EM 2021Jokertore erlösen Italien
Italien bricht den Zoff-Weltrekord und ringt Österreich in der Verlängerung 2:1 nieder. Die Eingewechselten machen den Unterschied.
Da stand er, Franco Foda, der deutsche Trainer der österreichischen Fussballnationalmannschaft, dessen Vater Italiener ist. Um ihn herum hatte er seine Mannschaft geschart. Sie hatte gerade ein 0:0 erreicht gegen Italien. Und Foda schrie in die Runde: «Bis zur letzten Sekunde, noch 30 Minuten!» Kaum jemand hätte gedacht, dass es Österreich im Achtelfinal gegen einen der Mitfavoriten in die Verlängerung schafft. Aber da waren sie, umgeben von 22’000 Menschen im Londoner Wembley und wahrscheinlich selbst erstaunt, dass es weiterging.
Fünf Minuten später erzielte der eingewechselte Federico Chiesa das 1:0 für Italien. Zehn Minuten danach traf Matteo Pessina zum 2:0. Der ehemalige Basler Aleksandar Dragovic schaute mit leerem Blick in die Weite, Foda stand an der Seitenlinie. Die ganze Anspannung war abgefallen, während der italienische Trainer Roberto Mancini seine modischen Kleider beim Jubel strapazierte. Die Italiener sind eine Runde weiter und stehen im Viertelfinal.
Sie haben inzwischen zwölf Spiele hintereinander gewonnen. Mit 34:1 Toren. Seit 31 Partien haben sie nicht mehr verloren, 30 Spiele in Serie aus den 1930er-Jahren war der Landesrekord gewesen. Und sie haben Dino Zoffs Weltrekord aus den 1970er-Jahren gebrochen. Zoff war 1143 Minuten ohne Gegentor geblieben. Seine Landsleute brachten es nun auf 1168 Minuten, weil Gianluigi Donnarumma in der 114. Minute von Sasa Kalajdzic doch noch bezwungen wurde. Nach gut einer Stunde hatte der VAR ein Tor des österreichischen Stürmers Marko Arnautovic aberkannt.
In dieser italienischen Mannschaft gibt es fabelhafte Fussballer: Etwa Lorenzo Insigne, Jorginho, Marco Verratti. Oder ganz hinten Leonardo Bonucci, der mit dem Fachverstand aus über 100 Länderspielen die Arbeit des 22-jährigen Donnarumma erleichtert. Aber einen Star, der alle überstrahlt, den gibt es nicht. Dafür sorgt auch Trainer Mancini, der seit 2018 und der verpassten Weltmeisterschaft fast 80 Spieler einsetzte und rund 40 von ihnen das Länderspieldebüt ermöglicht hat.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Was diese Mannschaft ohne Stars auch gegen Österreich zeigte, war weniger unterhaltend als gegen die Schweiz. Aber in der ersten Halbzeit und später in der Verlängerung überzeugten die Italiener: Manchmal holte sich Verratti die Bälle aus den österreichischen Reihen wie ein Eisverkäufer die Kugeln aus einer angetauten Packung Vanille-Eis; Insigne war kaum zu stoppen, wenn er von aussen zur Mitte zog und sich den Ball auf den starken rechten Fuss legte; jeder im Mittelfeld schlug lange Pässe auf Ciro Immobile, dieser knallte den Ball nach einer halben Stunde ans Lattenkreuz; und wenn sich die Italiener unter Druck aus der eigenen Abwehrzone befreien mussten, dann schien es zuweilen so, als bewegten sie sich näher am Ruhepuls als an der Maximalbelastung. Aber eben nur in der ersten Halbzeit.
Österreich steigert sich
Der Österreichische Trainer Foda begegnete diesem Aufmarsch von Weltklasse mit einer Organisation, der sich alle unterordneten. Und je länger die Partie dauerte, desto besser kamen die Österreicher klar. Der starke Florian Grillitsch war im defensiven Mittelfeld eine Art vorgezogenes Abwehrzentrum; David Alaba zog das Spiel immer wieder auf sich, obwohl er wieder als linker Aussenverteidiger agierte; zudem wehrte sich Goalie Daniel Bachmann mit Händen und bei einer seiner besten Paraden mit den Füssen. Und wenn der Ball sogar mal bis zur Sturmspitze Marko Arnautovic kam, dann hatte die Abwehr Zeit, sich wieder zu organisieren.
Nach dieser starken Leistung in ihrem ersten K.-o.-Spiel an einer Europameisterschaft fliegen die Österreicher nach Hause. Für die Italiener geht es am 2. Juli mit dem Viertelfinal gegen Belgien oder Portugal weiter.
2' Gelb Arnautovic
Lange hat er nicht gebraucht, um ein erstes Mal aufzufallen. Arnautovic sieht Gelb. Für ein Foul (kein verbales) an Barella am gegnerischen Strafraum.
Anpfiff
Die Partie läuft, auf gehts. Mal schauen, ob es die Österreicher besser machen als die Schweizer vor zehn Tagen.
Die Hymnen
Wir lauschen gerade den Nationalhymnen. Zumindest bei den Italienern ist das jeweils ein Ereignis, auch ohne Buffon.
Niederknien oder nicht?
Offen ist noch die Frage, ob die Italiener vor dem Anpfiff den Kniefall als Zeichen gegen Rassismus machen. Im Gruppenspiel gegen Wales taten dies nur fünf Spieler, die anderen blieben stehen, was in der Heimat Kritik hervorrief. Abwehrchef Bonucci kündigte an: «Es sieht so aus, dass alle es tun wollen. Wir wissen, dass wir das Signal setzen wollen. Aber weder Österreich noch wir haben uns bisher entschieden, ob wir den Kniefall machen.»
Wir schauen also genau hin.
Der Schiedsrichter
Wie immer hoffen wir, dass er nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen wird: Anthony Taylor aus England, der das Spiel leitet.
Das Stadion
Gespielt wird übrigens im Wembley, heute dürfen im Gegensatz zur Vorrunde 45'000 Zuschauer ins Stadion. Wobei die Corona-Lockerungen etwas knapp angekündigt wurden, weshalb es weniger sind. Er hier ist aber dabei. Vor ihm hätte wohl selbst Gaius Julius Caesar Respekt gehabt.
Aufstellung Italien
Roberto Mancini versuchts mit diesen elf. Was natürlich auffällt: Abwehr-Routinier Giorgio Chiellini fehlt weiterhin. Der 36-Jährige von Juventus steht verletzungsbedingt noch nicht im Kader. Neben Captain Leonardo Bonucci beginnt stattdessen Francesco Acerbi in der Innenverteidigung.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Und hier die taktische Ausrichtung:
Aufstellung Österreich
Foda schickt folgende Startformation aufs Feld. Vorne hoffen die Österreicher auf den so unberechenbaren wie technisch versierten Arnautovic, der auch im Gegner-Beleidigen Spitze ist. Siehe Match gegen Nordmazedonien, wo ihm eine verbale Entgleisung eine Spielsperre einbrachte.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Auf dem Rasen dürfte das so aussehen:
Der Trainer, ein halber Italiener
Übrigens: Franco Foda, der deutsche Trainer der Österreicher und Nachfolger von Marcel Koller, hat einen italienischen Vater. Keine Ahnung, was das für diesen Match bedeutet, aber als Randnotiz nehmen wir das doch gerne mit.
Goldis Prognose
Im ORF hat einer, der es wissen muss, folgende Prognose gewagt: «Ich sag: Abschiessen werden sie uns nicht. Ich wünsche mir, dass wir uns teuer verkaufen, dass wir sie ärgern. Und am schönsten wäre es, wenn wir danach noch eine Mannschaft ärgern dürfen. Es wird auf jeden Fall eine coole Partie.» Die Aussage stammt von Andreas Goldberger. Skisprungfreunde kennen den «Goldi» natürlich noch.
Und wenn wir uns ein aktuelles Bild des 48-Jährigen anschauen, stellen wir fest: Eigentlich sieht er noch fast gleich aus wie damals, als er mit 20 die Vierschanzentournee gewann. Aber das ist ja bei Simon Ammann nicht anders (wobei dieser die Tournee nie gewonnen hat).
Österreich wie 1954
Die Österreicher haben ihr Ziel eigentlich schon erreicht. Sie stehen zum ersten Mal seit der WM 1954 in der K.-o.-Runde eines grossen Turniers. Damals im Viertelfinal schlugen sie die Schweiz in Lausanne 7:5, ehe sie im Halbfinal dem späteren Weltmeister Deutschland 1:6 unterlagen. Ist ein paar Wochen her.
Der nicht nur beliebte Goalie
Die aktuelle Nummer 1 bei Italien, die für immer und ewig mit dem Rekord (sollte er denn fallen) in Verbindung gebracht werden wird, heisst Gianluigi Donnarumma. Was dieser 22-Jährige für Qualitäten hat und warum ihn die eigenen Fans zuweilen auspfeifen, können Sie hier nachlesen: Italiens Goalie hechtet den Millionen nach.
So viel sei schon verraten: Es hat mit ihm zu tun. Mino Raiola heisst der gute Mann, von Beruf Spieleragent, und er ist bei den Clubs nicht ausnahmslos beliebt.
Der Strohhalm
Wir haben ihn doch noch gefunden, den Strohhalm, an dem sich die Österreicher festhalten können. Achtung: Sie haben seit 23 Jahren und dem 1:2 an der WM 1998 nicht mehr gegen Italien verloren. Okay, danach gab es nur noch einen Match – ein Testspiel 2008, das 2:2 endete. Aber immerhin.
Ach, die Statistik
Meistens lässt sich ja irgendeine Statistik finden, an die sich der Aussenseiter klammern kann. Heute wird das nicht ganz einfach. Also, legen wir los (am besten hier nicht mehr weiterlesen, wenn Sie Österreich-Fan sind oder Marcel Koller heissen):
Italien ist seit 30 Spielen ungeschlagen.
Italien gewann zuletzt elfmal in Serie und blieb dabei ohne Gegentor.
Italien hat seit 1055 Minuten kein Tor kassiert – der Weltrekord der italienischen Goalielegende Dino Zoff aus den Siebzigerjahren steht bei 1143 Minuten.
Italien ist gegen Österreich seit 13 Partien ungeschlagen, die letzte Niederlage datiert vom Dezember 1960.
Wenn Sie mit diesem Match also viel Geld verdienen wollen, dann gibt es nur einen Tipp: Österreich.
Herzlich willkommen
Seien Sie gegrüsst, werte Fussballfreunde. Es steht der zweite Achtelfinal auf dem Programm, Österreich fordert Italien. Wobei fordern ein grosses Wort ist. Ob es wirklich so weit kommt, wird sich weisen. Sicher ist: Die Rollen sind klar verteilt. Und das hat vor allem mit den Italienern zu tun.
Fehler gefunden?Jetzt melden.