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Barcelona erlebt gewalttätigste Nacht seit Protestbeginn

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In Barcelona sind am Freitag nach Polizeiangaben mehr als eine halbe Million Anhänger der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung auf die Strasse gegangen. Etwa 525'000 Menschen protestierten gegen die langjährigen Haftstrafen für prominente Unabhängigkeitsbefürworter. Die Proteste führten erneut zu Krawallen.

Die Stadt erlebte die gewalttätigste Nacht seit dem Wiederaufflammen des katalanischen Unabhängigkeitskonflikts. Die Unruhen liessen nach Mitternacht nur langsam nach. Radikale Separatisten, die Barrikaden errichtet hatten, warfen Steine und Feuerwerkskörper auf Polizisten, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Die Beamten reagierten mit dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen. Die Polizei setzte erstmals auch Wasserwerfer ein. Im Stadtzentrum gab es chaotische Szenen. Der öffentlich-rechtliche TV-Sender RTVE sprach von einer «wahren Schlacht».

Nahe der Polizeizentrale Barcelonas entzündeten junge Demonstranten ein riesiges Feuer - es stieg dicker, schwarzer Rauch auf. Brände gab es auch nahe des Plaza de Catalunya am Ende der Touristenmeile Las Ramblas, wo sich hunderte Demonstranten der Polizei entgegenstellten. Die Regionalpolizei warnte Menschen auf Englisch im Kurzbotschaftendienst Twitter, sich vom Stadtzentrum fernzuhalten.

«Extreme Gewalt»

Der katalanische Innenminister Miquel Buch sagte dem TV-Sender La Sexta in der Nacht zum Samstag, «eine solche extreme Gewalt» habe es in Katalonien «noch nie gegeben». «Das sind natürlich keine Separatisten, das sind Gewalttätige», die es aber nicht schaffen würden, die Befürworter der Unabhängigkeit «zu besudeln», so der Vertreter der separatistischen Regionalregierung.

Mindestens 15 zum Teil minderjährige Aktivisten seien am Freitag allein in Barcelona festgenommen worden, teilten die regionalen Sicherheitsbehörden mit. In ganz Katalonien habe es insgesamt 31 Festnahmen gegeben. Unruhen gab es am Freitag auch in anderen katalanischen Städten wie Tarragona, Lleida und Girona. Mindestens 60 Menschen wurden den amtlichen Angaben nach in Barcelona verletzt, darunter drei Polizisten und zwei Journalisten.

Die Zahl der gewalttätigen Demonstranten wurde auf mehr als 4000 geschätzt Unter ihnen seien rund 400 organisierte Chaoten, wie Innenminister Fernando Grande-Marlaska sagte. Die Behörden vermuten, dass einige von ihnen aus anderen Regionen Spaniens und möglicherweise auch aus dem Ausland angereist sind. Grande-Marlaska warnte, man werde das Strafrecht gegen Gewalttätige «mit aller Härte anwenden». Haftstrafen von bis zu sechs Jahren seien möglich.

Zahlreiche Flüge gestrichen

Die Grosskundgebung am Freitag war der vorläufige Höhepunkt der seit Montag anhaltenden Proteste in der Region.

Aus mehreren Städten waren die Demonstranten nach Barcelona gezogen. Demo-Züge mit jeweils tausenden Menschen, die Unabhängigkeitsfahnen schwenkten und Transparente mit sich trugen, zogen bereits am Nachmittag durch die Stadt. In der katalanischen Hauptstadt waren die Auswirkungen der Proteste fast überall spürbar, 57 Flüge mussten nach offiziellen Angaben gestrichen werden, und die Oper sagte eine für den Abend geplante Vorstellung ab. Strassenblockaden gab es bereits am Morgen.

Die Hauptkundgebung auf dem Boulevard Passeig de Gracia im Zentrum Barcelonas verlief zwar ohne grössere Zwischenfälle. Die Teilnehmer allen Alters forderten in zumeist ausgelassener Stimmung die Freilassung der «politischen Gefangenen» und sangen auch die katalanische Hymne.

Zusammenstösse vor Polizeipräsidium

Unweit davon kam es aber auf einer Demonstration von mehreren Hundert zumeist jungen Menschen vor dem Polizeipräsidium erneut zu Zusammenstössen mit der Polizei. Es war der fünfte Krawalltag in Folge in Barcelona.

Vermummte und dunkel gekleidete Antifa-Aktivisten, die in dieser grossen Zahl erst seit kurzem an den Separatisten-Protesten teilnehmen, bewarfen Polizisten unter anderem mit Steinen und Eiern und zündeten erneut Müllcontainer an. Die Beamten setzten Schlagstöcke gegen die Krawallmacher ein.

Wie die Polizei mitteilte, wurden drei Kundgebungsteilnehmer - darunter zwei Minderjährige - festgenommen. Ein Beamter sei verletzt worden. Ausschreitungen gab es am Abend auch in Girona, Tarragona und Lleida.

Über 100 Festnahmen seit Montag

Innenminister Fernando Grande-Marlaska sagte, seit Beginn der Proteste am Montag seien in ganz Katalonien 128 Demonstranten festgenommen worden. Von diesen seien neun derzeit hinter Gittern, sie seien entweder in Untersuchungshaft oder warteten auf die Anhörung durch den Ermittlungsrichter.

Man werde gegen gewalttätige Demonstranten «das Strafrecht in aller Härte anwenden», sagte der Minister der sozialistischen Zentralregierung vor den Medien in Madrid. Grande-Marlaska bezifferte die Zahl der «organisierten gewaltbereiten Demonstranten» auf etwa 400.

Spaniens Oberster Gerichtshof hatte am Montag Haftstrafen von bis zu 13 Jahren gegen prominente katalanische Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft wegen «Aufruhrs» verhängt. Dabei ging es um ihre Rolle bei dem umstrittenen Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens im Jahr 2017, das eine Erklärung der Regionalregierung zur Loslösung von Spanien sowie danach die Absetzung der Regierung und die Zwangsverwaltung durch Madrid zur Folge hatte.

Sagrada Familia blockiert

Die Proteste der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung erreichten am Freitag auch die Sagrada Familia, eines der Wahrzeichen Barcelonas. Hunderte Demonstranten blockierten zeitweise die Zugänge zum weltweit bekannten Gotteshaus.

Später wurden die Pforten der bis heute unvollendeten Basilika des Architekten Antoni Gaudí (1852-1926) komplett geschlossen, «um die Sicherheit von Besuchern, Arbeitern und Belegschaft zu garantieren», wie es auf dem Twitter-Account der Sagrada Familia hiess.

In Teilen des Zentrums von Barcelona wirkten Strassen wie ausgestorben. Geschäfte waren geschlossen, kaum ein Auto war unterwegs. «So habe ich das an einem Wochentag hier noch nie erlebt», sagte ein Bewohner im zentralen Viertel Eixample.

Auf dem vielbesuchten Boulevard La Rambla (auch: Las Ramblas oder katalanisch: Les Rambles) und auf den Plätzen im Herzen der Stadt waren hingegen zahlreiche Abspaltungsbefürworter mit Estelada-Flaggen unterwegs - die Estelada ist ein Symbol der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Puigdemont in Belgien auf freiem Fuss

Der von Spanien zur Festnahme ausgeschriebene katalanische Politiker Carles Puigdemont bleibt in Belgien vorerst auf freiem Fuss. Der frühere katalanische Regionalpräsident meldete sich selbst bei der Polizei in Brüssel, nachdem Spanien europäischen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatte. Puigdemont habe dies aus freien Stücken getan, erklärte sein Büro am Freitag. Er widerspreche den Vorwürfen der spanischen Justiz.

Der Politiker wurde daraufhin verhaftet, wie die Staatsanwaltschaft in Brüssel mitteilte. Ein belgischer Untersuchungsrichter verfügte am Freitagnachmittag aber die Freilassung unter Auflagen. Puigdemont muss am 29. Oktober wieder vor dem Richter erscheinen.

Der frühere Separatistenführer war 2017 nach Belgien geflohen. Die spanische Justiz wirft ihm Aufruhr und Zweckentfremdung öffentlichen Geldes vor. Einem früheren Auslieferungsbegehren waren die belgischen Behörden nicht gefolgt.

Puigdemont war 2018 in Deutschland festgenommen worden, aber nach einigen Tagen Haft wieder freigekommen. Später hob das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Auslieferungshaftbefehl auf. Am Montag hatte die spanische Justiz den internationalen Haftbefehl reaktiviert.

SDA/fal