Boris Johnson und die fliegenden Tassen
Ein lautstarker Streit zwischen dem britischem Premier-Anwärter und seiner Freundin führte zu einem Polizeieinsatz.
Die Schreie, beteuerten mehrere Nachbarn, habe man noch weit ausserhalb der Wohnung von Carrie Symonds hören können. Auch bedrohliche Geräusche, Gekreisch, einen lauten Knall, «der das Haus erzittern liess». Einige Nachbarn waren um das Wohl der 31-Jährigen besorgt, von der sie wussten, dass sie als PR-Expertin für die britischen Konservativen arbeitete.
Unmittelbare Anwohner, die mehrfach vergebens an Symonds' Tür geklopft hatten, riefen kurz nach Mitternacht die Polizei. Die stellte fest, dass sich «keine der beiden Personen» in dem Süd-Londoner Apartment bedroht fühlte – und wollte das Ganze dann lieber auf sich beruhen lassen. Kein Wunder. Ausser Symonds hielt sich deren Partner Boris Johnson in der Wohnung auf. Und für den 55-Jährigen, der in wenigen Wochen die Regierungsgeschäfte in Grossbritannien übernehmen möchte, war es wenig schmeichelhaft, dass seine Gefährtin ihn lauthals und wütend aufforderte: «Lass mich sofort los!»
«Verschwinden» solle er aus ihrer Wohnung, herrschte Symonds ihren Partner angeblich mehrmals an. Er habe ihr Sofa mit Rotwein bekleckert: «Du bist so verwöhnt, dir ist doch alles egal.» Johnson warnte seine Freundin umgekehrt, sie solle ihre «verdammten Hände» von seinem Laptop lassen. Dem folgte besagter enormer Knall. Um den Laptop war es zweifellos geschehen. Teller oder Tassen flogen offenbar auch. Passiert ist das alles in der Nacht auf Freitag.
Auf wütende Schreie folgte besorgniserregende Stille
Gestern Morgen dann prangte die Geschichte auf den Frontseiten so gut wie aller britischen Zeitungen. Der Nachbar, der nach vergeblichem Klopfen die Polizei alarmierte, sagte dem «Guardian», er habe den Streit von seiner eigenen Wohnung aus aufgenommen – er ist wohl kein Tory-Wähler.
Aber auch andere Anwohner erklärten, sie hätten Schlimmes befürchtet, als erst zehn Minuten lang wütende Schreie zu hören waren und Gegenstände zerschmettert wurden, bis es plötzlich unheimlich still in der Wohnung war. «So etwas», sagte die Mutter eines vierjährigen Kindes im Haus, «habe ich noch nie erlebt.»
Die Reaktionen auf den nächtlichen Vorfall waren geteilt. Für manche Briten war das Ganze nur wieder ein Ausdruck des nicht zu bändigenden Temperaments von «Boris», der «eben anders, viel menschlicher» sei als die meisten seiner Zeitgenossen. Und der die Nation mit launigen Storys zu füttern versteht.
Kritiker Johnsons – in der eigenen Partei und im Oppositionslager – hegen wiederum schwere Zweifel an der Tauglichkeit dieses Kandidaten fürs höchste Regierungsamt. Anlass zu besorgten Fragen gab ihnen Johnsons Charakter ja schon lange. Dass er während seiner inzwischen in die Brüche gegangenen Ehe gleichzeitige Liebschaften gegenüber der eigenen Parteiführung vertuschte, und es auch sonst nicht immer mit der Wahrheit hielt, wird ihm regelmässig vorgehalten.
Trotz widersprüchlichen Versprechen der Favorit
Einer seiner unterlegenen Rivalen im Kampf um den Tory-Vorsitz, Entwicklungshilfeminister Rory Stewart, sagte vorige Woche, Johnson sei nicht jemand, dem er gern das Kommando über die britischen Atomwaffen anvertrauen würde.
Der konservative ehemalige Kronanwalt Dominic Grieve erklärte am Wochenende, «Verlässlichkeit und Ehrlichkeit» seien zentrale Werte für jemanden in hoher Verantwortung. Und das gelte nicht nur fürs Privatleben eines Politikers, sondern für dessen Verhalten generell. Womit Grieve auf die vielen widersprüchlichen Brexit-Versprechen Johnsons zielt. Moderaten Tories hat der Ex-Aussenminister versprochen, dass es mit ihm in Downing Street 10 «absolut nicht» zu einem No-Deal-Fiasko kommen werde. Den Brexit-Hardlinern seiner Partei hat der 55-Jährige feierlich gelobt, dass er den jetzigen Austrittsvertrag «in der Luft zerreissen» will.
Etliche Teller und Laptops müssten wohl daran glauben, wenn sich die eine oder andere Seite in diesem Herbst betrogen fühlen würde. Vorher muss sich Johnson allerdings noch gegen seinen einzig verbliebenen Rivalen, den jetzigen Foreign-Office-Chef Jeremy Hunt, durchsetzen.
Bei 16 Wahlkampf-Veranstaltungen, deren erste gestern in Birmingham stattfand, sollen die beiden Kandidaten sich bis Mitte Juli Rededuelle liefern. Jeremy Hunt reklamierte zum Auftakt dieser Schlacht prompt das Vertrauen der Bevölkerung für sich, «den soliden Kandidaten». Noch sagen aber alle Meinungsumfragen und Wettbüros Boris Johnson einen klaren Sieg voraus.
----------
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch