Endspiel um das RahmenabkommenCassis muss zu Hause bleiben – alle weiteren Fragen sind ungeklärt
Der Bundesrat schickt Guy Parmelin alleine auf die Reise nach Brüssel. Doch was er dort sagen wird, steht noch nicht fest. Derweil signalisiert die EU plötzlich Kompromissbereitschaft.
Er flog nach Washington, Moskau und Peking. Er besuchte Jerusalem, Teheran und Abu Dhabi. Er knüpfte Kontakte in Brasilia, Montevideo und Santiago de Chile. Er führte Gespräche in Algier, Bamako und Banjul.
Ignazio Cassis (FDP) hat in seinen dreieinhalb Jahren als Aussenminister die ganze Welt bereist. Nur in eine Stadt schaffte er es nie. Brüssel.
Einmal soll es zwar ein Gespräch gegeben haben mit EU-Kommissar Johannes Hahn am örtlichen Flughafen Zaventem. Doch mit dem Besuch am Hauptsitz der EU-Kommission, dem Machtzentrum Europas, hat es nie geklappt. Und dabei bleibt es.
Wenn Bundespräsident Guy Parmelin am nächsten Freitag zu EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen fliegt, muss Cassis zu Hause bleiben. Der Bundesrat hat gestern im telefonischen Austausch entschieden, dass Parmelin alleine nach Brüssel reist.
Wurde Cassis ausgebootet?
Kurz nachdem diese Zeitung den Entscheid am Freitag publik gemacht hatte, bestätigte Bundesratssprecher André Simonazzi via Twitter, dass am 23. April in Absprache mit der Europäischen Union ein präsidiales Treffen stattfinde.
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Das bundesrätliche Reiseverbot für Cassis hat beträchtlichen Symbolwert. Noch vor wenigen Tagen hatte Cassis gegenüber dem «Blick» gesagt, er gehe davon aus, dass er bei diesem Treffen ebenfalls dabei sein werde. «Kein anderer Bundesrat kennt das Dossier so gut wie ich.» Cassis, so scheint es, wurde von seinen Bundesratskollegen ausgebootet.
Cassis versuchte am Freitag am Rande eines Aussenministertreffens diesen Eindruck zu entkräften. Brüssel habe ein Gespräch im «1:1-Format» gewünscht, sagte er. Und Bundesratssprecher Simonazzi führte aus, das präsidiale Treffen finde auf Wunsch der EU nur zwischen den Präsidien statt. Dafür gebe es «protokollarische Gründe».
Anders tönte es aus Brüssel: Wer die Kommissionschefin zum Mini-Gipfel mit Parmelin begleiten werde, sei noch nicht festgelegt, sagte ein Sprecher. Geplant sei ein Treffen der zwei Präsidenten, wobei jeder mit seiner Delegation kommen werde. Es sei also kein 1:1-Treffen.
Eine knifflige Mission für Parmelin
Damit ist eine Woche vor dem entscheidenden Treffen in Brüssel nicht nur unklar, wer im EU-Kommissionsquartier schliesslich auf wen treffen wird, sondern auch, was dort genau besprochen werden soll.
Gibt Parmelin bekannt, dass der Bundesrat aufgrund klar verfehlter Verhandlungsziele das Rahmenabkommen nicht unterzeichnen kann? Oder gibt es einen letzten, präsidialen Rettungsversuch, der Raum lässt für weitere Verhandlungen auf höchster politischer Ebene?
Dass die Ziele des Bundesrats bei den Nachverhandlungen mit Brüssel nicht erreicht worden sind, ist inzwischen unbestritten. Einzig bei den staatlichen Beihilfen liegt eine Einigung der beiden Verhandlungspartner auf dem Tisch. So soll in einer Zusatzerklärung bekräftigt werden, dass die Beihilferegelung vorerst nur für das Luftverkehrsabkommen gilt.
Bei der Sicherung des Lohnschutzes und bei der Unionsbürgerrichtlinie, die den Zugang von EU-Ausländern zur Schweizer Sozialhilfe erleichtern würde, ist man hingegen nicht weitergekommen. Damit sieht der Bundesrat seine selbst definierten Ziele nicht erreicht – eine Unterzeichnung des Abkommens ist ihm so verunmöglicht. Dies bestätigen in Bern mehrere voneinander unabhängige Quellen.
Plötzlich fällt in Brüssel das K-Wort
Unverdrossen gibt sich demgegenüber Brüssel, zumindest offiziell und auf Anfrage. «Wir hoffen, dass es Dynamik gibt mit Blick auf eine Unterzeichnung und Ratifizierung des Abkommens, wozu wir die Schweizer Regierung seit einiger Zeit auffordern», sagt der Chefsprecher Eric Mamer.
Die letzten Meter seien bei einer Verhandlung immer die schwierigsten, sagte Mamer weiter. Die EU-Kommission sei bereit zu Kompromissen, solange diese ausgewogen seien und das Ziel des Abkommens nicht gefährdeten. Das Abkommen müsse dort einen homogenen Rechtsrahmen schaffen, wo die Schweiz Zugang zum Binnenmarkt habe. Es gehe um das «Level Playing Field», frei übersetzt: gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle.
Bundesrat hält an Krisensitzung fest
Wie der Bundespräsident am 23. April in Brüssel inhaltlich auftreten soll, wird der Bundesrat am Montag in einer ausserordentlichen Sitzung festlegen. Eine klare Linie dazu zeichnete sich am Freitag noch nicht ab. Es kursieren auch hierzu diverse Varianten.
So sind neben einer definitiven Absage Parmelins an Ursula von der Leyen noch weitere Optionen verwaltungsintern angedacht. Ein deutlich höherer Kohäsionsbeitrag der Schweiz soll an die Bedingung geknüpft sein, dass die EU auf Nadelstiche verzichtet. Im Gespräch sind auch eine rasche Modernisierung des Freihandelsabkommens von 1972 oder eine Zwischenlösung. Diese würde auf ein Interimsabkommen hinauslaufen, in dem umstrittene Teile des Rahmenabkommens erst mal geparkt würden.
Denkbar ist auch eine Variante, in der das Treffen zwischen Parmelin und von der Leyen vom nächsten Freitag nicht mit einem Schlussstrich unter das Rahmenabkommen gleichzusetzen wäre. Die beiden könnten zum Schluss kommen, dass weitere Verhandlungen auf höchster politischer Ebene Sinn machen könnten. Bei einem nächsten Treffen wäre dann wohl auch Aussenminister Cassis dabei. In diese Richtung geht auch die Aussage von Bundesratssprecher Simonazzi: Ziel des Treffens von Parmelin und von der Leyen sei es, «die Gespräche auf politischer Ebene wieder aufzunehmen».
Die Hektik vor und hinter den Kulissen in Bern – sie lässt wichtige Antworten offen. Klar scheint, dass die kommenden Tage bezüglich Rahmenvertrag entscheidend sind. Und immerhin gut möglich ist, dass das Abkommen nach langjährigen Verhandlungen stirbt, ohne dass der amtierende Aussenminister Ignazio Cassis jemals in Brüssel war.
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