Blower JuniorIm Mini-Bentley durchs mitternächtliche London
Klar sind Luxusautos oft nur Spielzeuge für grosse Kinder. Das gilt besonders für den Bentley Blower Junior. Denn einen Sinn hat der auf 80 Prozent der Grösse geschrumpfte Nachbau nicht. Dafür aber einen maximalen Spassfaktor.

Von wegen Herrenfahrer! Wenn Bentley über eine Stammkundschaft spricht, dann ist meist von den sogenannten Bentley Boys die Rede. Denn es waren ein paar ebenso verwegene wie versnobte junge Männer mit tiefen Taschen, die der Marke mit ein paar spektakulären Rennsiegen in den 1920er-Jahren jenen Ruhm eingefahren haben, von dem die VW-Tochter noch heute zehrt. Rolls-Royce mag zwar luxuriöser sein und Aston Martin sportlicher, aber keine andere britische Marke bietet seit jenen Tagen so viel Dynamik im feinen Zwirn wie Bentley.
Kein Wunder, dass die Briten bis heute darauf rumreiten – und die Enkel der Bentley Boys jetzt mit einem ganz besonderen Spielzeug locken. Und das kann man diesmal sogar wörtlich nehmen. Denn während Continental, Flying Spur und Bentayga seriöse Luxusautos mit einem ernsthaften Transportauftrag sind, haben sie jetzt nur so zum Spass den legendären Blower wiederaufgelegt. Und zwar nicht nur als originalgetreuen Nachbau, sondern auch als Miniatur und ihn dabei gleich noch mit einem Akkuantrieb ausgestattet. So wird der Blower nach fast 100 Jahren als Junior nicht nur noch einmal zum Neuwagen, sondern nimmt auch die elektrische Revolution vorweg, die bei Bentley offiziell 2026 beginnen soll.
Eine Idee von Ettore Bugatti
Die Idee dafür geht allerdings weder auf Firmengründer Walter Owen Bentley zurück noch auf den aktuellen Chef Frank-Steffen Walliser, selbst wenn der einst bei Porsche als Projektleiter des 918 Spyder durchaus elektrisierende Erfahrungen gemacht hat. Spiritus Rector ist kein Geringerer als Ettore Bugatti. Der hat schon in den 1930ern vom legendären Typ 35 eine elektrische Miniatur angefertigt, in der anfangs nur sein Sohn über den Firmensitz in Molsheim surrte. Bis die ersten Kunden den Filius herumflitzen gesehen und nicht nur Bugattis Vatergefühle bestärkt, sondern auch seinen Geschäftssinn geweckt und ihm eine Kleinserienproduktion des Spielzeugwagens abgerungen haben.

Daran hat sich ein findiger Brite namens Ben Hedley erinnert und diese Tradition erst mit Bugatti, dann mit Aston Martin und Ferrari und jetzt mit Bentley wieder aufleben lassen. Doch nur weil der Junior eine Nummer kleiner ist und von einer Firma gebaut wird, die bis vor kurzem noch Little Car Company geheissen hat, mangelt es ihm nicht Ernsthaftigkeit. Weil Hedley für den auf 80 Prozent geschrumpften Zweisitzer immerhin rund 100’000 Euro verlangt, hat er ihn wie ein echtes Auto entwickelt.
250 Autos im Jahr
Das Design erfolgt in enger Abstimmung mit dem Hersteller des Originals, die Motoren werden mit unterschiedlichen Leistungsstufen für Mut und Möglichkeiten der jeweiligen Fahrer kalibriert, die Prototypen werden über 5000 Kilometer getestet, und die Produktion der aktuell rund 250 Autos im Jahr erfolgt über teils mehrere Wochen in Handarbeit. Genau wie in Molsheim, Maranello, Gaydon oder Crewe gleicht dabei kaum ein Auto aus der Backsteinhalle in Bichester dem anderen: Wie in den Manufakturen der Hersteller wird auch hier jedes Fahrzeug nach Kundenwunsch ausstaffiert und lackiert – oft genug in den Farben jenes Autos, das der Vater im Original in der Garage hat.
Während Ferrari Testarossa, Aston Martin DB5 und Bugatti Type35 alle noch eine Nummer kleiner sind und mangels Beleuchtung und Sicherheitsausstattung lediglich auf den Latifundien ihrer Eigentümer bewegt werden dürfen, hat Hedley den Blower nur auf 85 Prozent oder 3,69 Meter geschrumpft, mit Licht und Blinker und sogar einem Sicherheitsgurt ausgestattet und so, wenn auch nur als Leichtkraftwagen, eine Strassenzulassung bekommen. Auch wenn die Firma neuerdings Hedley Studios heisst und am Blower ein Nummernschild prangt, bleibt der Junior aber ein Spielzeug. Allerdings wird damit jetzt die Strasse zu seinem Spielplatz.
72 km/h sind rasend schnell
Und wo liesse sich damit besser spielen als in der britischen Hauptstadt London. Erst recht, wenn die Rushhour mal rum ist, Big Ben zur Mitternacht schlägt und Junior sich zwischen Mayfair, Knightsbridge oder Chelsea mal so richtig austoben kann.

Nicht umsonst hat Hedley einen Industriemotor ins Chassis geschraubt, dem in drei Leistungsstufen bis zu 20 PS entlockt werden können. Und selbst wenn das nichts ist gegen den vom Kompressor («Blower») unter infernalischem Getöse auf bis zu 240 PS getunten 4,4-Liter-Vierzylinder des Originals, der mit atemberaubenden 200 Sachen durch die Goldenen Dreissiger raste, fühlen sich maximal 72 km/h rasend schnell an, wenn man nachts um zwei mutterseelenallein um den Buckingham Palace karriolt oder über die Tower Bridge bläst.
So eine Fahrt kann lange dauern, sehr lange sogar. Selbst nachts, wo die Strassen leer sind, das Tempo schnell mal etwas höher ist und die Bobbys Wichtigeres zu tun haben, als ein paar Jungs das Spielen zu verderben, reicht die Energie des Autos oft länger als die des Fahrers. Schliesslich steckt im Boden ein Akku mit 11 kWh, der für fast 100 Kilometer reichen soll. Und wenns knapp wird, kann der Junior sogar an den Schnelllader gehängt werden.
Inspiration für den ersten E-Bentley?
Da parkiert er jetzt aber nur fürs Foto, während der Fahrer tatsächlich fertig ist und es kaum erwarten kann, bis die Pubs zur «First Order» öffnen. Nein, natürlich nicht für ein Pint, sondern für einen Pott Earl Grey. Während der Tee zieht und draussen vor dem Fenster über dem Blower Junior die Sonne aufgeht, bleibt Zeit zum Sinnieren und für ein erstes Resümee, das ziemlich eindeutig ausfällt: Natürlich ist dieser Blower weder ein echter Oldtimer noch ein typisches Elektroauto. Doch er vereint das Beste aus zwei Welten. Denn noch nie war ein Vorkriegsregister so leicht zu fahren, und selten hat ein E-Mobil so viel Spass gemacht. Und ganz nebenbei ist der Junior auch noch der billigste Bentley, den man derzeit als Neuwagen kaufen kann.
Vielleicht sollten wir auf die nächste Spritztour mal Matthias Rabe mitnehmen, den Entwicklungsvorstand der Marke, der gerade am ersten echten Elektro-Bentley arbeitet und uns für 2026 einen Stadtgeländewagen unter Strom versprochen hat. Denn ein bisschen Junior-Spirit würde diesem Auto bestimmt nicht schaden, selbst wenn der kein Spielzeug wird und sich in London auch am Tag behaupten muss.

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