Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Nobelpreis» für Architektur
Bezahlbar und lebenswert – Diese Architekten bauen anders

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

«Es gibt keinen Grund», hat die soeben mit der wichtigsten Architekturauszeichnung gewürdigte Architektin Anne Lacaton in einem Interview gesagt, «warum ein Raum mit guter Qualität viel kosten muss.» Deshalb spricht sie auch nicht gern vom sozialen Wohnungsbau, der gerade weltweit zur Mangelware wird. In vielen Ländern werden die Wohnungen nicht nur immer kleiner werden, sondern auch immer unerschwinglicher und gleichzeitig, das ist der Skandal im Skandal, immer hässlicher und dysfunktionaler. Das Leben darin gleicht mehr denn je der Logistik genormter Flachware. Wohnbauten werden bald nicht mehr zu unterscheiden sein von Amazon-Hallen.

Die Stadt Paris wollte das Wohnhaus Le Prêtre aus den 60er-Jahren  abreissen. Lacaton und Vassal lehnten das ab. Sie bauten an das alte Gebäude eine selbsttragende Fassade mit Terrassen und Wintergärten. 

Die Pandemie hat auch die Schwächen unseres Wohnsystems blossgestellt. Menschen, die in millimeterweise berechneten, standardisierten, ja schäbig errichteten Wohnmaschinen weggesperrt werden, sehnen sich nach ihrer Befreiung. Und so wie es eine Theologie der Befreiung gibt, gibt es auch eine Architektur der Befreiung. Das Büro Lacaton & Vassal ist ein Vertreter solchen Denkens, das sich weder in einem erratischen Design-Futurismus – noch in rekonstruktionsverliebter Nostalgie erschöpft. Dass Planung etwas mit Ethos zu tun hat und von sozialer und politischer Bedeutung ist: Man hatte das fast vergessen.

Diese Überbauung in Saint-Nazaire (2011) zeichnet sich durch komfortable, lichtdurchflutete Wohnungen aus, die in den oberen Stockwerken über grosse Balkone oder Wintergärten verfügen.

Anne Lacaton, geboren 1955 in Saint-Pardoux, und ihr Büropartner Jean-Philippe Vassal (Casablanca, 1954), dem der mit 100’000 Dollar dotierte «Nobelpreis» für Architektur gleichermassen zugesprochen ist, ein Tribut auch an den Teamgedanken, bauen keine Sozialwohnungen, sondern preiswerte Wohnungen – nicht als Überlebens-, sondern als Lebensräume. Es geht ihnen um ein Dasein, das der Umwelt und der Menschenwelt gerecht wird. Das human ersonnen, ökologisch durchdacht und ökonomisch begründet ist. Die Bauten von Lacatan & Vassal sehen oft verblüffend simpel aus. Sie sind aber tatsächlich reich an Komplexität und Möglichkeitssinn. Letztlich sind die Bauten, die seit 1984 entstanden sind, das genaue Gegenteil von Design. Nämlich Raumkunst. Also Architektur als solche.

Dieses private Wohnhaus (1999) in Bordeaux nimmt den Platz einer ehemaligen Fabrik ein. Teile des Daches wurden entfernt und durch transparente Polycarbonatplatten ersetzt, um einen Innenhof zu schaffen.

Der Pritzker-Preis, der in den letzten Jahren nicht immer unumstritten war und seit 1979 meist an ältere männliche Stararchitekten gegangen ist – in gut vier Jahrzehnten finden sich, einschliesslich Anne Lacaton, gerade mal sechs Frauen unter den Preisträgern –, wird auf diese Weise wieder relevant. Es ist eine kluge Entscheidung, die von der Jury unter Vorsitz von Alejandro Aravena, Chile, getroffen wurde. Mit Lacaton & Vassal wird das Wohnen zum Thema. Und auch, kaum weniger wichtig, die Transformation.

Mit dem Latapie House in Floriac wandten die Architekten 1993 erstmals die Gewächshaustechnologien an, um ein preisgünstiges Haus zu entwerfen, das Platz zum Wohnen und Spielen schafft.

Die Pariser Architekten sind Pioniere des Bewahrens und der Umnutzung. Der Pritzker-Preis, gestiftet von Jay A. Pritzker (Hyatt-Hotelkette), wird jedes Jahr verliehen. Laut Satzung, um Architektinnen und Architekten zu ehren, deren Kunst «einen bedeutenden Beitrag für die Menschheit und die gebaute Umwelt darstellt». In genau diesem Sinn sind Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal würdige Preisträger.

Umbau des Palais de Tokyo in Paris 2012: In Abkehr von den White-Cube-Galerien zeitgenössischer Museen entstanden voluminöse, oft unfertig wirkende Räume, die Platz für Kunst bieten bieten und neuartige Raumerlebnisse möglich machen.