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TV-Kritik zu Einbürgerungs-Serie
«Bezweifle, dass ein richtiger Schweizer all das weiss»

Familie Corona-Cardoso lebt und arbeitet seit 30 Jahren im Engadin – den Schweizer Pass bekommen sie trotzdem nicht einfach so.

Foto: SRF
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«Tina Turner ist Schweizerin. Also ursprünglich ist sie Amerikanerin. Sie ist vor Millionen von Menschen aufgetreten. Aber nie hatte sie mehr Angst als am Tag ihrer Einbürgerung.» Das ist die Geschichte, die Douglas Gonzales gerne erzählt. Zusammen mit seiner Frau Brigitte leitet er in Lausanne einen Einbürgerungskurs für Leute, die gerne den Schweizer Pass hätten.

Darin sitzt die Analphabetin, die als Haushaltshilfe arbeitet, neben dem Grosselternpaar, das seit Jahrzehnten keine Schulbank mehr gedrückt hat, neben dem Mann, der einen Doktor in Philosophie hat. Und ihnen allen steht die Anspannung ins Gesicht geschrieben, die auch Tina Turner gespürt haben muss, als sie bei der Einwohnerbehörde vorstellig werden musste.

«Nein, nicht Grütli. Rrrrütli!»

Aus einem Einbürgerungsvorbereitungskurs in Lausanne

«Sind Sie für oder gegen das Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung? Wie heisst die Präsidentin des Waadtländer Staatsrats? Wie starb Major Davel? Wo haben die ersten Eidgenossen ihren Schwur abgelegt?», rattert Brigitte Gonzales eine mögliche Prüfungsfrage nach der anderen herunter, während die etwa 40-köpfige Klasse im Plenum die Antworten murmelt oder nuschelt oder schweigend auf den Tisch starrt.

Exklusiver Einblick in Einbürgerungsverfahren

Für die vierteilige SRF-Dokuserie «Schweizer machen» haben vier kommunale Behörden aus vier Landesteilen einen Einblick in ihr Einbürgerungsverfahren gewährt – nebst Lausanne VD auch Pontresina GR, Lugano TI und Freienbach SZ. Vom Vorbereitungskurs über die Prüfung bis zur Beratung durfte, wie der Film eingangs verkündet, zum ersten Mal eine Kamera dabei sein.

Im Zentrum stehen auf der einen Seite Menschen aus Eritrea, Deutschland, Portugal, Italien oder Sri Lanka, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten hier leben und arbeiten und gerne so richtig dazugehören möchten. Und auf der anderen Seite Einheimische, die ihnen diese Vorhaben nicht zu leicht machen wollen. Das Schweizer Einbürgerungsverfahren gelte als das strengste in ganz Europa, heisst es in der Doku.

«Wir sagen einfach, was unsere Werte sind. Wenn einer nicht danach leben will, kann er das schon machen, aber nicht mit Schweizer Pass. Das werden wir nicht zulassen.»

Thomas Walter, Präsident der Einbürgerungsbehörde in Pontresina GR

«Es ist nach wie vor ein begehrter Pass. Da kann man sich schon ein paar Stunden hinsetzen und etwas über das Land lernen», findet die pensionierte Pflegefachfrau Annina Herrmann, Mitglied der Einbürgerungsbehörde in Freienbach SZ. Manche wüssten ja nicht einmal, dass der Etzel der Hausberg sei oder wie die Anlage heisse, wo sie ihre Anhörung hätten.

Annina Herrmann, Mitglied der Einbürgerungsbehörde in Freienbach SZ.

Foto: SRF

Streng ist auch der Bündner Hotelier Thomas Walter, der in Pontresina als Präsident der Einbürgerungsbehörde über die Gesuche entscheidet. «Wir sagen einfach, was unsere Werte sind. Die sind nicht verhandelbar. Wenn einer nicht danach leben will, kann er das machen, aber nicht mit Schweizer Pass. Das werden wir nicht zulassen.»

2200 unterschiedliche Verfahren

Um an den Schweizer Pass zu kommen, gibt es genauso viele Wege wie Gemeinden, also 2200. In Freienbach etwa müssen die Anwärter einen sechsteiligen Pflichtkurs absolvieren und danach eine Prüfung. Erst wer besteht, kann vor die Kommission, in der Annina Herrmann sitzt.

«Wenn man sich in Zürich einbürgern lassen will, muss man über ein kniehohes Stöckchen springen. Hier ist es eine drei Meter hohe Mauer.»

Andreas Luther aus Freienbach SZ, Anwärter auf den Schweizer Pass

In Lausanne reichte bis Ende 2017 eine 20-minütige Anhörung, und im Tessin gehen die Anforderungen weit über das Bundesgesetz hinaus, was auch daran liegt, dass die rechtspopulistische Lega dei Ticinesi stark in den Einbürgerungsbehörden vertreten ist. So ist laut der Doku unter anderem ein unbefristeter Arbeitsvertrag Pflicht, und wer die schriftliche Prüfung nicht auf Anhieb besteht, muss ein halbes Jahr warten bis zum allfälligen zweiten Versuch. Schweizweit scheitert jede fünfte Person, die Gefahr der Ungleichbehandlung zwischen den Gemeinden ist gross.

«Wenn man sich in Zürich einbürgern lassen will, muss man über ein kniehohes Stöckchen springen. Hier ist es eine drei Meter hohe Mauer», sagt Andreas Luther, der vor 13 Jahren aus Deutschland nach Freienbach gezogen ist. Seine Tochter habe «den Albtraum» mitgemacht, sei abgelehnt wurden und habe sich so zurückgewiesen gefühlt, dass sie nun wieder in Deutschland lebe. Luther findet es aber in Ordnung, dass so viel verlangt wird. Wenn er den Schweizer Pass einfach so bekäme, würde es sich weniger wertvoll anfühlen.

Andreas Luther büffelt für die schriftliche Prüfung. Dass er so viel für den Schweizer Pass liefern muss, findet er gerechtfertigt. 

Foto: SRF

Mitleiden beim Zuschauen

«Durch welche Seen fliesst der Rhein? Was ist der Unterschied zwischen einem Referendum und einer Initiative? Wie viele Kilometer Autobahn gibt es im Tessin? Wie viele Personen haben 2016 Sozialhilfe bezogen?» Bei all den Fragen fühlt man sich in die Schule zurückversetzt und fiebert mit Thomas Luther in der schriftlichen Prüfung mit, der sich einfach nicht den Namen und die Partei von Petra Gössi merken konnte. Mit dem Mann aus Sri Lanka, der bei der mündlichen Anhörung in Lausanne ein Blackout hat bei der Frage nach der Legislative auf Bundesebene.

Mit seiner Frau, die zwar alle Antworten korrekt herunterrattert, aber bei einer persönlichen Frage ins Schleudern gerät, weil sie die Prüferin sprachlich nicht versteht. Und mit dem spanischen Senior, der sich beim Datum der ersten Schweizer Bundesverfassung um 26 Jahre vertan hat. «Ich bezweifle, dass ein richtiger Schweizer all das weiss», sagt der Eritreer Dawit Mengstab aus Lugano, der nur zwei von 42 Fragen falsch hatte und als Nächstes zum Gespräch bei der Einbürgerungskommission antreten muss.


Nach der schriftlichen Prüfung müssen die Passanwärter aus Lugano bei der Einbürgerungskommission vorsprechen.

Foto: SRF

Man weiss, dass Mengstab recht hat. Und fragt sich, ob es wirklich nötig ist, dass sich die Bewerber all diese Jahrzahlen, Flüsse und Parteien eintrichtern, um zu beweisen, dass man ein würdiger Neo-Schweizer ist. Was sagt das über die Integration aus? Ihre Verbundenheit mit dem Land?

Die obligatorischen Kurse und die Wissensprüfungen sind offiziell hauptsächlich dazu da, die Willkür beim Einbürgerungsprozess zu vermindern. Aber die ersten zwei Folgen von «Schweizer machen» zeigen sehr deutlich, dass am Ende trotzdem sehr viel davon abhängt, welche Persönlichkeiten, Biografien und Überzeugungen die Kommissionsmitglieder haben, die den Kandidatinnen und Kandidaten beim entscheidenden Gespräch gegenübersitzen.

«Ohne Schweizer Pass kann ich meinen 85-jährigen Vater in Eritrea nicht besuchen.»

Dawit Mengstab, der sich in Lugano um seine Einbürgerung bemüht

Auch sonst gewährt die Dokuserie einen interessanten Einblick in den Schweizer Einbürgerungsdschungel, der sonst meist nur bei Skandalen kurz beleuchtet wird. Sie hilft auch zu verstehen, warum Menschen sich das zermürbende und zeitraubende Prozedere antun. Meist ist es eine Gefühlssache, wie die verschiedenen Antworten zeigen. «Weil wir immer ein bisschen abseits stehen seit 60 Jahren.» «Weil wir fremdbestimmt sind und kein Mitspracherecht haben.» «Ohne Schweizer Pass kann ich meinen 85-jährigen Vater in Eritrea nicht besuchen.»

Ob es alle Anwärterinnen und Anwärter aus Lausanne, Pontresina, Lugano und Freienbach zum begehrten Schweizer Pass schaffen? Die Antwort liefern die Teile 3 und 4 der Dokuserie «Schweizer machen» am 19. November ab 20.05 Uhr bei SRF1.