Trotz Omikron und Corona-Rekordzahlen Bundesrat verzichtet nach Telefon-Meeting auf Verschärfung
Ausserplanmässig hat sich die Landesregierung in Sachen Corona beraten. Die Lage sei «besorgniserregend», ein Massnahmenpaket stünde bereit – noch wolle man aber zuwarten.
Wieso unternimmt der Bundesrat nichts? Das fragen sich viele Schweizerinnen und Schweizer seit Tagen. Bislang ist er passiv geblieben, obwohl die Pandemie einen neuen Höhepunkt erreicht hat und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Donnerstag über 19’000 Neuinfektionen meldete – der dritte Rekord innerhalb von drei Tagen. Das hatte dann anscheinend auch die Landesregierung aufgeschreckt. Heute um 13 Uhr führte sie nun eine Telefonkonferenz mit einem «Informationsaustausch zur aktuellen Lage» durch.
Entscheide zu neuen Massnahmen waren aber nicht vorgesehen, und der Bundesrat hat auch keine gefällt. Dem Vernehmen nach stiess das im Gremium nicht auf Widerstand – obwohl damit zu rechnen ist, dass sich die Lage weiter verschlechtert.
Die Mitteilung, die der Bundesrat nach seiner Telefonkonferenz verschickte, entspricht dem Tweet, den Gesundheitsminister Alain Berset am Mittwoch abgesetzt hatte – bloss in Communiqué-Länge. Die Situation in den Spitälern sei besorgniserregend und die Entwicklung in den nächsten Tagen unsicher, schreibt der Bundesrat. «Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Ansteckungen und Hospitalisierungen weiter zunehmen wird.»
Unklar sei aber, wie viele der hospitalisierten Personen auf einer Intensivstation behandelt werden müssten. Zudem könne noch zu wenig genau beurteilt werden, wie sich die letzten Verschärfungen auswirkten. Der Bundesrat verzichte daher im Moment auf weitergehende Massnahmen. Ein Massnahmenpaket sei aber bereit. Sollten neue Informationen zu Omikron vorliegen oder sollte sich die Lage in den Spitälern nochmals deutlich verschlechtern, könne der Bundesrat sehr rasch handeln.
Der Bundesrat bleibt damit auf seinem bisherigen Kurs und segelt hart am Wind, wie es der Epidemiologe Marcel Salathé in einem Interview ausdrückte. Derzeit müssen über 325 Covid-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstationen behandelt werden. Als kritische Grenze hat der Bund einst den Richtwert von 300 festgelegt.
Die Zahl sei hoch, räumt der Bundesrat ein. Es deute aber immer mehr darauf hin, dass eine Infektion mit der Omikron-Variante in der Regel milder verlaufe als bei früheren Varianten und dass die Auffrischimpfung gut vor einem schweren Verlauf schütze. Dadurch dürfte der Anteil der Personen, die hospitalisiert werden müssten, tiefer sein als in der Delta-Welle.
Nächster Schritt: Schliessungen
Der Bundesrat erinnert auch daran, dass er am 17. Dezember Massnahmen beschloss: die 2-G-Regel, die Beschränkung der Personenzahl an privaten Treffen und die Homeoffice-Pflicht. Damit habe er bereits weitgehende Einschränkungen vorgenommen. Weitergehende Massnahmen werde er erst dann ergreifen, wenn sie unumgänglich seien. Die nächsten Schritte wären unter anderem Schliessungen von Betrieben und Einrichtungen. Die wissenschaftliche Taskforce hatte solche schon vor Weihnachten empfohlen und empfiehlt sie weiterhin.
Der Bundesrat hatte beim Paket vom 17. Dezember eine schärfere Variante mit Teilschliessungen zur Diskussion gestellt. Die Mehrheit der Kantone lehnte diese in der Konsultation aber ab. Manche Kantone – unter ihnen der Kanton Luzern – erwarten nun trotzdem Massnahmen des Bundes. Allerdings ohne zu präzisieren, was genau sie wollen. Dem Bundesrat wiederum geht die Booster-Kampagne der Kantone zu langsam voran: Es sei entscheidend, dass die Kantone die Erst- und Auffrischimpfungen weiterhin möglichst rasch vorantrieben, schreibt er.
Trotz der Zurückhaltung des Bundesrats, die Zahlen würden für eine Verschärfung sprechen. Alarmieren muss die Landesregierung nicht nur die hohe Inzidenz. Mittlerweile ist auch die Zahl der Covid-Patientinnen und -Patienten auf den Intensivstationen (IPS) über den vom Bund definierten Richtwert gestiegen.
Die vier Richtwerte stellen keinen Automatismus dar, sondern dienen als Grundlage für allfällige weitere Verschärfungen. Aber der Bundesrat hat immer wieder betont, dass die Auslastung der Spitäler und insbesondere auf den IPS nun die Hauptkriterien seien, an denen sich seine Politik orientiere. Bundespräsident Guy Parmelin und Gesundheitsminister Alain Berset haben mehrfach gesagt, dass es nicht zu einer harten Triage kommen dürfe.
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Aktuell sind 1777 Covid-Patienten in Spitalpflege, davon 325 auf der IPS. Und diese Zahlen dürften weiter steigen. Denn das Gesundheitswesen bekommt eine Zunahme der Fallzahlen immer erst mit Verzögerung zu spüren. In vielen Spitälern ist die Lage bereits angespannt, das Personal am Limit, Operationen werden verschoben.
Die Auslastung auf den IPS liegt schweizweit bei 78,6 Prozent. Tendenz steigend. Der Anteil freier Betten hat in den letzten Wochen abgenommen, derjenige von Covid-Patienten zugenommen.
Covid-Erkrankte belegen aktuell knapp 37 Prozent der verfügbaren Betten, machen aber fast die Hälfte der Behandelten aus, nämlich 47 Prozent. Normalerweise bleiben Patienten zwei bis vier Tage auf der IPS, etwa nach einer schweren Operation. Bei Covid sind es zwei bis drei Wochen. Für die Betreuung braucht es also mehr Personal.
Und bei diesem herrscht bekanntlich seit Monaten Mangel. Deshalb würde es auch nichts bringen, wenn mehr Intensivbetten zur Verfügung stehen würden. Mehr Patienten behandelt werden könnten deswegen nicht, weil schlicht das Personal dafür fehlt.
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