Kommentar zum Filmfestival Auf der Piazza in Locarno muss endlich etwas gehen
Guter Wettbewerb, aber sonst? Locarno braucht neue Ideen für die Piazza Grande.
Es war ein normaler Besucher, der in Locarno im Publikum sass. Er hatte sich einen schönen Abend versprochen, aber was ihm geboten wurde, ödete ihn an. Mitten in der Vorführung stand er auf und sagte: «Eigentlich bin ich gekommen, um meine Probleme zu vergessen. Aber wenn ich hier zuschaue, habe ich das Gefühl, dass ich mehr davon kriege.»
Der Mann hiess Yannick, er war die Hauptfigur in der gleichnamigen Komödie des Franzosen Quentin Dupieux. Nachdem er sich über das Boulevardstück im Theater beschwert hatte, fing er an, selber Dialoge zu schreiben, während er das Publikum mit einer Pistole in Schach hielt. «Yannick» war ein Vergnügen im Wettbewerb des Filmfestivals. Man hätte sich den Film auch gut auf der Piazza Grande vorstellen können.
Das Piazza-Programm begann mit einer Komödie, die entfernt an Jacques Tati hätte erinnern sollen.
Aber dort war das Programm schwach, nämlich bekömmlich. Es begann mit einer Komödie, die entfernt an Jacques Tati hätte erinnern sollen. Später historisches Kostümtheater oder Mafiöses aus Italien. Auch der harte Stoff blieb erzählerisch soft. Wo bleibt da der Spass, wo der Schwung? Der einzige Beitrag, der restlos überzeugte, hatte bereits die Goldene Palme in Cannes gewonnen, es war das Gerichtsdrama «Anatomie d’une chute».
Auf der Piazza muss in Locarno wirklich etwas gehen. Ansonsten läuft das Festival Gefahr, dass künftig zahlreiche Yannicks aufstehen und sich beklagen. Am meisten los war auf der Piazza, als am Montagabend zwei Klimaaktivisten auf der Bühne protestierten. Action!
Das Gefällige fällt umso mehr auf
Jedes Festival verträgt etwas Seichtes. Aber Locarno hat seit einiger Zeit die Ambition, auf internationaler Ebene mitzuhalten und progressives Kino zu zeigen. Im besten Fall gelingt so etwas wie die Neukalibrierung des Blicks. Und wenn man dann mit geschärfter Wahrnehmung auf der Piazza sitzt, fällt einem das Gefällige umso stärker auf. Das war auch das Problem der Nebensektion Cineasti del presente. Vieles war vorhersehbar, wieso sollte man deswegen an ein Festival reisen?
Das ist schade, denn der Hauptwettbewerb war bislang einer der stärksten der letzten Jahre, mit Filmen wie «Animal», «Sweet Dreams» oder «Patagonia». Die Form war oft fragmentiert. Die Kritik, wie jene von Radu Jude am kaputten Rumänien in «Do Not Expect Too Much From the End of the World», kam politisch-punkig daher. Es gab Raum für Drastik und für schockierende Schönheit. Alles Gründe, deretwegen man sitzen blieb, anstatt aufzustehen.
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