Eröffnung des Filmfestivals Locarno«Complimenti per tüt» – Marco Solari geht winkend von der Bühne
Marco Solari tritt nach 23 Jahren als Festivalpräsident ab. Ein letzter Eröffnungsabend für den König von Locarno.
Die beiden schick angezogenen Männer mit Airpods – es sind Tessiner Polizisten in Zivilkleidung. Einer sagt: «Maybe I can help you?» Sie bewachen ein kleines Hotel, in dem sich gerade zwei Präsidenten beraten, die zum letzten Mal in Locarno auftreten. Es sind der Festivalpräsident Marco Solari sowie Bundespräsident Alain Berset. Der Inhalt des Gesprächs, das jedes Jahr stattfindet, ist geheim. Von Marco Solari erfährt man nur, dass die Unterhaltung «sehr gut» war.
Ob sie Outdoor-Tipps für die freie Zeit austauschen? Solari bestreitet nach 23 Jahren das letzte Mal eine Festivalausgabe; der abtretende Bundesrat Berset, der neben Gesundheit ja auch für die Kultur zuständig ist, hat ein Dutzend Ansprachen gehalten.
Die beiden haben über die Jahre ihre Locarno-Rituale entwickelt. Eins davon ist der gemeinsame Marsch vom Hotel hinüber zur Magistrale, wo der Eröffnungsempfang stattfindet. Es ist ein wenig wie auf der italienischen Promenade, es werden Kellner gegrüsst, ein Passant dankt Solari im Tessiner Dialekt: «Complimenti per tüt.»
Also viel Abschied zur Eröffnung, gegenseitige warme Worte. Alain Berset, inzwischen rasiert, sagte «Arivederci Locarno, arrivederci Ticino e viva il cinema!» Er machte sich lustig über die Klischees, die er in seinen Reden immer wieder erwähnt hat: Risotto, Leopard, See. Die grösste Revolution in der Filmgeschichte sei der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm gewesen. Er gehe jetzt den umgekehrten Weg, nämlich werde er schweigen statt reden.
Marco Solari war ein Tessiner für die Schweiz. Seine Nachfolgerin Maja Hoffmann ist eher die Kosmopolitin fürs Tessin.
Ein Teil der Locarno-Besucher ist sicher froh, dass Marco Solari dasselbe tun wird. Solari, Festivalpräsident seit dem Jahr 2000, war ein Tessiner für die Schweiz. Seine Nachfolgerin, die schwerreiche Mäzenin und Kunstsammlerin Maja Hoffmann, ist eher die Kosmopolitin fürs Tessin. Solari war sich in seiner Rede sicher, dass die neue Präsidentin im Südkanton nicht nur «respektiert, sondern auch geliebt» werden wird. Auch das wirkte wie ein Ritual: eine Beschwörung.
Ähnlich wie seine Beteuerung, Locarno sei das «vielleicht freieste Festival der Welt». Freiheit, Leopard, See. Als Marco Solari von der Antike sprach, unterbrach ihn die Rega. Spital in der Nähe. Es ging gerade um die Parrhesia, die Wahrheitsrede, es fehlte nur das Foucault-Zitat. Danach gabs Regen und Risotto.
Gleich im Anschluss kurzer Auftritt Solari am Get-Together des Versicherungssponsors: Die Geschichte des Tessins sei eine Geschichte der Armut gewesen, sagte der Präsident, weit weg von den touristischen Klischees. In den Goodie-Bags waren Sitzkissen. Praktisch für die Piazza Grande.
Wirklich gebraucht hat man dann Funktionsjacken mit Kapuzen. Als der Regen irgendwann Pause machte, wurde die 76. Ausgabe eröffnet. Solari dankte noch einmal Alain Berset und ging winkend von der Bühne. Auf der Piazza kombinierten die Gäste Abendgarderobe und Regencapes.
Es sah in der Regel weniger gut aus als Riz Ahmed im Kurzfilm «Dammi» des Franzosen Yann Mounir Demange, der im Anschluss projiziert wurde. Ein Mann auf Identitätssuche in Paris, zwischen algerischer Vergangenheit und modischem Heute; auch eine Frau kam vor. Wenn das die Freiheit von Locarno war, dann war es die Freiheit, ein bisschen prätentiös zu sein.
Aber sonst gefiel «Dammi» als fragmentiertes Porträt mit Hang zum Experiment. Vielleicht wollte der künstlerische Direktor Giona A. Nazzaro damit ja auch ästhetisch einen Pflock einschlagen, uns zum Auftakt an die Möglichkeiten des filmischen Erzählens erinnern.
Blöd nur, dass der britische Darsteller Rhiz Ahmed wegen des andauernden Streiks in Hollywood seine Teilnahme in Locarno abgesagt hat. Dafür kann das Festival zwar nichts. Aber es blieb dann eben bei Leopard, Pizza, See.
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