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Fisch statt Fleisch
Essen aus dem Wasser löst globale Probleme – und ist gesund

Nachhaltig produzierende Fischfarmen könnten in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
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Als «blau» gelten Lebensmittel, wenn sie aus Süss- oder Salzwasser stammen. Und sie haben viel Potenzial: Fisch und andere blaue Nahrungsmittel könnten mehr Menschen günstig mit Mikronährstoffen versorgen, als das heute bereits der Fall ist. Das zeigen Forscher in einer neuen Studie im Fachmagazin «Nature». Würde man die weltweite Produktion von blauen Nahrungsmitteln um 8 Prozent oder 15,5 Millionen Tonnen steigern, so liessen sich bis zum Jahr 2030 etwa 166 Millionen Fälle von Mikronährstoffmangel vermeiden.

Zudem biete das eine Alternative zu rotem und verarbeitetem Fleisch, das häufig mit bestimmten Krankheiten in Verbindung gebracht werde, wie die Wissenschaftler um Christopher Golden von der Harvard Chan School of Public Health in Boston schreiben. Die Studie ist Teil einer internationalen Initiative von mehr als 100 Forschenden aus mehr als 25 Institutionen unter Leitung des Stockholm Resilience Centre, der Stanford University und der gemeinnützigen Organisation EAT. Ziel ist es, Entscheidungsträgern Informationen und mögliche Lösungen für ein gesundes, gerechtes und nachhaltiges globales Ernährungssystem zu bieten.

Mehr als 2500 Arten oder Artengruppen von Fischen, Schalentieren, Wasserpflanzen und Algen werden weltweit gefangen oder kultiviert. Sie sichern Lebensunterhalt und Einkommen von mehr als 100 Millionen Menschen und ernähren eine Milliarde.

Viele Menschen haben einen Mangel an Mikronährstoffen

Als Mikronährstoffe bezeichnet man lebenswichtige Stoffe, die der Mensch mit der Nahrung aufnehmen muss und die keine Energie liefern. Hauptsächlich sind das Vitamine und Mineralstoffe. Sie haben im Körper viele sehr wichtige Funktionen etwa bei der Zellteilung und der Funktion des Nervensystems. Der Grossteil der Mikronährstoffe kann vom Körper nicht gespeichert werden.

Von den Kindern unter fünf Jahren sind weltweit derzeit rund 149 Millionen (22 Prozent) von Unterernährung betroffen, wie das Team um Christopher Golden erklärt. Vitamin-A-Mangel sei bei Kindern in Afrika und Südasien weitverbreitet, auch Zinkmangel sei in etlichen Ländern ein grosses Problem. Der Mangel an wichtigen Mikronährstoffen wie Eisen, Zink, Kalzium, Jod, Folsäure und den Vitaminen A, B12 und D führe zu etwa einer Million vorzeitigen Todesfällen jährlich. Nach Schätzungen nehme fast ein Drittel der Weltbevölkerung mindestens einen Mikronährstoff nicht in ausreichender Menge auf.

Die Wissenschaftler werteten nun Daten der Aquatic Foods Composition Database (AFCD) aus, in der für mehr als 3750 aquatische Nahrungsmittelarten wie Fische, Krustentiere und Algen der Gehalt für jeweils Hunderte Nährstoffe vermerkt ist. Einige sind demnach im Durchschnitt der bewerteten Nährstoffe (Omega-3, Vitamin A und B12, Kalzium, Jod, Eisen und Zink) nahrhafter als Rind, Lamm, Ziege, Huhn und Schwein. Wertvoll sind demnach etwa Thunfisch und Hering, bestimmte Schalentiere sowie Salmoniden-Arten wie Lachs und Forelle.

Auch Meeresfrüchte aus Zucht gehören zu den blauen Lebensmitteln

Obwohl sie schon jetzt zur gesunden Ernährung von Milliarden Menschen beitragen, werden blaue Lebensmittel noch unterschätzt und auf ihren Protein- und Energiewert reduziert, wie die Forschenden schreiben. Eine Steigerung der nachhaltigen Produktion aquatischer Nahrung um 8 Prozent über Aquakulturen und ein verbessertes Fischereimanagement könne zu einem Preisrückgang um gut ein Viertel führen, ist Goldens Team überzeugt.

Fisch und Meeresfrüchte würden so für einkommensschwache Bevölkerungsschichten weltweit erschwinglicher. Zudem böten sie ärmeren Ländern die Chance, ihre Ernährung zu verbessern, ohne die Gesundheitsrisiken der fleischintensiven Ernährung wohlhabenderer Länder zu übernehmen.

Profitieren würden der Analyse zufolge Frauen im Mittel stärker als Männer – regional gebe es dabei aber grosse Unterschiede je nach Nährstoff. So würden ältere Menschen in Ländern wie Tunesien, Algerien und dem Iran von der stärkeren Aufnahme bestimmter Fettsäuren profitieren, Kinder in vielen Ländern von einer verbesserten Kalziumzufuhr.

«Wir leben in einer zutiefst mangelernährten Welt, in der Milliarden Menschen unter Mikronährstoffmangel und ernährungsbedingten chronischen Krankheiten leiden», sagte Golden. «Die Suche nach Möglichkeiten, die Produktion blauer Lebensmittel nachhaltig zu steigern, bietet die Chance, den Zugang zu einer sicheren, nahrhaften und gesunden Ernährung für die Schwächsten der Welt zu verbessern.»

Aquatische Lebensmittel seien ein möglicher Weg hin zu mehr Ernährungsgerechtigkeit, ist auch Mitautor Zachary Koehn von der Stanford University überzeugt. Entscheidungsträger in ärmeren Ländern sollten sich dessen bewusst sein und nachhaltig produzierte aquatische Nahrungsmittel verstärkt im Kampf gegen Ernährungsunsicherheit und Unterernährung nutzen.

Die Forschenden um Golden geben dabei auch zu bedenken, dass aquatische Nahrungsmittel zwar oft eine günstigere Treibhausgasbilanz haben als Fleisch von Rind und Schwein, ein Blick auf die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen aber immer wichtig sei. Unter anderem der Unterschied zwischen Wildfang und Aquakultur könne gross sein.

Blaue Lebensmittel belasten die Umwelt weniger als Fleisch

Gezielt mit der Nachhaltigkeit blauer Lebensmittel beschäftigt sich die Studie eines Teams um Jessica Gephart von der American University in Washington. Die Basis bildeten Studien zu Fischereidaten sowie Angaben aus mehr als 1600 Zuchtfarmen. Die 23 berücksichtigten Artengruppen decken mehr als 70 Prozent der globalen Produktion blauer Lebensmittel ab, wie die Forschenden schreiben.

Aquatische Lebensmittel böten grosses Potenzial für eine nachhaltige Ernährung, so das in «Nature» vorgestellte Ergebnis. Bisher gelte vor allem für viele Algen, Muscheln und bestimmte Karpfenarten, dass ihre Nutzung die Umwelt nur begrenzt belastet. Bei vielen anderen Arten gebe es – gerade im Bereich der Aquakultur – dafür aber noch erhebliches ungenutztes Potenzial.

Die Nutzung von Algen und Zuchtmuscheln wie Austern setzt demnach derzeit vergleichsweise geringe Mengen Treibhausgase frei, beim Fang von Plattfischen und Hummern ist der verursachte Ausstoss hingegen recht hoch. Berücksichtigt wird von den Forschern zudem, wie viel Nährstoffe – etwa Stickstoff und Phosphor – in das Meer- oder Süsswasser gelangen, unter anderem bei der Fütterung. Aquakulturen schneiden hier schlechter ab als der Wildfang.

Ziel müsse es immer sein, nicht nur nahrhaft, sondern auch nachhaltig zu essen, betont Gephart. Die künftige Produktion aquatischer Nahrungsmittel müsse stärker auf geringere Emissionen und einen geringeren Ressourcenverbrauch ausgerichtet sein. Zu den möglichen Massnahmen zählen demnach optimierte Fangmethoden beim Wildfang und eine bessere Futterverwertung in den Kulturen. «Die meisten Aquakultursysteme haben noch nicht das Effizienzniveau terrestrischer Produktionssysteme erreicht, sodass es noch erhebliche Möglichkeiten zur Optimierung und für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit gibt», sagt Mitautor Patrik Henriksson vom Stockholm Resilience Centre.

Auch die Fischfarmen müssen sich der Klimaerwärmung anpassen

In einer weiteren Studie betrachten Wissenschaftler mögliche Einflüsse des Klimawandels auf aquatische Nahrungsmittelsysteme. Von solchen Lebensmitteln abhängige Gesellschaften liefen Gefahr, wichtige Grundlagen bei Wirtschaft, Kultur, Gesundheit und Ernährung zu verlieren, warnen sie im Fachmagazin «Nature Food». Besonders betreffe das die Fangfischerei in Regionen wie dem tropischen Afrika,
Zentralamerika und dem Indopazifik.

Aquakulturen in küstennahen Gewässern seien geringeren klimaspezifischen Gefahren ausgesetzt – Süsswasseraquakulturen hingegen hohen Risiken, erläutert das Team um Michelle Tigchelaar von der Stanford University. Die pelagische Fischerei – im uferfernen Freiwasserbereich – könne durch Verschiebungen im Verbreitungsgebiet von Arten beeinflusst werden. Korallenriff-Fischerei und Muschelproduktion bekämen durch die Versauerung der Ozeane im Zuge des Klimawandels Probleme. Ein Faktor bei Aquakulturen seien mögliche Verluste bei den an Land produzierten Futtermitteln.

«Sowohl die Eindämmung der CO₂-Emissionen als auch die Anpassung an unvermeidbare Auswirkungen sind dringend notwendig», betont Mitautor William Cheung von der University of British Columbia. Vielfach fehlten gerade für die stärker betroffenen, oft ärmeren Länder aber noch Daten für gesicherte Einschätzungen, geben die Forschenden zu bedenken. Das Risiko könne etwa für Bangladesh, Kambodscha und die an den sogenannten Afrikanischen Grossen Seen liegenden Länder – die zu den grössten Produzenten von Süsswasserfischen weltweit zählen – weitaus höher sein als bisher angenommen. Denn vielfach werde die Inlandproduktion dort unterschätzt.

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