Party-Affäre in GrossbritannienBoris Johnson will von den eigenen Problemen ablenken
Der Premier zieht in den Kampf, um seinen Kopf zu retten: Personalumbau in Downing Street und verstärkter PR-trächtiger Fokus auf Themen wie Immigration und die BBC.
Von allen Seiten bedrängt, hat der britische Premierminister Boris Johnson am Montag eine eigene politische Offensive eröffnet, um sich im Amt zu halten. Mit einer gezielten Doppelstrategie hofft Johnson, den Zorn von sich zu lenken, den ihm die Enthüllung der sogenannten Lockdown-Partys in Downing Street und seine eigenen Vertuschungsversuche eingetragen haben.
Zu dem Plan gehört zum einen die Vorbereitung der Entlassung zahlreicher Mitarbeiter und Untergebener, denen der Premier die Verantwortung für die «Party-Kultur» in der Regierungszentrale und für beharrliche Verstösse gegen Lockdown-Bestimmungen zuweisen möchte. Whitehall-Berichten zufolge sollen unter anderem Johnsons Privatsekretär Martin Reynolds, sein Stabschef Dan Rosenfield und sein Kommunikationsdirektor Jack Doyle ihre Jobs verlieren, sobald in den nächsten Tagen der Report der Staatsbeamtin Sue Gray zu den verbotenen Partys veröffentlicht wird. Der Stall werde «gründlich ausgemistet», hiess es dazu in No 10 gestern.
Alkoholfreie Zone
Johnson wolle die Regierungszentrale überdies zur alkoholfreien Zone machen. Die britischen Medien haben die Aktion sarkastisch «Operation Save Big Dog», die Aktion zur Rettung des Top-Dogs in London, getauft. Einzelne Tory-Parlamentarier haben diesen Plan Johnsons aber bereits als ungenügend bezeichnet. Tobias Ellwood, der konservative Vorsitzende des Verteidigungspolitischen Ausschusses im Unterhaus, hält die blosse Entlassung von Mitarbeitern und einen «Wust neuer Initiativen» für «nicht ausreichend, um das verlorene Vertrauen im Parlament und in der Nation wiederherzustellen».
Mit dem «Wust neuer Initiativen» meinte Ellwood den zweiten Teil des Johnson-Plans – nämlich mit einem eilends präsentierten Bündel an populistischen Massnahmen seine Partei-Hardliner neu für sich einzunehmen. So will der Premierminister nun, wie die Londoner «Times» enthüllte, die Kriegsmarine einsetzen, um Flüchtlinge und Migranten, die über den Ärmelkanal setzen, vom englischen Ufer fernzuhalten. Wer es dennoch schafft, soll nach Ghana oder Ruanda ausgeflogen und dort möglichst auch angesiedelt werden.
Angriff auf die BBC
Kulturministerin Nadine Dorries, demonstrativ loyal zu Johnson, kündigte ausserdem just zu Wochenbeginn an, dass die BBC – die weltweit berühmte britische Rundfunkanstalt – nun radikal geschrumpft werden und ihre öffentlich-rechtliche Rolle vielleicht ganz verlieren soll. Dorries will trotz hoher Inflationsrate in Grossbritannien die Rundfunkgebühr für die nächsten zwei Jahre einfrieren, was bedeutet, dass die BBC wegen steigender Kosten womöglich Tausende von Stellen streichen und ihre Programme drastisch einschränken muss. 2027, wenn der gegenwärtige Rundfunkvertrag ausläuft, soll die Rundfunkgebühr dann ganz abgeschafft werden, hat die Ministerin signalisiert.
Damit droht der Anstalt, die zum Vorbild so vieler Rundfunkanstalten der Welt geworden ist, eine völlig ungewisse Zukunft. Viele Tories bestehen darauf, dass die BBC gegenüber kommerziellen Sendern künftig keinen Vorteil mehr hat. Andere sind einfach die redaktionelle Unabhängigkeit der Anstalt, deren Recht auf Kritik an der Regierung, leid. Am Wochenende erst hatte der Tory-Hinterbänkler Michael Fabricant dem Sender vorgeworfen, seine «hartnäckige Konzentration» auf Anti-Johnson-Kommentare in den letzten Tagen komme «dem Versuch eines Staatsstreichs gegen den Premierminister» gleich.
Positive Reaktionen erhofft sich Johnson auch von der für nächste Woche geplanten Aufhebung fast aller Covid-Restriktionen. Ob ihn das vor weiteren Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen «rettet», ist noch nicht abzusehen. Gegen neue Vorwürfe, von einer während des Lockdown von ihm besuchten Gartenparty vorab gewusst und an anderen Partys teilgenommen zu haben, hat sich Johnson erneut nachdrücklich gewehrt.
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