqro, einem Partnerbetrieb des Hilfswerks, soll ich Maschinen reparieren. Die Fahrt mit dem Bus dahin dauert 18 Stunden. Die Lage in der Region Amhara ist unsicher, Geiselnahmen und Raubüberfälle drohen. Man drängt mich, zu fliegen. Die Maschine der Ethiopian Airlines nach Tigray ist voll. Der Staatskonzern ist eines der wenigen prosperierenden Unternehmen im Land.

In Mekelle, lange das kulturelle und politische Zentrum des Landes, sind die Spuren des Kriegs zu sehen. Auch vor dem Kinderheim standen eritreische Soldaten, von Präsident Abiy angeheuert, um die Rebellen der Tigray Liberation Front zurückzuschlagen. 

In Wuqro sitze ich dann auf einem alten John-Deere-Traktor, eine Spende aus dem Berner Mittelland. Irgendwo hat die Maschine ein Ölleck. Ich tuckere an Zerstörung, Armut, abgemagerten Menschen und Tieren vorbei. Der Staat hat sich im äussersten Norden Äthiopiens noch nicht wieder erholt. Die zahlreichen Ethnien des 130-Millionen-Einwohner-Landes bekämpfen sich noch immer, politisch bleibt die Lage besonders vor den Wahlen in anderthalb Jahren instabil. 

Millionen sind abhängig

Abiy Ahmed, Äthiopiens Machthaber, lässt sich derweil gleich hinter dem Schweizer Kinderheim in Addis einen neuen Palast bauen – nach Recherchen meines «Spiegel»-Kollegen für über 10 Milliarden Dollar. 

Das Nachsehen haben die Menschen, etwa die Familie von Umer, einem Bauernjungen, den ich zum Ende meines Einsatzes auf einer Wanderung mit meiner Freundin in den Bergen von Bale kennen lerne. 

Zu fünft bewohnt Umers Familie eine Lehmhütte, ohne Strom, ohne Wasser, teilt sich ein Bett, knapp einen Meter vierzig breit. Sein Vater, ein Kleinbauer, hält ein paar Tiere, baut ein paar Kartoffeln an, sie reichen gerade so zum Leben. Er bietet sie uns an, gekocht mit Salz. 

In einem übervollen Bus fahren wir über Land zurück nach Addis, fast zwölf Stunden vorbei an mageren Getreidefeldern, auf denen von Hand gedroschen wird. Gleichzeitig greifen sich Chinesen und Inder das Land, vertreiben die Kleinbauern. Umso wichtiger wäre es, eine gute Landwirtschaftsschule zu haben. Vielleicht wäre der Bauernhof in Addis tatsächlich ein guter Ort dafür. Ich beschliesse, nicht aufzugeben. 

Und gehe ins Büro vom Big Boss.