Atelierbesuch mit Hans Ulrich ObristBeim «Horror-Giger»
Man kann den Künstler HR Giger mit guten Gründen als Salvador Dalí der Schweiz bezeichnen.
Vor sieben Jahren, im Mai 2014, ist der Schweizer Künstler HR Giger an den Folgen eines tragischen Treppensturzes gestorben. Wenige Monate vor seinem Tod habe ich ihn gemeinsam mit Patrick Frey besucht und ein Interview mit Giger aufgezeichnet. Es war mein zweiter Besuch bei ihm, nachdem der erste, dreissig Jahre zuvor, für mich ein wenig panisch verlaufen war. Das begann schon mit der Anreise. Da ich mich in Zürich nicht gut auskannte, nahm ich ein Taxi nach Seebach, und als wir in die Nähe des Hauses kamen, in dem Giger lebte und arbeitete, sagte der Fahrer: «Da sind wir ja ganz in der Nähe, wo der Horror-Giger wohnt.» Ich gestehe, dass ich plötzlich Angst bekam, obwohl ich natürlich wusste, dass der Mann mit dieser Bezeichnung nicht auf Giger als Person, sondern auf seine furchterregenden Fantasiewesen anspielte. Spätestens 1980, als er für die Ausstattung von Ridley Scotts Science-Fiction-Drama «Alien» einen Oscar erhielt, war Giger weltberühmt.
Seine Bewunderer, darunter auch viele Künstler, sind über die ganze Welt verstreut. In Tokio ist Giger eine Bar gewidmet, doch nirgendwo ist er so präsent wie hierzulande. In Geschäften und Arztpraxen begegnen einem Gigers Werke als Poster in schöner Regelmässigkeit, und sowohl was seinen Stil als auch was seine Beliebtheit angeht, kann man ihn durchaus als eine Art Salvador Dalí der Schweiz bezeichnen.
Als ich damals aus dem Taxi stieg, empfing mich Giger auf dem Bett sitzend. Er zeichnete auf A4-Blätter, die er sodann, eins nach dem anderen, in ein riesiges Faxgerät schob und nach Hollywood schickte. Er erzählte mir, während er weiterzeichnete, dass er unter Schlaflosigkeit leide und immer die Nacht durcharbeite – was man ihm ansah. Völlig übernächtigt, mit dicken Augenringen, sass er da, umgeben von seinen Visionen an den Wänden. Sein Angebot, den Garten zu besichtigen, nahm ich dankbar an, doch weil er dort eine Art Geisterbahn installiert hatte, kam ich klopfenden Herzens schnell wieder zurück.
Giger hatte inzwischen mit dem Zeichnen aufgehört, weil ihn eine Fliege umschwirrte, die ihn vollkommen aus dem Konzept brachte. Der Mann, der mit seiner Kunst ein Millionenpublikum das Fürchten lehrte, rang vor meinen jugendlichen Augen mit einer Fliege und seiner Fassung. Niemals werde ich vergessen, wie er sagte: «Diese Fliegen, das sind Monster.»
Nicht ganz billig, aber wunderschön und faszinierend sind die in der Edition Patrick Frey erschienenen «Alien Diaries».
Hans Ulrich Obrist ist künstlerischer Direktor der Serpentine Galleries in London.
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