Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Zukunft der Landwirtschaft
Parmelins Auftritt im Hühnerstall

Bundesrat Guy Parmelin begutachtet ein Maisfeld auf dem Bauerngut der Familie Herren, am Freitag, 16. August 2024 in Wileroltigen BE. Nach den Kundgebungen der Bauern, die in den letzten Monaten ihre Unzufriedenheit manifestierten, wollte Guy Parmelin bei einem Besuch auf einem landwirtschaftlichen Betrieb die aktuelle Situation eroertern und die kuenftigen Rahmenbedingungen fuer eine nachhaltige Landwirtschaft diskutieren.(KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Überall weisse Hühner, neugierige und scheue. Und mittendrin ein Bundesrat.

Guy Parmelin hat sich einen ausgefallenen Ort ausgesucht, um über seine Pläne für die Landwirtschaft zu sprechen. Er steht auf der Hühnerweide der Bauernfamilie Herren in Wileroltigen BE und spricht inmitten von 12’000 Legehennen über die Zukunft der Bauern. 

Er will zeigen, dass er ihre Sorgen versteht. Dass er ihnen zuhört. «Ich bin ein praxistauglicher Bundesrat», sagt Parmelin, der sich als Winzer auch zum Bauernstand zählt. Und als solcher weiss er, dass es kein normales Jahr war für die Bauern.

Es ist noch nicht so lange her, da riefen sie zum Protest auf – wie die Kollegen in Deutschland und Frankreich es vorgemacht hatten. Im März trafen sie sich auf Feldern und Brücken, um zu demonstrieren. Sie waren hässig, sie wollten mehr Anerkennung und weniger Bürokratie, sie forderten höhere Preise für ihre Produkte. Zum Beispiel auch in Kirchberg BE, wo 650 Bäuerinnen und Bauern mit dem Traktor anreisten.

Die Bauern protestieren. Hier im März in Kirchberg BE. Sie fordern einen Dialog mit den Grossverteilern und weniger Bürokratie.

Urs Haslebacher aus Lohnstorf BE hat damals die Kundgebung organisiert, er wurde zu einem der Gesichter der Bauernproteste. An ihm lag es auch, dass die Bauern sich auf einem Feld in Kirchberg versammelten und nicht auf dem Bundesplatz. Dass sie zum Dialog aufriefen und nicht an die Türen des Bundeshauses schlugen. «Die Militanten unter uns davon zu überzeugen, war fast schwieriger als die Leute zu mobilisieren», sagt der Leiter eines Grossbetriebs mit 3000 Schweinen. 

Doch was haben die Proteste gebracht? «Wir wollten der Bevölkerung zeigen, wo der Schuh drückt. Das gelang», sagt Haslebacher. Bauern legten ihre Buchhaltungen offen und luden auf ihre Höfe ein. Ob TV, Radio oder Zeitungen – alle berichteten. Das Verständnis für die Zielkonflikte seines Berufsstandes sei dadurch gestiegen, sagt Haslebacher. 

Bauer Urs Haslebacher aus Lohnstorf initiierte die Proteste der Bauern im Kanton Bern. Schweine, Schweinezucht. Foto: Beat Mathys / Tamedia AG.

Handfestes aber sprang für die Bauern kaum raus. «Stimmt», sagt Haslebacher. Der Kartoffelpreis stieg etwas, ebenfalls jener für Getreide, doch es blieb im überschaubaren Bereich. Trotzdem müsse man dranbleiben. Aber das Verhandeln sei nun Aufgabe der Verbände und nicht der einzelnen Bauern. Es gehe um Existenzen, sagt Haslebacher. Jede Woche würden zehn Betriebe aufgegeben, 40 Prozent der Höfe seien nicht profitabel, darüber müsse man reden.

Das Zauberwort Wertschöpfung

Parmelin redet in Wileroltigen über das Thema Wirtschaftlichkeit und verwendet dabei immer wieder das gleiche Wort: Wertschöpfung. Die Wertschöpfung in der Landwirtschaft müsse steigen. Nur so habe die Branche eine Zukunft. Doch wie genau, kann er nicht sagen: Derzeit wird die Agrarpolitik 2030+ vorbereitet, die Parmelin 2026 in die Vernehmlassung schicken will. Er verspricht den Bauern weniger Auflagen für Direktzahlungen und weniger administrativen Aufwand. 

Gastgeber und Hühnerbauer Christoph Herren mag nicht so richtig daran glauben. Das werde schon seit 20 Jahren versprochen, sagt er. Eine Entlastung wäre aber dringend nötig. Herren zeigt die Checkliste für den Anbau von Kartoffeln. Sie umfasst 20 Seiten. «Das hat Ausmasse angenommen, die nicht mehr tragbar sind», sagt Herren. Vor Kontrollen habe er jeweils schlaflose Nächte. 

Bundesrat Guy Parmelin haelt Kartoffeln der Sorte La Vie in der Hand, auf dem Bauernhof der Familie Herren, am Freitag, 16. August 2024 in Wileroltigen BE. Nach den Kundgebungen der Bauern, die in den letzten Monaten ihre Unzufriedenheit manifestierten, wollte Guy Parmelin bei einem Besuch auf einem landwirtschaftlichen Betrieb die aktuelle Situation eroertern und die kuenftigen Rahmenbedingungen fuer eine nachhaltige Landwirtschaft diskutieren.(KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Viele Bauern hatten dieses Jahr noch aus einem anderen Grund grosse Sorgen: der viele Regen. Das zeigt sich auch auf Herrens Kartoffelacker. Die Nässe führte zu Krautfäule. Herren musste häufiger als gewöhnlich Pflanzenschutzmittel einsetzen. Er konnte die Kultur zwar retten – nach dem hohen Besuch aus Bern will er die Kartoffeln ernten. Es gibt dieses Jahr aber weniger Kartoffeln in der Schweiz als gewöhnlich. «Vor hundert Jahren hätten wir in einem solchen Jahr eine Hungersnot gehabt», sagt Herren. 

Und dann gibt es noch ein drittes Thema, das die Bauern beunruhigt: das Geld. Der Bundesrat will für die Jahre 2026 bis 2029 die Gelder für die Bauern gegenüber der letzten Periode um 230 Millionen auf 13,8 Milliarden Franken kürzen. Vor der Sommerpause hatte Parmelin die Details dazu präsentiert.

Mehr Geld soll auf Kosten von Direktzahlungen für Investitionen in die Infrastruktur eingesetzt werden – beispielsweise in den Bau von Feldwegen oder in die Modernisierung von Bauten. Im Landwirtschaftsjargon Strukturverbesserungsmassnahmen genannt, kürzer geht es nicht.  

Protest-Bauer Haslebacher kann verstehen, dass wegen des allgemeinen Spardrucks auch bei den Bauern gekürzt werden soll. Trotzdem sei das falsch. Erstens, weil die Beiträge in den letzten Jahren nicht an die Teuerung angepasst worden seien. Und zweitens, weil man auch die Direktzahlungen im Zusammenhang mit dem Tierwohl kürzen wolle.

Parmelin rechnet mit steigenden Einkommen für die Bauern

Haslebacher hat seinen Stall auch darum gebaut, weil ihm der Bund Tierwohl-Beiträge zugesichert hatte für die Amortisierung über 25 Jahre. Nun werden diese unverhofft gekürzt. «Das geht doch nicht, das ist gegen Treu und Glauben», sagt er. Noch prägnanter ist der Kommentar des Bauernverbandes: «Inakzeptabel.»

Parmelin verspricht mehr Stabilität. Dass mehr Geld für Strukturverbesserungsmassnahmen eingesetzt werden soll, verteidigt er aber. Das sei eine Investition in die Zukunft. Laut dem Bundesrat würde sich die Kürzung bei den Direktzahlungen nur kurzfristig auf die Einkommen auswirken. Er rechnet damit, dass die landwirtschaftlichen Einkommen in den nächsten Jahren steigen.

Auch Haslebacher ist zuversichtlich. Er geht davon aus, dass die Bauernvertreter im Parlament die Kürzung ablehnen. Sie seien dort gut vertreten. Die Bauern hoffen auch, dass ihre Verbände in den Verhandlungen über die Produzentenpreise diesen Herbst gute Resultate erzielen. Vorsorglich stellen sie aber neue Proteste in Aussicht.

Parmelin wiederholt derweil im Hühnerstall seine Kernbotschaft: sein grosses Verständnis für die Bauern und ihre grossen Herausforderungen, wie die zunehmenden Wetterextreme, die mit dem Klimawandel einhergehen. 

Urs Haslebacher hat ebenfalls einen Schluss aus diesem turbulenten Jahr gezogen. Wer Veränderungen will, muss sich engagieren. Den Gemeindepräsidenten von Thurnen zieht es noch mehr in die Politik. Der SVP-Politiker wird sich wohl als Kandidat für die nächsten Berner Grossratswahlen melden.