Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

TV-Kritik SRF-«Club»
Darf der Impfstatus auf der Intensivstation eine Rolle spielen?

Eine gehaltvolle Diskussion um eine schier unlösbare Frage: Die Studiogäste mit Moderatorin Barbara Lüthi (Mitte).
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Fakten sind eine gute Sache, doch ihre Interpretation ist nochmals eine ganz andere. Das zeigte sich bei der gestrigen Diskussion im «Club» rasch. Zu Beginn ging es darum, die Situation auf den Intensivstationen einzuordnen. Die Warnungen und Hilferufe der Intensivmediziner haben zuletzt eine neue Dringlichkeit angenommen. Die Intensivstationen seien zu 80% ausgelastet, davon zu gut 30% mit Covid-Patienten, sagte Moderatorin Barbara Lüthi.

Studiogast Hans Pargger, Chefarzt und Leiter der Intensivstation am Universitätsspital Basel, relativierte. Die Situation sei zwar angespannt, aber man dürfe keine falschen Vorstellungen von Intensivstationen haben. Engpässe gebe es nicht erst seit Corona. Schon früher «haben wir x-mal Patienten verlegt und waren ‹plätschvoll›, weil es so viele Notfälle gab». Schlimm sei an der derzeitigen Situation vor allem, «dass es nicht mehr aufhört».

Es hört nicht mehr auf, und womöglich wird es bald noch prekärer: In den Einblendungen aus den Intensivstationen wurde die Furcht der Ärzteschaft spürbar, dass sie angesichts der knappen Betten bald entscheiden muss, wer eine Behandlung verdient und wer nicht. Wie lange lassen sich die Triage-Entscheidungen über Leben und Tod noch hinauszögern? Und sollen Impfverweigerer anders angegangen werden? Schliesslich sind gut vier von fünf Covid-Patienten, die derzeit auf der Intensivstation behandelt werden, ungeimpft.

Müssen Ungeimpfte sich an den Kosten ihrer Spitalbehandlung beteiligen?

Auch im gestrigen «Club» schien man die Frage vor sich herzuschieben, bis Barbara Lüthi nach einer halben Stunde sagte: «Reden wir über die Triage.» Also die Frage, ob der Impfstatus ein Kriterium sein darf für die Behandlung auf der Intensivstation. Die medizinisch-ethischen Richtlinien sagen klar: Ungeimpfte dürfen nicht benachteiligt werden. Infektiologe Andreas Widmer provozierte jedoch mit der Aussage, wenn man weniger Patienten auf der Intensivstation wolle, müsse die Impfung ein Kriterium sein. Er relativierte dann zwar, im konkreten Fall sei das nicht machbar: «Nicht in der Akutphase.» Also wie genau? Glücklicherweise hakte Moderatorin Lüthi mehrmals nach, doch er mochte sich nicht festlegen. «Der Impfstatus kann ein Kriterium sein», sagt er bloss.

Ergiebiger war da die Diskussion um das Verursacherprinzip, die in der Impfdiskussion regelmässig herangezogen wird. Sollte, wer sich nicht immunisieren lassen will, für sein Verhalten geradestehen (und beispielsweise freiwillig auf ein Intensivbett verzichten)? Müssen Ungeimpfte sich an den Kosten ihrer Spitalbehandlung beteiligen, wie es der zugeschaltete Ökonomieprofessor Marius Brülhart forderte? Darauf hatte Medizinethikerin Tanja Krones eine klare Antwort: Nein, denn Gesundheitsrechte funktionierten nicht wie eine Unfallversicherung. Es gebe auch Menschen, die psychische Probleme hätten und sich deshalb nicht impfen liessen. Oder Jugendliche, die eine Immunisierung aus jugendlichem Leichtsinn ablehnten. Und schliesslich sei eine Covid-Infektion auch eine Frage des sozialen Status; die Chance, dass ein ärmerer Mensch sich weder impfe noch teste und dann schwer erkranke, sei ungleich höher als bei Gutverdienenden. Man dürfe die Frage, ob jemand sich impfen lasse, nicht mit dem freien Willen gleichsetzen und daraus Schuld und Verantwortung ableiten.

Corona-Krise als Brandbeschleunigerin

Ein Gewinn für die Sendung war der Studiogast Pius Meier, Landwirt und Covid-Patient. Er brachte die immer noch abstrakte, theoretische Diskussion auf ein konkreteres Niveau. Meier, der noch heute stark an Long Covid leidet, schilderte eindrücklich, wie er zu Beginn der Pandemie auf die Intensivstation kam und beatmet werden musste. «Ich lag lahm im Bett, war hilflos und durfte eine Pflege empfangen, wie ich niemals erwartet hatte, dass ich sie benötigen würde.» Er verstehe nicht, warum man das Pflegepersonal «so lange zappeln lasse», bis man endlich reagiere.

Es war eine gehaltvolle, gute Diskussion. In der derzeitigen Situation scheint es zwar eine relativ klare Antwort auf die Frage zu geben, ob der Impfstatus ein Kriterium auf der Intensivstation sein darf: nein. Doch es bleiben grundsätzliche Fragen. Thomas Weber, Gesundheitsdirektor des Kantons Baselland, sprach eine Anpassung der Pflegequalität an. Möglicherweise müsse man die hohen Standards heruntersetzen: «Vielleicht kommen wir mit dieser Pandemie an einen Scheidepunkt.» Auch die Diskussion um das Verursacherprinzip – sollen etwa Raucher oder Adipöse höhere Prämien für die Krankenkasse bezahlen? – ist eine Grundsatzdiskussion, die über die gegenwärtige Akutsituation hinausgeht.

Einmal mehr zeigt sich die Corona-Krise als Brandbeschleunigerin: Erbarmungslos zeigt sie Schwachstellen unserer Gesellschaft auf und verstärkt bestehende Probleme. Die Notlage in den Griff zu bekommen, ist derzeit das Wichtigste. Doch die Grundsatzdiskussionen, die bleiben darüber hinaus.