Keine typische Armee-AufgabeCorona ist kein Krieg
Dass Soldaten in Spitälern aushelfen, ist kein Anlass, die Armee zu feiern. Ein Bürgerdienst wäre die beste Vorsorge für künftige Krisen.
Endlich mal ein richtiger Einsatz. Der Bundesrat hat das grösste Truppenaufgebot seit dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. 5000 Soldaten helfen in den Spitälern und an den Grenzen, seit Dienstag gehen die ersten wieder nach Hause. Bürgerliche Politiker feiern den Einsatz als Legitimation der Armee.
Die aktuelle Krise zeige, dass die Schweiz auf eine intakte Armee angewiesen sei, sagt die SVP. CVP-Nationalrätin Marianne Binder-Keller schreibt auf Twitter: «Das Bewusstsein für die Bedeutung der Armee belehrt vielleicht auch die notorischen Armeeabschaffer eines Besseren.» Für Brigadier Raynald Droz ist der Einsatz «ein Moment der Wahrheit». «Es tut gut, wieder einmal zeigen zu können, was die Armee kann und dass es sie braucht», sagte er dem «Blick».
Nicht auf eine Pandemie ausgerichtet
Gut tut es bestimmt. Doch die Schweizer Armee ist mit Ausnahme der Sanitäter nicht auf die Bekämpfung einer Pandemie ausgerichtet, das sagt selbst Willi Vollenweider, Präsident der millitärfreundlichen «Gruppe Giardino». Das Militär habe primär einen Kampfauftrag. Im ersten Absatz des Gesetzes steht: «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens.» Corona ist kein Krieg. Panzer und Sturmgewehre nützen nichts. Und auch die Beschaffung von Schutzmasken ist eigentlich keine typische Armee-Aufgabe.
Das Militär unterstützt die Behörden, weil es ihnen an Personal und Mitteln fehlt. Doch dass junge Schweizerinnen und Schweizer jetzt helfen, wo es sie braucht, ist keine Legitimation der Armee, die derzeit kein einziges einsatzbereites Militärspital führt. Vielmehr beweist es die Stärke des Schweizer Milizsystems, den Zivilschutz und den Zivildienst eingeschlossen.
Dass Köchinnen und Informatiker, Westschweizerinnen und Deutschschweizer so schnell bereit für einen Einsatz sind und ihre individuellen Fähigkeiten einbringen können, ist wirklich aussergewöhnlich. Die Armee mobilisierte per SMS. Innerhalb einer halben Stunde schickten fast alle Soldaten die Quittierungsantwort. Zivilschützer stellen Desinfektionsmittel her. Zivildienstleistende helfen in Asylheimen. Alle zusammen mildern sie den Personalmangel im Gesundheitswesen. Schnell, unkompliziert, pragmatisch. «Einer für alle, alle für einen» ist eine abgedroschene Phrase. Doch sie legt den Kern des Schweizer Milizsystem offen, dessen Wert in der Corona-Krise wieder bewusst wird.
Zivilgesellschaftliches Engagement
Auf dieses zivilgesellschaftliche Engagement ist die Schweiz auch in Zukunft angewiesen.
Eine Risikoanalyse des Bundesamts für Bevölkerungsschutz aus dem Jahr 2015 kam zum Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie relativ hoch, der finanzielle Schaden gross ist. Die Analyse zeigt auch, dass Cyberangriffe gegen die Schweiz plausibler als gewalttätige Unruhen sind. Auf der Basis von solchen Szenarien muss die Politik bestimmen, was die Schweiz bedrohen könnte. Und vor allem: wie wir darauf reagieren.
Um eine Krise meistern zu können, braucht es die besten Leute. Diese zu finden, ist schwer. Gemeinden, Feuerwehr, Armee – sie alle beklagen das serbelnde Interesse an der Miliztätigkeit. Eine Massnahme der bürgerliche Politiker: Sie wollen den Zugang zum Zivildienst verschärfen, um «Abschleicher» zu verhindern, junge Männer, die statt im Militär im Zivildienst eingesetzt werden wollen.
Die Corona-Krise zeigt, wie falsch das ist: Es ist doch egal, ob Soldaten in Tarnfarben, Zivilschützer mit orangen T-Shirts oder «Zivis» ohne Uniform eine Krise bewältigen. Statt dass die Politik die einzelnen Organisationen gegeneinander ausspielt, sollten sie zusammenarbeiten – auf Augenhöhe. Nur wenn die jungen Menschen Sinn in ihrer Aufgabe sehen, sind sie auch motiviert.
Es ist doch egal, ob Soldaten in Tarnfarben, Zivilschützer mit orangen T-Shirts oder «Zivis» ohne Uniform eine Krise bewältigen.
Schon seit den 70er-Jahren gibt es politische Vorstösse für einen sogenannten Bürgerdienst. In diesem Modell leisten Frauen und Männer einen Dienst zugunsten des Landes: in der Armee, im Katastrophenschutz, im Gesundheitswesen, bei der freiwilligen Feuerwehr, in einem kantonalen politischen Mandat – überall, wo es Milizdienste braucht. Der Ständerat hat auch einen entsprechenden Vorstoss schon angenommen. Der Verein Service Citoyen bereitet eine eidgenössische Volksinitiative vor.
Die Corona-Krise ist eine Renaissance der Miliz. Sie sollte dem allgemeinen Bürgerdienst Aufwind geben. Und nicht einfach dem Militär.
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