Geheime Eckwerte verabschiedetBundesrat nimmt neuen Anlauf für Verhandlungen mit der EU
Zwei Jahre nach dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU nehmen die Schweizer Pläne für einen neuen Deal mit Brüssel konkrete Formen an.
Am Mittwoch war grosser EU-Tag im Bundesrat. Er wälzte umfangreiche Papiere über diverse Bereiche, über die mit der EU voraussichtlich ab nächstem Jahr verhandelt werden soll. Aussenminister Ignazio Cassis legte seinen Kolleginnen und Kollegen die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU vor. Für ihn und seit Mittwoch auch für den Gesamtbundesrat ist die Zeit reif, die bilaterale Blockade mit der EU zu durchbrechen und die sogenannten institutionellen Fragen zu regeln.
Beobachterinnen und Beobachter sind nach den Bundesratsentscheiden vom Mittwoch allerdings so klug wie zuvor. Klar ist einzig, dass Aussenminister Cassis den Bundesrat dazu brachte, die als vertraulich klassifizierten Eckwerte zu verabschieden.
Eckwerte nicht veröffentlicht
Die Eckwerte beinhalten mehrere rote Linien, die bei allfälligen Verhandlungen mit der EU ab nächstem Jahr zur Wahrung der Schweizer Souveränität nicht überschritten werden dürfen. Definiert ist dabei auch, wo der Bundesrat allenfalls bereit ist, gegenüber der EU nachzugeben und wo nicht. Die Eckwerte definieren für jeden Verhandlungsbereich auch die Interessen und die Verhandlungsziele der Schweiz.
Übergeordnetes Ziel des Bundesrates ist es, «den bisherigen bilateralen Weg zu stabilisieren und ihn massgeschneidert weiter zu entwickeln». Die hindernisfreie Beteiligung am EU-Binnenmarkt soll gesichert werden, namentlich in den Bereichen Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft, Strom, Lebensmittelsicherheit sowie bei den technischen Handelshemmnissen.
Im Hinblick auf allfällige Verhandlungen mit der EU ist verständlich und wohl auch sinnvoll, dass der Bundesrat diese Eckwerte nicht öffentlich bekannt gibt, bevor nach Verabschiedung eines Verhandlungsmandats das Seilziehen mit der EU entschieden ist.
Die beschlossenen Eckwerte sollen also die Grundlage bilden für die weiteren Gespräche mit der EU zur Regelung der noch offenen Punkte. Bis Ende Jahr will der Bundesrat ein Verhandlungsmandat verabschieden.
Ein Anliegen ist dem Bundesrat, die Teilnahme am Forschungsprogramm Horizon Europe wieder zu ermöglichen.
Der Bundesrat bestätigte am Mittwoch seine bereits früher geäusserte Absicht, drei weitere Abkommen mit der EU abzuschliessen – ein Stromabkommen, ein Abkommen über Lebensmittelsicherheit sowie ein Kooperationsabkommen im Bereich Gesundheit. Beim letzten Punkt sollen etwa Rehabilitationen im kostengünstigen benachbarten Ausland möglich werden, während Patientinnen und Patienten aus Nachbarländern anspruchsvolle Operationen in der Schweiz durchführen lassen könnten. Wie in den anderen Bereichen auch sind hier aber noch zahlreiche Fragen offen – wie der Bundesrat selbst mitteilt.
Bestätigt hat der Bundesrat auch den neuen Verhandlungsansatz, der mit der EU verfolgt werden soll. Statt eines einzelnen Abkommens soll ein ganzes Paket mit neuen Binnenmarktabkommen und Kooperationsabkommen verhandelt werden.
Ein besonderes Anliegen ist dem Bundesrat, die Teilnahme am Forschungsprogramm Horizon Europe wieder zu ermöglichen. Von diesem Programm ist die Schweiz ausgeschlossen, seit der Bundesrat vor zwei Jahren die Verhandlungen mit der EU abgebrochen hat.
Resultate bis in einem Jahr?
Die Reaktionen auf den Bundesratsentscheid fallen verhalten positiv aus. Der Arbeitgeberverband nimmt erfreut zur Kenntnis, dass in den bisher geführten Sondierungsgesprächen mit der EU «grosse Fortschritte» erzielt worden seien. «Insbesondere bei den staatlichen Beihilfen, der Unionsbürgerrichtlinie und den flankierenden Massnahmen konnten die allermeisten offenen Punkte geklärt werden», schreiben die Arbeitgeber. Ziel für den Bundesrat müsse es nun sein, mit der jetzigen EU-Kommission bis im Sommer 2024 ein neues Paket fertig auszuhandeln.
Für den Gewerbeverband ist der vom Bundesrat gewählte Ansatz «ein möglicher Weg, die vitalen Interessen der Schweiz zu bewahren». Eine Gesamtbeurteilung werde aber vom Verhandlungsresultat abhängig sein, einen Ausbau der flankierenden Lohnschutzmassnahmen lehne der Verband ab.
Für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund ist derweil klar, dass die «schleichende Erosion beim Lohnschutz» gestoppt werden muss. Um ausländisches Lohndumping zu vermeiden, brauche es verbindliche Garantien, dass die Gesamtarbeitsverträge weiterhin zwischen Sozialpartnern gleichwertig vollzogen werden könnten. Und die Schweiz müsse weiterhin Instrumente wie Dienstleistungssperren, Arbeitsunterbrüche und Kautionen einsetzen können, um Dumping wirksam zu bekämpfen.
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