Aussprache in Davos«An der stark belasteten Situation in Davos wird sich so schnell nichts ändern»
Der Tourismus-Chef stört sich am Benehmen orthodoxer Juden. Nun soll eine Taskforce die Situation verbessern. Kann das etwas bringen? Ein jüdischer Sprecher ist skeptisch.
«In Davos brodelts», «Konflikt mit Orthodoxen eskaliert», «Selbst der Gemeindepräsident spricht nun von einer angespannten Situation» – so titelten letzte Woche Medien zur Kontroverse rund um jüdische Touristen im Bündner Ferienort. Ausgelöst worden war sie vom Davoser Tourismusdirektor. Reto Branschi hatte sich erst in der Lokalzeitung und dann in der «Südostschweiz» über schlechtes Benehmen der orthodoxen Gäste und Littering auf Bergwegen beklagt.
Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG), stört an der Davoser Kritik vor allem ein Punkt: «Man hat das Verhalten einzelner jüdischer Gäste so übertrieben dargestellt, dass man davon ausgehen musste, es handle sich um ein Massenphänomen.» Ein «Dorn im Auge» sei ihm auch, dass Davos das Littering-Problem nur bei den jüdischen Gästen so prominent anspreche – und nicht bei anderen Gästegruppen.
Am Montag nun kam es im Rahmen des jährlichen Standortgesprächs zur Aussprache zwischen Branschi und Kreutner. Der Tourismus-Chef gibt zu, dass es zu Missverständnissen gekommen ist. Gegen den Vorwurf der Generalisierung wehrt er sich aber vehement: «Wir haben nie alle orthodoxen jüdischen Gäste oder gar alle jüdischen Gäste kritisiert. Es geht um eine Teilgruppe, die sich nicht um die bei uns üblichen Verhaltensweisen und teilweise auch nicht um die Gesetze in Davos kümmert.» Branschi nennt auf Nachfrage neben Littering die Umgehung von Abfallgebühren, Missachtung von Fahrverboten und das Zertrampeln nicht gemähter Wiesen. «Dieses rücksichtslose Verhalten hat den Unmut von Einheimischen, Gastgebern und anderen Gästen auf sich gezogen.»
Branschi will nun eine Taskforce mit «Davoser Schlüsselfiguren» ins Leben rufen. «Wir überlegen uns, ob wir die Gäste schon vor der Anreise in ihren Heimatländern kontaktieren und sie auf die Themen sensibilisieren können, die uns Probleme machen.» Bekannte Persönlichkeiten – auch aus der jüdischen Gemeinde der Schweiz – hätten angeboten, eine gemeinsame Lösungsfindung zu unterstützen. Für weitere Ideen sei man offen und dankbar. Kreutner sagt dazu: «Falls man uns einlädt, werden wir eine Teilnahme prüfen. Wir sind die Letzten, die sich einer konstruktiven Lösung verschliessen.»
Branschi äussert nicht zum ersten Mal Kritik
Bereits 2018 hatte Reto Branschi in einem an die Medien gelangten Brief das Verhalten von orthodoxen Gästen aus dem Ausland zum Thema gemacht. Daraufhin startete der SIG das Dialogprojekt Likrat mit Vermittlern. Zwei Schweizer Juden erklärten den grösstenteils aus Belgien, Grossbritannien und Israel stammenden orthodoxen Feriengästen die hiesigen Regeln. Laut Branschi ist der Versuch gescheitert. Es gebe Leute, die sich nichts vorschreiben liessen. «Die Vermittler werden nicht ernst genommen», sagte er der «Südostschweiz». Die Zusammenarbeit beim Projekt Likrat beendete er deshalb.
Für Jonathan Kreutner ein unverständlicher Schritt. Aus seiner Sicht waren die Reaktionen weitgehend positiv. Doch Branschi hielt im Gespräch vom Montag an seiner Position fest. Nun sagt er: «Wir müssen die Rolle der Vermittlerinnen und Vermittler neu denken.»
Und wie ist die Gefühlslage in der Stadt? Während sich vor der SRF-Kamera niemand negativ über das Verhalten der geschätzt 3000 bis 4000 orthodoxen Sommertouristen äusserte, kommt der Unmut in der Leserbriefspalte der Lokalzeitung klar zum Ausdruck. Der in Davos Landammann genannte Gemeindepräsident Philipp Wilhelm von der SP sagte der «SonntagsZeitung», Branschi habe bloss Konflikte angesprochen, die im Alltag der Bevölkerung stark wahrgenommen würden. Auch an der Generalversammlung von Hotel Gastro Davos stellten sich mehrere Redner hinter den Tourismusdirektor.
Branschi nennt als Auslöser seiner Kritik einen Artikel in der «Davoser Zeitung», der die Situation mit den orthodoxen jüdischen Feriengästen «einseitig beschönigte». Laut Branschi war das für viele Bewohner der Stadt ein Affront. «Weil die Probleme gravierend sind und weil die Stimmung immer gehässiger wurde», habe er sich entschlossen, klarzustellen, dass sich die Situation mitnichten verbessert habe. «Man mag mich für naiv halten, aber es muss in diesem Land möglich sein, konkrete Probleme zu benennen. Voraussetzung dafür ist es, dass man dabei die Ebene des gegenseitigen Respekts nicht verlässt.»
«Es ist diese Gruppe, die Davos schadet»
SIG-Generalsekretär Kreutner vermutet, Branschi sei es darum gegangen «mit einer Medienkampagne Dampf abzulassen und die Emotionen einer lauten Gruppe von der Basis nach aussen zu tragen». Er wirft ihm vor, mit den Interviews der Destination Davos zu schaden. «Ich habe wenig Verständnis für die Aussagen, und mir ist nicht klar, was das Vorgehen strategisch bringen soll», sagt Kreutner. Ähnlich äusserte sich in der «SonntagsZeitung» der parteilose Davoser Landrat Hans Vetsch. Was entgegnet Branschi? «Das Verhalten der kritisierten Gruppe ist rücksichtslos und respektlos. Es ist diese Gruppe, die Davos schadet, und ich wäre ein schlechter Touristiker, würde ich das einfach hinnehmen.»
Zusätzlichen Zündstoff erhielt die Kontroverse im Ferienort durch einen Beitrag im Gratisblatt «Gipfel Zytig». Dort wurde suggeriert, Fäkalien auf der Terrasse einer Ferienwohnung stammten von einem «menschlichen Wesen mit jüdischer Abstammung». Der SIG hat Anzeige erstattet. Der verantwortliche Alleinredaktor und Verleger Heinz Schneider wurde bereits zweimal wegen Rassendiskriminierung verurteilt.
Für Kreutner steht fest: «An der stark belasteten Situation in Davos wird sich so schnell nichts ändern.» Seit der letzten Kontroverse vor fünf Jahren sei wenig passiert. «Die Begeisterung bei Davos Tourismus über die jüdischen Touristen ist gering.» Aber: «Viele orthodoxe Feriengäste werden nächstes Jahr wiederkommen, und Davos wird sich wieder ähnlichen Problemen stellen müssen. Nun ist es an den Davoser Verantwortlichen, aufzuzeigen, welchen Weg sie gehen wollen.»
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