Bezirksgericht ZürichErschoss eine 18-Jährige ihren Vater, um sich und ihrer Mutter das Leben zu retten?
Ein Familienzwist in Zürich-Wollishofen endete vor drei Jahren tödlich. Nun muss sich eine junge Frau vor Gericht verantworten. Ein ähnlicher Fall endete mit einem Freispruch.
Fünf Schüsse hallten im Spätsommer 2020 frühmorgens durch eine Wollishofer Wohnung. Sie beendeten einen blutigen Familienstreit. Am Donnerstag muss sich die zur Tatzeit 18-jährige Tochter vor dem Bezirksgericht Zürich wegen vorsätzlicher Tötung ihres 47-jährigen Vaters verantworten. Die Anklageschrift gibt einen Einblick, wie sich die Tat gemäss den Ermittlungen der Behörden abgespielt hat.
Demnach hatte die Gymnasiastin kurz vor 7 Uhr früh eine schreckliche Beobachtung gemacht: Sie sah im elterlichen Schlafzimmer mit an, wie ihr Vater ihrer 50-jährigen Mutter mit einer Pistole der Marke «Walther PPQ» in den linken Unterarm schoss. Das Kürzel steht für «Polizeipistole Quick-Defense». Die Schusswaffe hat ein Kaliber von neun Millimetern, wie es auch die meisten Behörden verwenden. Wegen der hohen Durchschlagskraft der Kugeln können diese selbst aus grosser Entfernung noch tödlich wirken. Anschliessend legte der Unternehmer die Pistole weg, um seine Ehefrau mit beiden Händen zu würgen und gegen das Bett zu drücken.
Er drohte, alle umzubringen
Die 18-Jährige dürfte versucht haben, ihre Mutter vor ihrem Vater zu retten. Denn laut Anklage versetzte sie dem 47-Jährigen, als er seine Frau würgte, einen heftigen Stoss gegen den Oberkörper. Daraufhin kam er auf das Bett zu liegen. Als der Mann sich aufzurichten begann und laut Anklageschrift ankündigte, «er bringe sie alle um», griff die Schülerin zur weggelegten Pistole des Vaters.
Neben dem Bett stehend, schoss sie dem 47-Jährigen aus nächster Nähe viermal in den Rücken, den Hals, die Schulter und den Kopf. «Innert kürzester Zeit» verstarb der Vater noch am Tatort. Todesursache war laut Obduktion der Schuss in den Kopf. Die 18-Jährige kam für rund sieben Wochen in Untersuchungshaft.
Der Staatsanwalt stufte die Tat als vorsätzliche Tötung ein. Dafür sieht das Strafgesetzbuch im Falle einer Verurteilung mindestens fünf Jahre Gefängnis vor. Laut der Anklage hat die18-Jährige gewusst und gewollt, dass die von ihr abgegebenen Schüsse lebenswichtige Organe oder Blutgefässe ihres Vaters tödlich verletzen können.
Das geforderte Strafmass gibt der Staatsanwalt erst vor Gericht bekannt. Auch der Verteidiger der jungen Frau wird seine Anträge erst in der Verhandlung nennen, wie er sagt.
Freispruch in vergleichbarem Fall
Die Tat erinnert stark an ein ähnliches Tötungsdelikt, das sich 2009 in Oberrieden ereignete. Damals war ein betrunkener 52-Jähriger nach einem lautstarken Streit mit seiner 22-jährigen Tochter handgreiflich geworden. Bei ihr wurden später starke Prellungen an den Armen und Würgemale am Hals festgestellt.
Die junge Frau sagte aus, ihr Vater habe ihr gedroht, sie umzubringen, und sei mit einem «Blick wie ein Tier» durch das Zimmer gelaufen. Da sie keinen anderen Ausweg sah, schoss sie mit ihrem Revolver, den sie fünf Monate vor der Tat legal in einem Waffengeschäft gekauft hatte, viermal auf den Vater. Er starb noch in der Wohnung. In Panik floh die 22-Jährige zu einer Freundin. Dort verhafteten Polizisten sie kurz darauf. Acht Monate musste sie in Untersuchungshaft bleiben. Wie im Wollishofer Fall klagte die Staatsanwaltschaft Zürich die junge Frau wegen vorsätzlicher Tötung an und forderte sieben Jahre Gefängnis.
«Angemessen und verhältnismässig»
In seinem Urteil aus dem Jahr 2011 sah es das Bezirksgericht Horgen als erwiesen an, dass die Tochter aus Notwehr gehandelt hatte. Die Schüsse mit dem Revolver seien «angemessen und verhältnismässig» gewesen, da es gegen den 150 Kilogramm schweren Vater – ein Kampfsportler – kein milderes Abwehrmittel gegeben habe. Zudem sprach ihr das Gericht 30'000 Franken als Schadenersatz und Genugtuung zu. Die junge Frau nahm den Freispruch «mit grosser Erleichterung» auf. Das Urteil ist längst rechtskräftig.
Für die heute 21-jährige Beschuldigte im Tötungsfall von Wollishofen, der am Donnerstag verhandelt wird, gilt die Unschuldsvermutung.
Fehler gefunden?Jetzt melden.