Bundesratswahl – das war der TagNüchterne Basler, die Linke in der Krise und ein Pochen auf Stabilität
Beat Jans ist Bundesrat. Aber Spielchen gab es trotzdem. Warum die Sozialdemokraten nach diesem Wahltag wütend sind, die Grünen noch mehr, und alles beim Alten bleibt – zumindest scheinbar.
Es ist kurz nach 12 Uhr mittags, da beginnen im Basler Rathaus, ziemlich genau 69 Kilometer Luftlinie vom Bundeshaus in Bern entfernt, die Glocken zu läuten.
«D Rothuusglogge lüte. D Sunne schyynt. Basel hett e Bundesrot!», heisst es später auf Instagram.
Fünfzehn Minuten lang läuten sie, die Menschen in der Stadt sollen wissen, dass in diesem Moment etwas Spezielles geschehen ist. So haben sie es schon vor 64 Jahren gemacht, als mit Hans Peter Tschudi der letzte Basler Bundesrat gewählt wurde.
Beat Jans also. Jans war schon einmal Favorit gewesen, ganz am Anfang dieses Rennens. Doch dann kamen die Bauern, es kamen alle anderen SP-Kandidaten, und plötzlich redete niemand mehr über den Basler Regierungspräsidenten. Das änderte sich erst wieder im Verlauf der letzten Tage. Jans gab sich offensichtlich konzilianter als sein Konkurrent Jon Pult.
Jans geht als Favorit in diesen Tag.
Dass es am Schluss doch noch dramatisch wird, liegt interessanterweise nicht an Jon Pult, sondern an der bürgerlichen Ratshälfte und deren Vorliebe für den Zürcher Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch.
Ein kurzes Raunen geht durch den Nationalratssaal, als beim ersten Wahlgang für den frei werdenden Sitz von Alain Berset die 63 Stimmen für Jositsch bekannt gegeben werden. Der Zürcher Ständerat registriert das Resultat kaum und tut dann das, was er schon vor einem Jahr getan hatte, als es um den Sitz von Simonetta Sommaruga ging: Er bleibt sitzen.
Stoisch beobachtet er von seinem Sessel am Rand des Saales, wie Co-Fraktionschefin Samira Marti offensichtlich wütend nach vorne ans Rednerpult schreitet: «Ich bitte Sie, einen der offiziellen Kandidaten zu wählen!» Das Ticketsystem sei ein historisch gewachsener Kompromiss. «Es gehört zum guten Ton, dass sich die Bundesversammlung daran hält.»
Die Bundesversammlung hält sich nicht daran. Auch nach dem nächsten Wahlgang bleibt Jositsch sitzen. 70 Stimmen sind es jetzt, das sind nicht wenige, doch er bewegt sich nicht. Er geht nicht nach vorne, um seinen Verzicht zu erklären. Stattdessen hört er GLP-Nationalrat Martin Bäumle zu, der mindestens zehn Minuten auf ihn einredet.
Das Verhalten von Jositsch, es wird wohl Konsequenzen haben. Aus seiner Partei heisst es offiziell nichts anderes, als dass man seine Reaktion «zur Kenntnis nehme». Das Verhältnis zwischen ihm und seiner Partei, es dürfte kaum mehr zu kitten sein. Dabei wurde er erst kürzlich für vier Jahre als Zürcher SP-Ständerat wiedergewählt.
Die Drohung wirkt
Das Drama – es kommt also an diesem Wahltag doch noch, zumindest in einer kleinen, gutschweizerischen Dosis. Dies, nachdem das Rennen zuerst schon morgens um 7.55 Uhr gelaufen schien. Da trat im Bundeshaus Samira Marti vor die Medien und sagte: «Wir haben gestern und heute sehr viel und intensiv diskutiert.» Die Ausgangslage sei «ziemlich komplex». Will übersetzt heissen: Entweder brüskiert die SP die Grünen. Oder sie droht einen Bundesrat zu bekommen, den sie nicht will: einen Bundesrat namens Daniel Jositsch.
Die Fraktion sei sich nicht einig, so Marti. Denn: Gerhard Andrey sei zwar ein guter Kandidat, aber chancenlos. Und dann kommt er, der Satz, der die Spannung dieses Wahltags rasant abfallen lässt: Nur eine Minderheit der SP werde den Grünen unterstützen. Die Mehrheit wähle Ignazio Cassis (FDP). Weil eine Unterstützung für Andrey als Legitimation interpretiert werden könnte, um «Spielchen zu spielen».
Die Drohungen von SVP, FDP und Teilen der Mitte, sie haben gewirkt. Der SP fehlt der Mut zum Angriff auf Cassis – oder sie ist schlicht realistisch.
Für die Grünen: ein Affront. Die SP ist ihre Partnerin im Parlament, bei den eidgenössischen Wahlen, ja eigentlich überall – ausser wenn es um Bundesratssitze geht. Dort prangert die SP das Machtkartell an – und demonstriert gleichzeitig, dass sie ein Teil davon ist. Ihre Jungpartei wird später am Tag fordern, dass sie den Bundesrat verlässt. Vor allem aber sind die Grünen wütend.
«Veränderungen sind nie einfach»
Dabei fordert die grüne Fraktionschefin Aline Trede zu Beginn des Wahltags das Parlament noch eindringlich dazu auf, die bestehenden Verhältnisse zu ändern. «Veränderungen sind nie einfach, und sie sind besonders schwer, wenn es um Macht geht. Aber sie sind möglich!»
Inhaltlich sagt sie damit etwas ziemlich Ähnliches, wie schon Bundeskanzler Walter Thurnherr in seiner Abschiedsrede: Nichts sei für immer gegeben, keine Demokratie, kein System vor Veränderung gefeit. Aber zur direkten Demokratie und zu deren Voraussetzungen, zu den vielen kleinen und grossen Dingen, dazu sollte man unbedingt Sorge tragen.
Man kann diese Passage, wenn man denn will, als Aufruf zur Stabilität verstehen. Und damit liegt Thurnherr ziemlich im Trend.
Bei der SVP warnt Fraktionschef Thomas Aeschi vor Veränderung. Er appelliert an die Bundesversammlung: «In diesen unsicheren Zeiten braucht es Stabilität in der Regierung.» Die SVP-Fraktion habe sich «einstimmig und ganz entschieden» für die Wiederwahl von Ignazio Cassis ausgesprochen. Aeschi erwähnt Cassis namentlich, obwohl die Grünen nicht gesagt haben, welchen FDP-Sitz sie angreifen wollen. Und argumentiert dann weiter mit der Bundesverfassung, «auf die Sie alle einen Eid geschworen haben». Darin nämlich sei die angemessene Vertretung der Landesgegenden und Sprachen erwähnt. Aeschi setzt eine Abwahl von Cassis quasi einem Verfassungsbruch gleich.
Ein Angriff auf die Konkordanz – aber von wem denn nun?
Dann die Wahl, und zack, Cassis ist im ersten Anlauf wiedergewählt, mit 167 Stimmen. Sein Resultat ist sogar besser als beim letzten Mal, als für die Grünen Regula Rytz angegriffen hatte. Gerhard Andrey macht 59 Stimmen – das sind nur rund zwei Drittel des Potenzials von Grünen, Grünliberalen und SP.
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer sagt am Nachmittag am Telefon: «Ich verstehe absolut, dass die Grünen enttäuscht sind, aber es lag nicht an unseren fehlenden Stimmen, dass Gerhard Andrey nicht gewählt worden ist.» Mitte, FDP und SVP hätten ihn nicht einmal angehört.
Meyer bezeichnet die SVP-FDP-Mehrheit als Problem für die Schweiz. Und ergänzt: «Dennoch haben wir contre cœur Ignazio Cassis gewählt, um den zweiten linken Sitz im Bundesrat nicht zu gefährden. Wir haben Wort gehalten.» Die Bürgerlichen hingegen hätten gesagt, sie würden sich an die Konkordanz halten. «Und nun hat fast jeder zweite bürgerliche Parlamentarier nicht auf unserem Ticket gewählt.» Dieses Verhalten sei eine «Attacke auf die Vertretung der sozialen Schweiz im Bundesrat».
Sich an die Konkordanz halten: Was das genau bedeutet, und wer es an diesem Tag im Bundeshaus getan oder nicht getan hat, ist umstritten. Muss die ganze Fraktion die offiziellen Kandidaten der vier Regierungsparteien wählen, damit sie sich aus Sicht der politischen Konkurrenz an die Konkordanz hält? Die SVP wollte sich im Vorfeld der Wahl nicht öffentlich dazu äussern. Aber offenbar sahen sich viele ihrer Parlamentarier nicht an die offizielle Ankündigung gebunden, auf dem SP-Ticket zu wählen.
Die amtierenden Bundesrätinnen und Bundesräte werden zwar allesamt wiedergewählt, aber es gibt einige «Denkzettel». Karin Keller-Sutter etwa erhält auffällig wenige Stimmen, vor allem im Vergleich mit Viola Amherd. Am stärksten fällt aber das Resultat von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ab – sie macht nur 151 Stimmen und damit weniger als Cassis. Ein klares Zeichen der Bürgerlichen, die ihre Asylpolitik regelmässig kritisieren.
Die neue Basler Nüchternheit
Es folgt die letzte Wahl, jene für den vakanten SP-Sitz. Und selbst als Beat Jans im ersten Wahlgang deutlich in Führung geht, lassen sich die Baslerinnen und Basler im Bundeshaus wenig anmerken. Das passt zu ihrem Verhalten während des restlichen Tages, das von einer fast schon Zen-mässigen Nüchternheit geprägt ist.
Die grüne Nationalrätin Sibel Arslan sagt schon ganz früh am Morgen, dass man aus den Fehlern gelernt habe. Ja nicht zu baslerisch tun/sein/wirken/reden. Nicht so wie bei Eva Herzog vor einem Jahr, als der Basel-Aspekt riesig war und ganze Scharen von Fans selfieschiessend und jauchzend nach Bern fuhren.
Jans hat es derweil tunlichst vermieden, auf die 50 Jahre zu verweisen, die Basel auf einen Bundesrat gewartet hat. Schon bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur sagte er: Er wolle ein Bundesrat für die ganze Schweiz sein. Er verzichtete darauf, zu plädieren, dass die Grenzregion im Bundesrat vertreten sein sollte, weil Verhandlungen mit der EU anstehen. Er hat einfach kaum etwas über Basel gesagt.
Genau das hat ihm wohl (mit) zum Erfolg verholfen. Weil die Vertretung der Regionen – und vor allem der Städte – keine sonderlich hohe Priorität geniesst in der Bundesversammlung. Oft wird vor der Wahl viel darüber gesprochen. Am Ende sind dann aber andere Kriterien wichtiger: Sympathien, die Nähe zu Interessengruppen, Konzilianz, Zugänglichkeit.
Und eben nicht: Baseltum. Der höchste Schweizer, Eric Nussbaumer aus dem Baselbiet (der an diesem Tag neben der Ständeratspräsidentin Eva Herzog aus Basel sitzt), verzieht keine Miene, als er nach dem dritten Wahlgang das Resultat verliest.
Gewählt ist … Beat Jans.
Jubel im Saal, Glockengeläut in Basel. Dann ist Jans im Saal, hält eine rührende Rede, dankt Partei und Land und Familie, von deren Liebe er sich getragen fühlt. «Ihr seid das Beste, was mir je passiert ist.»
Und damit endet diese Bundesratswahl.
Eine Wahl, bei der eigentlich nicht viel passiert ist und die doch ziemliche Spuren hinterlassen wird.
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