Erste ZahlenCorona frisst der Kultur Milliarden weg
Kaum ein Bereich in Europa ist von der Pandemie so hart getroffen wie der künstlerische. Eine Studie belegt das und arbeitet den Stellenwert von Kultur heraus – vor allem als Wirtschaftszweig. Die wichtigsten Erkenntnisse.
Am Dienstag stellte die europäische Autoren- und Komponistenvereinigung Gesac die Studie «Rebuilding Europe» vor.
Diese macht deutlich, wie gewaltig das ist, was man wirtschaftlich als Kulturbereich versteht: Mehr als 7,6 Millionen Menschen – darunter 48 Prozent Frauen – arbeiten in Europa als Architekt*innen, Autor*innen, Musiker*innen, Journalist*innen, Schauspieler*innen, Maler*innen, Sänger*innen und Werber*innen.
Sie erwirtschaften einen Gesamtumsatz, der mit 272 Milliarden Franken im Jahr 2019 deutlich grösser war als der Umsatz der Automobilindustrie (107 Milliarden Franken) oder der Telekommunikation (201 Milliarden Franken). Und Vergleiche mit einer ähnlichen Erhebung aus dem Jahr 2014 ergaben dynamische Wachstumsraten von um die zwei Prozent.
Bis zum vergangenen Frühjahr.
Denn kaum ein Bereich ist von Corona so getroffen wie die Kulturindustrie. Für das zurückliegende Jahr rechnet man mit 31,2 Prozent Einbruch, nur die Flugindustrie ist mit 31,4 Prozent stärker getroffen.
In den Bühnenkünsten schrumpfte der Umsatz sogar um 90 Prozent. Insgesamt gingen 214 Milliarden Franken verloren, derzeit seien mehr als zwei Millionen Jobs gefährdet.
Der Bereich ist nicht durchsubventioniert. Nur 10,8 Prozent beträgt der Anteil öffentlicher Finanzierung.
Dass Festivals wie das britische Glastonbury bereits abgesagt wurden, sei ein «fatales Signal», sagte in diesem Zusammenhang Jean-Noël Tronc, Direktor der Künstlervereinigung Society of Composers, Authors and Music Publishers (Sacem). In vielen Bereichen habe man ein Jahr ohne Einkommen knapp überstanden – und sehe sich immer noch vor unsicheren Monaten.
Anders als viele annehmen, ist der Bereich nicht durchsubventioniert: Nur 10,8 Prozent beträgt der Anteil öffentlicher Finanzierung durch nationale und lokale Regierungen, Tendenz – vor der Pandemie – fallend.
«Es geht jetzt um schnelle Massnahmen, damit ein sicheres und stabiles Umfeld für Kreative geschaffen wird», sagte Tronc. «Immerhin sind ein Drittel der Beschäftigten Freelancer und Kleinunternehmer, eine anfällige Szene.»
Die Studie liefert Zahlen und Argumente für eine grundsätzlich neue Kulturpolitik.
Voraussetzung, dass der Sektor überhaupt überleben könne, sei die Absicherung von intellektuellem Eigentum – an Buchtiteln, Songs, Animationen oder Drehbüchern. Tronc: «Es wird eine der grossen Fragen sein, wie man die Rechte weltweit schützt, da ist der Kultursektor durchaus der Industrie mit ihren Innovationen und den Ergebnissen der Forschungen in den Naturwissenschaften vergleichbar.»
Das Zahlenwerk enthält wesentlich mehr als Argumente für betroffene Kreative, Behörden und Politiker*innen. Man könnte es auch als Basis für eine grundsätzlich neue Kulturpolitik lesen.
Einerseits wird Kultur zwar durchaus auch als die «Soft Power» beschrieben, als heilsame Kraft, «die in der post-pandemischen Gesellschaft kathartisch wirken kann». Andererseits sei Kultur als Industrie mit anderen grossen wirtschaftlichen Bereichen vernetzt – beispielsweise dem Tourismus oder Gastgewerbe.
«Kultur und Kreativindustrie wirken als Beschleuniger für gesellschaftliche, soziale und nachhaltige Entwicklung», heisst es in der Zusammenfassung. Eine massive öffentliche Förderung und private Unterstützung seien zusammen mit einer juristischen Absicherung nach dem Einbruch durch die Krise der einzige Weg, diesen Wirtschaftszweig zu festigen.
Nach den zurückliegenden Monaten hat diese Wertanalyse etwas Bestärkendes. Die Studie belegt, dass eine Politik, die in Kultur investiert, mittels Subventionen oder wirtschaftlicher Hilfen, nicht in Freizeitspass Geld versenkt, sondern einem bedeutenden Wirtschaftsbereich durch die Krise hilft.
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