Ein junger Georgier betört die TifosiDank «Kwaradona» träumen sie in Neapel wieder
Napoli ist in der Serie A und in der Champions League noch ungeschlagen. Das liegt auch an Chwitscha Kwarazchelia. Zuerst schlug dem 21-Jährigen jedoch Skepsis entgegen.
Einen wie Diego Armando Maradona wird es nicht mehr geben, das wissen sie in Neapel, wo die Menschen nichts kommen lassen auf ihren ewigen Fussballmessias. Aber so eine kleine Reinkarnation des Unersetzlichen, Unerreichbaren, mit dem Ball damals so Unwiderstehlichen? Ja, das ist erlaubt, ohne sich deshalb gleich der Blasphemie schuldig zu machen, glauben die Neapolitaner. Die Geschichte ist eben eine raffinierte Regisseurin – und sie hat ihnen «Kwaradona» gesandt, wie der Spielmacher Chwitscha Kwarazchelia nun im neapolitanischen Volksmund genannt wird.
Dieser Spitzname ist einfacher, einerseits. Als Erklärung taugt Pragmatismus aber nicht, weil Pragmatismus bei der Società Sportiva Calcio aus Neapel nun mal keinen Platz hat. Am Fusse des Vesuvs geht es den Menschen um Selbstbehauptung, Sehnsucht, um die Heiligsprechung des Vergangenen. Es geht also immer irgendwie um Maradona.
In diesen Tagen werden alte Reminiszenzen noch häufiger ausgegraben als sonst, wofür es Gründe gibt. Napoli steht auch nach dem 1:0 vom Sonntag bei der AS Roma ungeschlagen an der Tabellenspitze der Serie A und in der Champions League, wo man es in einer kniffligen Gruppe mit Liverpool, Ajax Amsterdam und den Glasgow Rangers zu tun hat und bereits für die K.-o.-Phase qualifiziert ist. Aus 15 Saisonspielen resultierten 13 Siege, zuletzt gabs elf in Serie – das war Napoli zuvor nur einmal gelungen, 1986 mit Maradona. Das sind aber erst einmal nur Ergebnisse, nackte Zahlen und Fakten.
Ein junger Georgier, der zuvor nur für Zwergenvereine im Nirgendwo spielte? Das wirkte im ersten Moment enttäuschend.
Was die Neapolitaner von neuen Grosstaten träumen lässt, ist der «bel gioco», der bezaubernde und berauschende Stil ihrer Mannschaft. Früher, in den goldenen Achtzigern, ging jedweder Zauber von Maradona aus, und zwar von ihm allein. Das war einmalig, da machen sich die Tifosi nichts vor. Nur: Dass dieser Chwitscha Kwarazchelia ein Fussballer von konventionellem Format ist, glaubt in Neapel auch längst niemand mehr.
Dabei war der Start kein bisschen glamourös. Kwarazchelia kam vor der Saison für acht Millionen Euro von Dinamo Batumi, empfangen wurde er in Neapel mit Skepsis: ein gerade mal 21-jähriger Georgier, der zuvor nur für Zwergenvereine im fussballerischen Nirgendwo spielte? Das wirkte im ersten Moment enttäuschend, weil der vergangene Transfersommer zuerst aus einer Reihe von Entbehrungen bestand: Torwart David Ospina, Abwehrchef Kalidou Koulibaly, Mittelfeldregisseur Fabián Ruiz, Offensivmann Lorenzo Insigne – sie alle gingen fort.
Proteste vor der Luxusvilla
Das füllte zwar die Kassen, doch die Nachfolger lösten keine Hochgefühle aus: Für den Sturm wurde etwa Giacomo Raspadori aus Sassuolo verpflichtet, ein solider Angreifer mit Wuseldrang. Für die Abwehr kam der baumlange Südkoreaner Kim Min-jae, auch er eine grosse Unbekannte. Hatte ja niemand ahnen können, welch Feuerwerk sie nur wenige Wochen später auf dem Rasen abbrennen würden.
Es machte sich deshalb erst mal defätistische Stimmung unter den Napoli-Fans breit, sie fürchteten, dass nun eine lange Dürreperiode hereinbrechen würde. Und sie hatten keine Scheu, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen: Napoli-Präsident Aurelio De Laurentiis, ein Filmmogul mit Hang zur Selbstdarstellung, wurde mit Schmähungen und Schimpftiraden überzogen, auch vor seiner Luxusvilla auf der italienischen Felseninsel Capri gab es Proteste.
Aus Sicht der Tifosi ging es nicht darum, De Laurentiis zu einem raschen Umdenken zu bewegen. Sie forderten nichts weniger als den Sturz des Präsidenten, der sich seit 2004 vergeblich daran versucht, das azurblaue Volk mit der ersten Meisterschaft seit Maradona zu beschenken. Es wäre Neapels erst dritter Scudetto überhaupt.
Doch De Laurentiis liebt das Rampenlicht, so einer lässt sich nicht einfach aus dem Club drängen. Und er glaubte an die Suggestivkraft seines Königstransfers, von dem keiner ausser ihm ahnte, welch zentrale Rolle dieser einnehmen würde. «Gibt es irgendetwas, was dieser Junge nicht kann?», fragte neulich ein Kommentator im italienischen Fernsehen, er war aufrichtig konsterniert.
Kwarazchelias Aktionsradius ist der gesamte Platz, der Rest gründet auf kindlicher, purer Freude am Spiel.
Kwarazchelia beginnt die Spiele auf der linken Aussenbahn, doch das ist nicht mehr als eine grobe Handlungsempfehlung: Sein Aktionsradius ist der gesamte Platz, der Rest gründet auf kindlicher, purer Freude am Spiel. Und auf Instinkt: Kwarazchelia sieht Räume, die andere übersehen, und er bespielt sie in Windeseile mit beiden Füssen, weil er den Ball mit erstaunlichem Drall auf krumme Flugbahnen schicken kann.
«Der komplette Spielmacher», urteilte die Gazzetta dello Sport. Dabei sieht Kwarazchelia mit seinen heruntergezogen Stutzen eher aus wie einer, der jederzeit in Schlampigkeit verfallen könnte. Der Eindruck täuscht: Fünf Treffer in elf Ligaspielen, dazu kommen zwei Treffer und drei Torvorlagen in der Champions League – Kwarazchelia ist auch ungemein effizient. Kein Wunder, seit frühen Kindestagen himmelt der Georgier Cristiano Ronaldo an.
Unvorstellbare Resultate
Anders als sein portugiesisches Vorbild ist Kwarazchelia aber gerne bereit, andere neben sich glänzen zu lassen, etwas anderes würde ihm Napoli-Trainer Luciano Spalletti auch gar nicht durchgehen lassen. Da ist Spalletti ein Ideologe. Viele wendige Beine, sagte er mal, machten dem Gegner das Leben schwer: «Und am schwersten wird es für ihn, wenn diese Beine zusammenarbeiten, wie in einem Orchester.»
Spalletti ist einer der wenigen echten Offensivdenker im defensivorientierten Italien, dem Paradeland des zynischen Ergebnisfussballs. Seiner Karriere fehlt noch der grosse Titel, doch wo er war, sorgte er stets für einen Kulturwandel: Das Spiel wird von vorne her gedacht, mit Ballbesitz und einem Dauerpressing in jenen Zonen, die den Gegner besonders schmerzen. So kamen in der noch jungen Saison schon Resultate zustande, die sich nicht mal der Fiktionskünstler De Laurentiis hätte ausmalen können: 4:1 gegen Liverpool, 6:1 in Amsterdam gegen Ajax. Weder in der Königsklasse noch in der Serie A hat ein Team mehr Treffer erzielt als Napoli.
Was das verheissen mag? Erst mal nichts, das ist sogar den notorischsten Traumtänzern unter den neapolitanischen Fans bewusst. Anderseits: Ein bisschen träumen ist ja wohl erlaubt.
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