Comeback-Tour von Bonaparte«In der heutigen Musikwelt gelten neue Regeln»
Bonaparte erklärte vor fünf Jahren seinen Rücktritt. Nun steht der Musiker wieder auf der Bühne, weil ihm «der Irrsinn» fehlt.
Wird Ihnen schnell langweilig, Herr Bonaparte?
Hm, eigentlich nicht. Aber ich will immer Dinge tun, die ich spannend finde.
Sie finden offenbar vieles spannend. Unter dem Namen Bonaparte machen Sie mal Cabaret-Punk, mal afrikanische Clubmusik, Sophie-Hunger-Duette, deutsches Liedermachertum, Nachdenkballaden, Elektro-Tracks…
…und das ist nur das, was bereits unter meinem Namen veröffentlicht wurde. Ich habe das Glück, dass sich dieser Bonaparte viel erlauben darf. Das ist marktstrategisch sicher nicht der einfachste Weg. Aber es ist die Art, wie mir das Musikmachen Spass macht, und offenbar wecke ich damit eine Neugier. Mein erstes Album, das ich Mitte der Neunzigerjahre in meinem Berner Wohnzimmer aufgenommen habe, enthielt 27 Songs in 28 Stilrichtungen. Es scheint mir also ein tiefes Anliegen zu sein.
Ein Anliegen war es Ihnen auch, 2019 den Rücktritt von der Konzertbühne zu erklären. Sie haben Abschiedskonzerte gespielt, Tränen vergossen – und dann fast genauso weitergemacht wie zuvor: Ist Ihnen dieser alte Popstar-Taschenspielertrick im Nachhinein nicht ein bisschen peinlich?
Nein. Es war echt. Ich wollte wirklich keine Tourneen mehr spielen und hab das auch nicht mehr getan.
Sie hätten auch gar nicht gekonnt, denn danach kam die Pandemie.
Das stimmt. Aber meine Agenda war schon vorher leer. Das war eine sehr befreiende Sache. Ich hatte damals das Gefühl, dass die Dringlichkeit weg ist. Es wurde zur Belastung, eine Tournee-Equipe von 18 Leuten an der Backe zu haben. Ich hatte damals erstmals einen Manager und habe mich ihm anvertraut. Er sagte: Kein Problem, du lebst eh vornehmlich von den Songs, die du für andere schreibst.
Lange haben Sie diesen Ruhestand nicht ausgehalten.
Es war die Art von Ruhestand, in dem man dann doch zur Laubsäge greift. Ich habe wunderbare Dinge getan. Ich bin zum Beispiel nach Kumasi in Ghana gereist und habe dort ein Album auf Berndeutsch eingespielt, komponiert während des Aufnehmens. Solche Sachen halt.
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Und jetzt reisen Sie trotzdem wieder mit 18 Leuten durch den deutschsprachigen Raum.
Ja. Ich hab den Irrsinn vermisst. Ein guter Konzertmoment kommt dem Göttlichen eben doch sehr nahe. Während der Seuche, als die Welt tot war, hat man ja viel über das Leben sinniert. Mein Schluss war: Es ist zu kurz, um den Spass auszuschliessen. Und irgendwann hatte ich Lust, diesen idiotischen Aufwand wieder auf mich zu nehmen.
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Womit Sie eher antizyklisch unterwegs sind. Immer mehr Musikerinnen und Musiker sind gerade müde vom Business und ziehen sich ganz aus der Musik zurück. Stellen Sie diese Tendenz auch in Berlin fest?
Ich stelle sie allgemein fest. Vielleicht in Berlin noch am wenigsten, weil sich hier noch eine Szene tummelt, die den Glauben an die Livemusik nicht verloren hat. Aber es mutet mittlerweile schon sehr oldschool an, mit 18 Leuten von 10 bis 2 Uhr morgens für ein Konzert zu malochen, wenn das Publikum doch eigentlich damit zufrieden wäre, bloss einem Promi-DJ zuzuwinken. Ich verstehe alle, die diesen Aufwand nicht mehr betreiben mögen. Aber klagen bringt nichts. Entweder wartet man auf bessere Zeiten, hört auf – oder man verhält sich antizyklisch.
Allgemein können Musikschaffende ohne Konzerteinnahmen kaum überleben. Wie schaffen Sie das?
Die Musikbranche läuft anders, als viele glauben. Die meisten Stars, die man um die Welt tingeln sieht, sind viel zu beschäftigt, um selbst Songs zu schreiben. Sie sind lebendige Promo-Maschinen. Sie kriegen fertige Songs, ändern kleine Details ab und setzen ihren Namen darunter. Ich gehöre zu denen, die ihnen diese Songs schreiben. Meist in einem kleinen Team, in dem jeder einen Bereich des Songwritings übernimmt.
Ihr Name taucht beispielsweise unter den Urhebern des Songs «Overdrive» von Ofenbach auf. Ein Millionenseller und europaweit gerade in den Top 10 der Charts.
Genau. Es ist spannend, Musik zu machen, die überhaupt nichts mit einem selbst zu tun hat. Es ist eine Art Rollenspiel, indem man sich vorstellt, was für einen anderen Künstler funktionieren könnte. Das ist tatsächlich eine neue Disziplin im Musikbusiness. Ich mache das durchaus mit Herzblut.
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Und offenbar mit Erfolg.
Sich in diesem Feld eine Karriere aufzubauen, ist ähnlich schwer wie im herkömmlichen Musikerleben. Man muss zuerst untendurch, muss Kontakte knüpfen und Vertrauen aufbauen. Aber eben, es sind zwei völlig unterschiedliche Bereiche. Viele der Acts, die in der Streaming-Welt und auf Tiktok durch die Decke schiessen, schaffen es nicht, grosse Hallen zu füllen und an Konzerten Menschen zu begeistern. Das erstaunt mich nicht. Es ist, wie wenn man einem Tischtennisspieler sagt, er könne ruhig auch im Stabhochsprung antreten, es sei ja schliesslich beides Olympia.
Was denken Sie, wenn Sie den Ofenbach-Hit im Supermarkt hören?
Es schwingt oft eine Art Aussenseiterkomplex mit. Ich wurde lange belächelt, gehörte nicht dazu. Es gibt mir also die Bestätigung, dass ich doch etwas erschaffen kann, was eine breitere Masse berührt, auch wenn meine privaten Vorlieben woanders liegen. Vielleicht kommt da auch eine sanfte Pseudo-Punk-Attitüde zum Vorschein: «Eat this, Pop-Business!»
Zu den unsichtbaren Dingen, die Sie tun, gehört auch die Filmmusik. Sie haben unter anderem für die deutsche Serie «Jerks» die Tonspur erschaffen. Es gibt keinen Musikzweig, der einem ein strafferes künstlerisches Korsett umschnallt, als die Filmmusik. Fühlen Sie sich da wirklich wohl?
Total. Genau deswegen. Es gibt da so viele Limitierungen, dass man förmlich auf neue Ideen kommen muss. Man muss die Stimmung des Films treffen, die Epoche, in der er spielt. Diese Limiten sind oft viel inspirierender als die Freiheiten, die einem ein weisses Blatt bietet.
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Sie sind Gastdozent an der Musikabteilung der Zürcher Hochschule der Künste. Was ist Ihre Dozenten-Kernaussage an die Adresse angehender Musikschaffender?
Genau das: Limitiert euch! Ich mache oft Übungen, in denen ich den Studierenden vorgebe, was im nächsten Song alles nicht erlaubt ist. Die Ergebnisse sind erstaunlich.
Und das kommt ausgerechnet aus Ihrem Munde, der sich mit Bonaparte alle Freiheiten nimmt?
Das tue ich, aber für jedes einzelne Lied setze ich mir strenge Leitplanken. Wir leben in der Zeit der unbegrenzten Optionen. Darin kann man sich leicht verlieren. Die grösste Freiheit ist, mich zu entscheiden, auf welche Einschränkungen ich gerade Bock habe.
Kürzlich hatten Sie Bock, das Lied «Ermutigung» von Wolf Biermann neu einzuspielen. Was verbindet Sie mit dem Übervater des deutschen Liedermachertums?
Es gab Ende der Sechzigerjahre zwei Boygroups in Bern. Die eine waren die Troubadours mit Mani Matter, die andere hiess Trouvères, wo mein Papa mitwirkte. Das Liedermachertum war mir also früh vertraut. So hat es mich sehr gefreut, als die Anfrage kam, ein Biermann-Lied zu covern. Ich habe mit meinem Vater alle Songs durchgehört und bin dann doch bei Biermanns grösstem Hit gelandet. Er ist gerade sehr aktuell, wie so vieles, was Biermann geschrieben hat.
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Aktuell sind Sie auf einer speziellen Comeback-Tour: zwei Konzerte in einer Stadt, jeweils ein wildes und ein ruhiges, eines im Underground, eines in einem Saal der Hochkultur. Das hat überall funktioniert, nur nicht in der Schweiz. Warum?
Ja, das ist schade. Das ruhige Berner Konzert sollte im Casino stattfinden. Doch dieses hat, zwei Stunden bevor wir die Tournee angekündigt haben, abgesagt. Also finden nun beide Konzerte im Bierhübeli statt.
Was macht Ihnen mehr Spass: die Eskapade oder das Gesittete?
Die Eskapade haben wir im Blut. Da sind wir eingespielt. Das ruhige Set ist wie ein Seiltanz. Es ist fragiler, aber wenns gut kommt auch magischer. Ich finde das Hin und Her – vom Flügel zu den Stromgitarren – gerade sehr reizvoll.
Was tun eigentlich Ihre wilden Cabaret-Figuren, Ihre Nackttänzer- und -tänzerinnen, während des Balladen-Sets?
Die sind natürlich auch auf der Bühne. Aber sie verhalten sich dem Gebotenen angemessen. Diese Tournee fühlt sich wie eine Schulreise an. Alles ist so familiär. Tim Fite ist dabei, der live Bilder malt und nachher in der Galerie von Tom Blaess ausstellt. Und der Pianist Cédric Monnier spielt an den ruhigen Abenden ein wundervolles Solo-Piano-Intro.
Während der punkige Abend in Bern schnell ausverkauft war, gibt es noch Tickets fürs ruhige Konzert. War dem überall so?
Nein, in anderen Städten waren die Quiet-Shows früh ausverkauft, fanden aber auch in kleineren Konzertsälen statt. Es war ein Blindflug. Wir wussten ja nicht, wie sich unser Publikum verändert hat. Bonaparte-Fans der ersten Stunde haben mittlerweile auch drei Kinder zu Hause. Wir dachten, sie hätten es lieber etwas ruhiger.
Guckt man auf die Bonaparte-Streaming-Hitparade, dann sind es ruhige Lieder wie «Melody X» oder «Château Lafite», die weit über die Millionengrenze hinausschiessen. Was sagt es über die heutige Musikwelt aus, dass Sie mit den Streaming-Schlagern weniger Publikum an die Konzerte bringen?
Nun, viele der ruhigen Songs haben auf irgendwelchen Chillout-Playlists Platz gefunden. Die Leute, die das hören, sind nur an der Stimmung dieser Listen interessiert. Sie kennen zwar den Song, aber nicht von wem er ist. Ich habs ja gesagt: In der heutigen Musikwelt gelten neue Regeln.
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Und was kommt als Nächstes – abgesehen vom berndeutschen Kumasi-Album?
Auf meinem Computer gibts viel neue Musik, von der ich vielleicht 5 Prozent veröffentlichen werde. Aber mit Kid Simius arbeite ich gerade an der Musik für eine NBA-Basketball-Doku. Das macht vielleicht Spass. Für die Amis kann man musikalisch immer so schön auf dicke Hose machen.
Die einzigen Schweizer Konzerte: Bierhübeli Bern, Do, 22.2., 20 Uhr (The Quiet). Fr, 23.2., 20 Uhr (The Riot; ausverkauft).
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