«Becoming Karl Lagerfeld» auf Disney+Dieser Romanze fehlt nicht nur der Sex
Eine Miniserie über den jungen Modedesigner Karl Lagerfeld hat das Zeug zum Geniestreich. Daniel Brühl ist grandios. Doch es gibt ein Problem mit der Intimität.
Im Jahr 1972 begegnete Karl Lagerfeld in der Pariser Bar Nuage einem jungen Gigolo mit Bleistiftbärtchen und dem etwas protzigen (nach hinten raus frei erfundenen) Namen Jacques de Bascher de Beaumarchais. 18 Jahre Altersunterschied. Sie wurden ein Paar, die Beziehung hielt bis zu Jacques’ Tod durch Aids im September 1989.
Wobei das Wort Beziehung ein wenig in die Irre führt, Arrangement trifft es eher. Jacques mochte an Karl, dass er in der Mode war, schicke Leute kannte und Geld hatte. Karl mochte an Jacques, dass er jung und hübsch war und all das tat, womit er sich selbst nicht einschmutzen mochte, also saufen, koksen, Party machen und sich kreuz und quer durch Paris vögeln. Es war eine voyeuristisch einvernehmliche Beziehung. Es war ganz sicher Liebe.
Dass sein Augenstern es auch mit seinem grössten Rivalen trieb, führte damals zum Bruch zwischen Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent. Jacques de Bascher aber hat er grosszügig weiter finanziert und am Ende auch gepflegt, jeden Tag brachte er ihm einen Teller Suppe ans Krankenbett. Als Jacques starb, wurde Karl fett.
Perverse Spannerei
Das ist so ziemlich alles, was man weiss, und die meisten Leute wissen nicht mal das, denn Lagerfeld hat über diese Verbindung, wie über alles wirklich Private, öffentlich so gut wie nie gesprochen. Das höchste der Gefühle war, was er 2011 bei Lanz sagte: Es sei Liebe gewesen, «aber nicht, wie Sie das meinen, sonst wäre ich ja nicht mehr da, denn er ist ja an Aids gestorben. Das war mehr wie Vater und Sohn, er war ja sehr viel jünger als ich.» Womit die Frage, die nicht nur Lanz brennend interessierte, immer noch nicht wasserdicht beantwortet war: Hat Karl Lagerfeld wenigstens einmal in seinem Leben Sex gehabt mit Jacques?
Sperrangelweit tun sich hier die Scheunentore auf, durch die Isaure Pisani-Ferry, Jennifer Have und Raphaëlle Bacqué, die Showrunner der Disney-Plus-Serie «Becoming Karl Lagerfeld», hindurchspazieren konnten, und spätestens ab der dritten Episode («Im Bett mit Karl») möchte man den Privatsphärehütern unter den amtierenden Celebrities ganz dringend zurufen: Ihr Schätzchen! Überlegt euch gut, was ihr in diesem Leben alles nicht erzählt, denn am Ende des Tages kommen die Netflixe und Disneys des Wegs und denken sich euren Schweinkram einfach lustig aus.
In Folge drei hat Jacques mit Yves schon wilden Teppichsex gehabt, und alles nur, weil Karl den körperlichen Beweis seiner Liebe schuldig geblieben ist, doch an diesem Abend soll es endlich so weit sein. Ein Rendez-vous à deux in Karls neuem Schloss Penhouët. Romantisches Dinner, Jacques geht schon mal ausdrucksstark zu Bett, es klopft an der Tür, Karl tritt ein, und dann … Aber man soll ja nicht spoilern. Nur so viel: Es wird quälend.
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Der Daseinszweck der Serie ist jedenfalls derselbe wie bei der Amour fou in ihrem Zentrum: Voyeurismus (und Geld natürlich) – ob im Einvernehmen mit dem Publikum, entscheidet dann jeder für sich allein. Dass es für die Schwemme an Spielfilmen und Dokus über lebende und tote Promis meist nur den einzigen Grund gibt, Menschenmassen in die Schliessfächer eines glanzvollen Lebens hineinstarren zu lassen: schon klar.
Bei Karl Lagerfeld, gerade fünf Jahre tot, ist es noch mal dreister. Er hat die Öffentlichkeit geliebt, dabei aber penibel auf Haltung geachtet, Gefühliges gab es von ihm nicht. Alles, nur keine Blösse! Das führt nun dazu, dass einem die Zurschaustellung intimster Momente in dieser Serie oft wahnsinnig unangenehm ist. Man findet die Spannerei, die einem hier aufgezwungen wird, ehrlich gesagt ein bisschen pervers. Dass es dabei zum Glück nicht bleibt, liegt an Daniel Brühl.
Brühls Karl ist so einsam, es geht einem an die Nieren
Er spielt den Lagerfeld der Siebziger, der ein noch etwas pummeliger, pfauenhaft gekleideter Lohndesigner bei Chloé war. Das ikonische Karl-Kostüm der späten Jahre stand somit nicht zur Verfügung. Spätestens als in Folge eins der Vollbart runterkommt, ist es dann zum Schreien komisch, wie exakt Karl Lagerfeld hier Daniel Brühl gleicht – ein Teil des Publikums dürfte den Sprung in die Illusion bis zum Schluss nicht hinbekommen. Dabei ist es beeindruckend und auch berührend, wie nuanciert Brühl diesen Lagerfeld spielt. Als Auftragsarbeiter, der einen eigenen Designstil ums Verrecken nicht finden kann (das kommt historisch sehr genau hin; auch, dass sie in Paris am Anfang Witze gerissen haben über ihn). Als Machtmensch, manipulativ, eiskalt manchmal. Hinter der Fassade aber, hier wirklich erbarmungslos ins Licht gezerrt, nichts als Verklemmtheit und die Sehnsucht nach Liebe. Brühls Karl ist so einsam, dass es einem an die Nieren geht.
Auch das übrige Personal ist sehenswert, ein echtes Horrorkabinett: Elisabeth Lagerfeld, mehr Höllenhund als Mutter. Yves Saint Laurent, ein dauerbekokstes Genie am Abgrund, von der eigenen Erotik fast genauso besoffen wie vom Dom Pérignon. Pierre Bergé als sein breitbeiniger Beschützer, der ihn in Ermangelung eigenen Charismas hemmungslos ausbeutet. Sunnyi Melles spielt die alte Marlene Dietrich mit einem Divengehabe, das sich nur noch aus Verzweiflung speist (in einer schönen und nahezu komplett erfundenen Episode). In diesem Becken verhaltensauffälliger Haifische ist Jacques de Bascher (Théodore Pellerin) dann bloss der ärmste und allerverlorenste Fisch von allen. Mit Pierre Bergé gesagt: «Du glaubst, du hast die Kontrolle? Du fickst alle? Du bist nur ein Vibrator für Erwachsene, die zu viel arbeiten.»
Dies vor der Kulisse der explodierenden Seventies inszeniert, und man bekommt die Orgie der Ausstattung noch obendrauf. Rauschende Partys und Disconächte, atemberaubende Sets, die Körper kopulieren mal unter Kristalllüstern, mal in der Gosse. Andy Warhol, Paloma Picasso und Pat Cleveland stolzieren vorbei, die Klamotten sind durch die Bank der Wahnsinn, David Bowie singt. Hach, das hätte schon ein tolles Ding werden können.
Die Serienmacher haben sich aber nun mal in den Kopf gesetzt, dass die Romanze zwischen Karl und Jacques der rote Faden sein soll, der den Pariser Lotterladen zusammenbindet. Und dieser Romanze fehlt nicht nur der Sex. Es fehlt ihr einfach jegliche überlieferte Substanz. Man kann sie ausschmücken, man kann Dinge hinzuerfinden, die Liebenden nach Lust und Laune nackig machen, über eine Strecke von sechs Folgen trägt das nicht wirklich. Die Serie gleicht am Ende dem, was Lagerfeld bei Chloé entworfen hat: bekömmliche, mit Geld, Kalkül und Liebe zum Detail gemachte Ware für die Masse. Prêt-à-voir halt.
«Becoming Karl Lagerfeld» läuft auf Disney+.
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