Aus dem GerichtMann landet wegen Ehestreit zwei Jahre im Gefängnis – fast unschuldig
Ein Unternehmer eines Luxusgeschäfts an der Goldküste wird der Vergewaltigung verdächtigt. Am Ende der Gerichtsverhandlung bleibt eine Verurteilung wegen versuchter Nötigung. Dazwischen liegen fast zwei Jahre Haft.

Die Hauptrolle in diesem Krimi hat ein Ehepaar inne, das an der Zürcher Goldküste gemeinsam und erfolgreich ein Geschäft im Luxussegment geführt hat. Was in der Zürcher Bankenwelt Rang und Namen hat, zählte zur Kundschaft. Man duzte sich.
Doch die glücklichen Zeiten könnten nicht ferner liegen. Der Mann hat die letzten zwei Jahre seines Lebens in Haft verbracht. Wie konnte es so weit kommen? Die Staatsanwaltschaft zeichnet das Bild eines Monsters. Der Mann habe seine Ehefrau vergewaltigt und sie über Monate hinweg immer wieder bedroht. Er habe versucht, sie zu erpressen und zu nötigen, und er habe sie beschimpft. All das soll zwischen März und Mitte Mai 2022 geschehen sein.
Die Frau musste aus Sicht der Staatsanwaltschaft vor ihrem Mann geschützt werden. Er gehörte weggesperrt.
Am Anfang war eine Zecke
In der Version der Geschichte, wie sie die Verteidigerin an der Verhandlung schildert, mutiert das vermeintliche Opfer zur eigentlichen Bösewichtin.
Das Drama nimmt im Sommer 2021 seinen Anfang, als eine Zecke den Unternehmer beisst. Folgen sind eine Hirnhautentzündung und ein mehrmonatiger Aufenthalt im Spital. Nach dem Spitalaufenthalt kommt es zwischen den Eheleuten vermehrt zu Streitereien.
Zwischen Januar und März 2022 räumt die Ehefrau die gemeinsamen Konti leer. Rund 170’000 Franken überweist sie auf ihr eigenes Konto. Ihre Begründung: Sie wolle das Geld vor der Verschwendungssucht ihres Mannes schützen.
Vor dem Gericht widerspricht die Verteidigerin: Ihr Mandant habe in der fraglichen Zeit keinerlei aussergewöhnliche Ausgaben getätigt. Über ein eigenes Konto verfügt der Mann seit der Eheschliessung im Jahr 2011 nicht mehr.
In Spanien auf dem Pilgerweg
Anfang März 2022 folgt die nächste Eskalation: Die Frau sorgt dafür, dass ihr Mann fürsorgerisch in der Psychiatrie untergebracht wird. Nach zwei Tagen verlässt er die Institution aber auf eigenen Wunsch. Er reist nach Spanien, um auf dem Jakobsweg zu pilgern.
Das Paar tauscht in dieser Zeit Textnachrichten aus. Teils bekundet man sich gegenseitig die Liebe, teils geht es um Trennung. Verschiedentlich fordert der Mann die Frau auf, seine Bankkarten freizuschalten. Ihm sei das Geld ausgegangen.
Ende März verbringt das Ehepaar drei gemeinsame Tage in Spanien. Es kommt zu Sex, der laut Verteidigerin schon vorgängig per Chat vereinbart war. Die Rechtsvertreterin der Ehefrau bestreitet diese Darstellung und bezeichnet sie als absurd. Die Frau sei nach Spanien gereist, um über die Trennung zu sprechen. Einen Entwurf für eine Trennungsvereinbarung hat sie aber nicht dabei; dafür Sexspielzeug.
Der Mann filmt den Sex und lässt der Ehefrau noch am Tag ihrer Abreise das Video zukommen. «Sie reagierte mit Liebesbezeugungen und Hechel-Emojis», sagt die Verteidigerin.
Nach dem Sex zeigte sie ihn an
Kurz darauf verschärft sich der Ton zwischen den Eheleuten. Er fordert ultimativ Geld und droht, er werde sonst die Sexvideos verbreiten. Sie lenkt nicht ein, sondern zeigt ihren Mann Anfang April bei der Kantonspolizei Zürich wegen Vergewaltigung, Drohungen, Erpressung und Pornografie an.
Schliesslich macht er seine Ankündigung wahr und versendet aus Spanien eines der selber produzierten Sexvideos an fünf Verwandte und Bekannte. Am 15. Mai 2022 trifft der Mann am Flughafen Zürich ein. Die Frau hat ihm das Flugticket bezahlt. Kaum gelandet, wird er von Polizeigrenadieren aus dem Flugzeug gezerrt und festgenommen. Seither sitzt er in Haft.
Vergewaltigung kein Thema mehr
Im Juli 2023 ein erster Lichtblick für den Häftling: Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren betreffend die Vergewaltigung, den schwerwiegendsten Vorwurf, ein. Viel zu spät, aus Sicht der Verteidigung. In Haft muss der Mann trotzdem bleiben.
Der Unternehmer muss sich vor dem zuständigen Bezirksgericht Pfäffikon – das Ehepaar stammt aus dem Tösstal – noch wegen versuchter Erpressung, Drohung, versuchter Nötigung, Beschimpfung und Missbrauch einer Fernmeldeanlage – alles mehrfach begangen – verantworten.
Dafür fordert die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 27 Monaten. Diese sei zugunsten einer stationären Massnahme aufzuschieben. Die Massnahme soll zur Behandlung von Wahnvorstellungen dienen, welche der Psychiater neben seiner schon im Gutachten diagnostizierten bipolaren Störung festgestellt haben will.
Der Beschuldigte, der in Handschellen von zwei Kantonspolizisten an die Verhandlung begleitet wird, überlässt das Reden seiner Verteidigerin.
Der Psychiater tritt auf
Ein Psychiater, der in seinem Gutachten eine stationäre Massnahme für den Beschuldigten empfiehlt, wird vor Gericht als Zeuge befragt. Er sagt, er habe den Beschuldigten vor der Verhandlung nochmals im Gefängnis besucht. «Dabei habe ich erfahren, dass die Vergewaltigung kein Thema mehr ist», sagt der Psychiater.
Er habe festgestellt, dass der Beschuldigte zu wahnhaften Übertreibungen neige. «Er hat beispielsweise behauptet, er werde in Haft wöchentlich von einem Staatsanwalt besucht. Bei diesem könne er auch wohnen, wenn er rauskomme.» Bloss: Der Staatsanwalt ist keine Wahnvorstellung. Er ist mit dem Beschuldigten befreundet und verfolgt die Verhandlung im Gerichtssaal.
Letztlich distanziert sich der Psychiater nicht von seiner Empfehlung für eine stationäre Massnahme. Er bleibt aber vage, zeigt die Vor- und Nachteile der verschiedenen Massnahme-Varianten auf.
Harte Kritik am Gutachten und am Psychiater äussert die Verteidigerin. Da der Vergewaltigungsvorwurf gar nicht mehr existierte, sei das Gutachten unnötig gewesen, die Anordnung einer stationären Massnahme unverhältnismässig.
Freisprüche von Hauptvorwürfen
Nach mehrstündiger Beratung bringt das Urteil in Pfäffikon die Wende für den Beschuldigten: Die Richterinnen und Richter sprechen den Mann von den Vorwürfen der mehrfach versuchten Erpressung und der mehrfachen Drohung frei. In diesen Punkten folgen sie der Verteidigung.
Der Mann habe Anrecht auf Geld von den gemeinsamen Konten. Da er sich also nicht unrechtmässig bereichern wollte, habe er seine Ehefrau auch nicht erpresst. Für eine Verurteilung wegen mehrfacher Drohung fehlt es in den Chatnachrichten laut Gericht an der Androhung ernsthafter Konsequenzen. Die Nachrichten hätten die Frau auch nicht verängstigt, sonst hätte sie ihren Mann kaum kurz darauf in Spanien besucht.
Schuldig gemacht hat er sich laut Richterspruch hingegen der mehrfachen versuchten Nötigung, der mehrfachen Beschimpfung und der mehrfachen Pornografie. Verglichen mit den ursprünglichen Vorwürfen sind das Bagatellen. Das Gericht verhängt eine bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten, eine bedingte Geldstrafe sowie eine Busse von 3000 Franken. Und es ordnet eine ambulante Therapie an.
Finanzielles Nullsummenspiel
Die bedingte Freiheitsstrafe hat der Beschuldigte mit seiner langen Haft längst abgesessen. Nach dem vorliegenden Urteil war er gar 314 Tage zu Unrecht inhaftiert. Dafür spricht ihm das Gericht eine Genugtuung von 31’400 Franken zu. Das sind 100 Franken pro Tag.
Zudem wird er mit knapp 30’000 Franken für seinen Lohnausfall entschädigt. In der Summe liegen die Kosten, die der Beschuldigte übernehmen muss, in etwa gleich hoch wie die Beträge, welche ihm das Gericht zubilligt.
Seit der Urteilseröffnung ist der Mann frei und wohnt vorübergehend beim befreundeten Staatsanwalt. Seine wirtschaftliche Existenz ist nach zwei Jahren in Haft zerstört, sein soziales Umfeld hat sich von ihm abgewendet.
Der Beschuldigte wird den Fall ans Obergericht weiterziehen. Er sei weder mit dem Strafmass noch mit der Höhe der Kosten, die man ihm auferlegt hat, einverstanden. Die Genugtuung und die Entschädigung seien viel zu tief ausgefallen.
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