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Grünes Licht für Impfstart
Boris Johnson wähnt sich auf dem Siegespfad

Premierminister Boris Johnson bei einem Besuch des Impfstoff-Herstellers Wockhardt  in Wales.
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Mit einer «ganz fantastischen Nachricht» konnte heute der britische Premierminister Boris Johnson aufwarten. Sein Land, das laut Johnson «immer neue Weltrekorde» aufstellt, hat diesmal wirklich die Nase vorn. Zumindest in der westlichen Welt ist Grossbritannien die erste Nation, die grünes Licht gibt für einen Impfstoff gegen Covid-19.

Während man in der EU und den USA noch auf entsprechende Genehmigungen warten muss, haben die britischen Aufsichtsbehörden am Mittwoch die Erlaubnis zum Einsatz des Biontec/Pfizer-Impfstoffs im Vereinigten Königreich erteilt. Bereits Anfang nächster Woche sollen die ersten Personen mit dem Präparat geimpft werden. Bis Weihnachten sollen es schon Zehntausende sein. Geplant ist, eine praktisch pausenlose Massenimpfung zu organisieren, an der Hausärzte, Klinikpersonal, Apotheker, Soldaten und zahllose Freiwillige beteiligt wären.

«Zurück zur Normalität»

Sportstadien und Ausstellungshallen werden für diese Aktion vorbereitet. Sobald der Impfstoff in den nächsten Tagen aus Belgien eintreffe, wolle man unmittelbar mit dem Impfen beginnen, versicherte gestern Gesundheitsminister Matt Hancock. Als erste Ladung werden 800’000 Dosen erwartet. Insgesamt hat London bei Biontech/Pfizer 40 Millionen Dosen bestellt. «Unser Gesundheitsdienst steht bereit», meinte gestern Hancock. Ein Verbund von 50 Spitälern wird die ersten Impfungen verabreichen. Gleichzeitig würden überall «spezielle Impfzentren» eingerichtet.

Von Ostern nächsten Jahres an, verhiess der Minister, werde in Grossbritannien wieder «alles besser» werden. Den nächsten Sommer könne dann «jedermann geniessen». Man sei auf dem Weg «zurück zur Normalität». Froh und sichtlich erleichtert reagierten viele Briten auf die Nachricht von der Impffront. Für die Regierung aber war es ein Tag des Triumphs. «Kein anderer Staat» habe schliesslich «so viel in die Entwicklung von Impfstoffen investiert» wie Grossbritannien, erklärte der Gesundheitsminister.

Mehr als 75’000 Menschen sollen laut dem Statistischen Amt
im Zusammenhang mit Covid-19 seit März gestorben sein.

Wirtschaftsminister Alok Sharma jubelte, nun führe sein Land «die Menschheit im Kampf gegen diese Seuche an». Bisher hatte Johnsons Regierung wenig Anlass gehabt zu derartigen Tönen. Eher sah sie sich für zögerliche und verspätete Massnahmen an den Pranger gestellt. Der einzige «Rekord», den Grossbritannien bislang erzielte, bestand darin, dass es die europäische Rangliste der Corona-Opfer anführte. Mehr als 75’000 Menschen sollen laut dem Statistischen Amt im Zusammenhang mit Covid-19 seit März gestorben sein.

Auf einen möglichst rasch einsetzbaren Impfstoff hatte Johnson seit langem gesetzt, zumal er in Sachen Lockdown bei seinen Hinterbänklern und der Rechtspresse zunehmend unter Druck kam. «Beispiellos» nannten Experten die Geschwindigkeit, mit welcher der Impfstoff von der britischen Aufsichtsbehörde für Medikamente und Gesundheitsprodukte (MHRA) in Form einer «temporären Notfallzulassung» nun genehmigt worden ist. Die letzten Daten hatte die Behörde von Biontech/Pfizer erst am 23. November erhalten.

Eilverfahren dank Brexit?

Die Vorsitzende der Aufsichtsbehörde, June Raine, beteuerte aber, dass niemand «gepfuscht» habe, «um Zeit zu sparen». Die «Notfallzulassung» im Eilverfahren hatte die britische Regierung Raines Behörde per Sonderrecht ermöglicht. Auf den Bescheid der Europäischen Arzneimittel-Agentur hatte man in London nicht warten wollen.

Tatsächlich kann jeder EU-Staat eine Prüfung von Arzneien der eigenen Aufsichtsbehörde übertragen. Dennoch sagte der Minister fürs Unterhaus und Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg, die schnelle britische Entscheidung sei nur möglich gewesen, «weil wir die EU verlassen haben». Auch Gesundheitsminister Hancock behauptete, dass Londons zeitlicher Vorsprung beim Impfen «dem Brexit» zu verdanken sei.

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn erklärte dazu, es hätten durchaus auch andere Länder erwogen, den kürzeren Weg einer «Notfallzulassung» zu beschreiten. Man habe sich aber für ein gemeinsames europäisches Vorgehen entschieden, um «so viel Vertrauen wie möglich» in den Impfstoff zu schaffen. Es gehe ja nun «wahrhaftig nicht um eine nationale Story», äusserte sich auch ungewöhnlich scharf Andreas Michaelis, Deutschlands Botschafter in London. «Obwohl die deutsche Firma BioNTech hier einen zentralen Beitrag geleistet hat, ist das Ganze ein europäisches und transatlantisches Projekt.»

Problem Transport

Inzwischen konzentriert sich das Interesse auf der Insel auf die Frage, wie man den Impfstoff, der zunächst Temperaturen von minus 70 Grad erfordert, am besten zu den entsprechenden Einsatzorten befördert. Auf den leichter transportierbaren Impfstoff der Universität Oxford und der Firma Astra-Zeneca, der sich in normalen Kühlschränken lagern lässt, muss man noch etwas länger warten. Wegen einiger in Zweifel gezogener Testergebnisse Astra-Zenecas müssen noch zusätzliche Testversuche durchgeführt werden.
Von diesem «heimischen» Impfstoff hat Grossbritannien 100 Millionen Dosen bestellt.