«Nobelpreis» für ArchitekturBezahlbar und lebenswert – Diese Architekten bauen anders
Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal erhalten die wichtigste Auszeichnung der Branche. Die Pariser sind Pioniere der menschenfreundlichen Wohnbauten.
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«Es gibt keinen Grund», hat die soeben mit der wichtigsten Architekturauszeichnung gewürdigte Architektin Anne Lacaton in einem Interview gesagt, «warum ein Raum mit guter Qualität viel kosten muss.» Deshalb spricht sie auch nicht gern vom sozialen Wohnungsbau, der gerade weltweit zur Mangelware wird. In vielen Ländern werden die Wohnungen nicht nur immer kleiner werden, sondern auch immer unerschwinglicher und gleichzeitig, das ist der Skandal im Skandal, immer hässlicher und dysfunktionaler. Das Leben darin gleicht mehr denn je der Logistik genormter Flachware. Wohnbauten werden bald nicht mehr zu unterscheiden sein von Amazon-Hallen.
Die Pandemie hat auch die Schwächen unseres Wohnsystems blossgestellt. Menschen, die in millimeterweise berechneten, standardisierten, ja schäbig errichteten Wohnmaschinen weggesperrt werden, sehnen sich nach ihrer Befreiung. Und so wie es eine Theologie der Befreiung gibt, gibt es auch eine Architektur der Befreiung. Das Büro Lacaton & Vassal ist ein Vertreter solchen Denkens, das sich weder in einem erratischen Design-Futurismus – noch in rekonstruktionsverliebter Nostalgie erschöpft. Dass Planung etwas mit Ethos zu tun hat und von sozialer und politischer Bedeutung ist: Man hatte das fast vergessen.
Anne Lacaton, geboren 1955 in Saint-Pardoux, und ihr Büropartner Jean-Philippe Vassal (Casablanca, 1954), dem der mit 100’000 Dollar dotierte «Nobelpreis» für Architektur gleichermassen zugesprochen ist, ein Tribut auch an den Teamgedanken, bauen keine Sozialwohnungen, sondern preiswerte Wohnungen – nicht als Überlebens-, sondern als Lebensräume. Es geht ihnen um ein Dasein, das der Umwelt und der Menschenwelt gerecht wird. Das human ersonnen, ökologisch durchdacht und ökonomisch begründet ist. Die Bauten von Lacatan & Vassal sehen oft verblüffend simpel aus. Sie sind aber tatsächlich reich an Komplexität und Möglichkeitssinn. Letztlich sind die Bauten, die seit 1984 entstanden sind, das genaue Gegenteil von Design. Nämlich Raumkunst. Also Architektur als solche.
Der Pritzker-Preis, der in den letzten Jahren nicht immer unumstritten war und seit 1979 meist an ältere männliche Stararchitekten gegangen ist – in gut vier Jahrzehnten finden sich, einschliesslich Anne Lacaton, gerade mal sechs Frauen unter den Preisträgern –, wird auf diese Weise wieder relevant. Es ist eine kluge Entscheidung, die von der Jury unter Vorsitz von Alejandro Aravena, Chile, getroffen wurde. Mit Lacaton & Vassal wird das Wohnen zum Thema. Und auch, kaum weniger wichtig, die Transformation.
Die Pariser Architekten sind Pioniere des Bewahrens und der Umnutzung. Der Pritzker-Preis, gestiftet von Jay A. Pritzker (Hyatt-Hotelkette), wird jedes Jahr verliehen. Laut Satzung, um Architektinnen und Architekten zu ehren, deren Kunst «einen bedeutenden Beitrag für die Menschheit und die gebaute Umwelt darstellt». In genau diesem Sinn sind Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal würdige Preisträger.
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