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Sexuelle Übergriffe in der Armee
Armeechef Süssli droht Soldaten mit «persönlichen» Konsequenzen

Korpskommandant Thomas Suessli, Chef der Armee, rechts, spricht neben Mahide Aslan, Chefin Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity, links, waehrend einer Medienkonferenz zu den neuen Massnahmen nach der Studie "Diskriminierung und sexualisierte Gewalt in der Schweizer Armee", am Donnerstag, 31. Oktober 2024 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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In Kürze:
  • Laut einer Studie berichten 94 Prozent der Frauen von sexualisierter Gewalt in der Armee.
  • Ein Drittel der homosexuellen Männer erfuhr während des Dienstes sexuelle Belästigungen.
  • Diskriminierung und sexualisierte Gewalt sind laut der Studie mit der Organisationskultur der Schweizer Armee verflochten.
  • Die Armee plant Massnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung.

«Mit blöden Witzen, Äusserungen und Bemerkungen fängt es an. Man bekommt via Natel Nachrichten, sexuelle Anfragen, Sexvideos. Sexuelle körperliche Belästigung folgt als Nächstes.»

«Gewisse Soldaten begafften uns Frauen, haben hinter uns auf Französisch über unsere Körper gesprochen, haben anzügliche Sprüche gemacht und dass sie Anspruch auf uns hätten.»

«Ein Fourier hat mir in der Achtungstellung die Pyjamahose vor anderen Kollegen runtergezogen, womit man meinen Penis sah.»

Aussagen wie diese sind einem Studienbericht zu entnehmen, welchen die Schweizer Armee heute Donnerstag veröffentlichte. Im Frühjahr 2023 befragte die Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity (Fiad) in Zusammenarbeit mit dem Sozialforschungsinstitut Yougov Schweiz 1126 dienstleistende Personen – davon zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer – zu ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt.

Die Resultate zeigen: Diskriminierung und sexualisierte Gewalt sind insbesondere für Frauen und homosexuelle Männer im Militär heute Alltag. Mehr als die Hälfte der jeweiligen Gruppen hat selbst entsprechende Erfahrungen machen müssen.

«Es wird mehr Meldungen geben»

Armeechef Thomas Süssli zeigte sich an der Pressekonferenz betroffen: «Die Resultate dieser Studie haben mich erschreckt.» Die Führung der Armee setze sich konsequent gegen jede Form von Diskriminierung und sexualisierte Gewalt ein. Süssli machte vor den Medien eine klare Ansage an seine Truppen: «Wer nicht bereit ist, diesen Weg mit uns zu gehen, der muss persönlich die Konsequenzen tragen.»

Einfach wird dieser Weg nicht sein. Die Studie legt den Finger auf den wunden Punkt:  «Viele Formen von Diskriminierung und sexualisierter Gewalt sind in der Armee heute normalisiert», heisst es da. Als Beispiel werden homophobe oder sexistische Sprüche genannt. «Wenn Gewalt nicht als solche erkannt und benannt wird, kann ihr auch nicht mit Nulltoleranz begegnet werden.» Sprich: In der Armee fehlt heute vor allem heterosexuellen Männern das Sensorium, um sexualisierte Gewalt überhaupt als solche wahrzunehmen.

Korpskommandant Hans-Peter Walser, Chef Kommando Ausbildung, 2. links,s spricht neben Gian Beeli, Co-Direktor Eidgenoessisches Buero fuer die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Mahide Aslan, Chefin Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity, Korpskommandant Thomas Suessli, Chef der Armee, und Stefan Hofer, Armeesprecher, von links, waehrend einer Medienkonferenz zu den neuen Massnahmen nach der Studie "Diskriminierung und sexualisierte Gewalt in der Schweizer Armee", am Donnerstag, 31. Oktober 2024 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Hans-Peter Walser, Chef Kommando Ausbildung bei der Armee, sagte an der Pressekonferenz, dass der Kulturwandel Zeit brauchen werde. «Es wird weitere Fehlleistungen und mehr Meldungen geben», so Walser. Die roten Linien seien aber unverrückbar. «Diesen Weg geht die Armee, bis sie am Ziel ist.»

Sprüche, Pfiffe, Berührungen

Laut dem Bericht geben 94 Prozent der Frauen an, in der Schweizer Armee mindestens eine Form sexualisierter Gewalt erlebt zu haben​. Mehr als die Hälfte der befragten Frauen sagten, dass sie selbst Ziel einer sexuellen Belästigung gewesen seien.

Am weitesten verbreitet ist gemäss der Studie «verbale sexualisierte Gewalt». Darunter fallen sexistische Sprüche oder Belästigungen. Über die Hälfte der befragten Frauen hat dies während ihrer Dienstzeit selbst erlebt. 

Knapp 40 Prozent der Frauen berichten auch von eigenen Erfahrungen mit «nonverbaler sexualisierter Gewalt». In diese Kategorie fallen Pfiffe, anzügliche Gesten, aufdringliche Blicke oder auch Exhibitionismus. 

Erschreckend ist vor allem auch, dass mehr als zehn Prozent der Frauen «körperliche sexuelle Gewalt» im Dienst erlebt haben. Sie berichten von ungewollten Berührungen und Küssen – und in seltenen Fällen auch von Vergewaltigungen und versuchten Vergewaltigungen.

Neben den Frauen scheinen auch homosexuelle Männer von der Thematik stark betroffen zu sein. Rund ein Drittel der Befragten  erlebte während der Dienstzeit sexuelle Belästigungen. Auch gab die Hälfte von ihnen an, dass sie aufgrund ihrer Homosexualität im Militär diskriminiert wurden. Allerdings sind die Ergebnisse für die männlichen Armeeangehörigen gemäss Fiad nicht repräsentativ. Dies, weil schlicht zu wenig Männer an der Umfrage teilgenommen haben.

«Gefährlichste Organisation»

Die Co-Präsidentin der SP Frauen, Tamara Funiciello, zeigt sich in einer ersten Reaktion auf die Studie «entsetzt».  Die Nationalrätin kaperte kurzzeitig sogar die Pressekonferenz im Medienzentrum, um Armeechef Süssli eine Frage zu stellen: «Die Armee kann nicht einmal die Sicherheit der eigenen Mitglieder garantieren – wie will sie dann die Sicherheit unseres Landes gewährleisten?» 

Funiciello fordert, dass zehn Prozent des Armeebudgets in die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt investiert werde.«Nur so kann dafür gesorgt werden, dass Frauen – innerhalb der Armee und in der Gesellschaft – wirklich geschützt sind.» Der SP-Co-Präsident Cédric Wermuth bezeichnet die Armee auf der Plattform X gar als die «gefährlichste Organisation für Frauen und Queers schweizweit».

Auch die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) gibt sich betroffen: «Die Ergebnisse der Umfragen zeigen: Die Armee ist eine zutiefst patriarchale Institution, die von Sexismus und Diskriminierungen durchzogen ist», sagt Roxane Steiger, politische Sekretärin der GSoA.

Armee soll «Vorreiterrolle» einnehmen

Während die Linke vor allem den negativen Istzustand betont, blicken Bürgerliche bereits in die Zukunft. Die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür findet es grundsätzlich positiv, dass die Armee das Thema sexuelle Belästigung offensiv angeht und die internen Missstände auch offen benennt. Sie stelle fest, dass derzeit in vielen Lebensbereichen endlich nicht nur zugeschaut, sondern auch reagiert werde – sei es am Arbeitsplatz oder im Militär. «Man ist auch eher bereit, über eigene Erfahrungen im Zusammenhang mit sexueller Belästigung zu reden», sagt Gmür. Sie hofft, dass die Armee bei der Sensibilisierung zu diesem Thema auch eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen könne. «Ich traue das der aktuellen Armeeführung und VBS-Vorsteherin Viola Amherd zu», so Gmür.

Obwohl viele Frauen in der Studie über negative Erfahrungen berichten, würde sie als Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission keiner Frau abraten, einen Militärdienst zu leisten. Vielmehr müsse die Nulltoleranzstrategie bei der Bekämpfung von sexueller Belästigung jetzt ultimativ umgesetzt werden, sagt Gmür.

Reporting geplant

In den vergangenen Wochen hat die Armeeführung bereits einen Massnahmenplan mit sechs Handlungsfeldern ausgearbeitet. «Die Massnahmen dienen dazu, den Kulturwandel zu beschleunigen und die Armee zu einem Ort werden zu lassen, an dem ein vertrauensvolles, verlässliches und respektvolles Miteinander sichergestellt ist», teilt die Armee mit. Der Plan setzt vor allem auf Prävention und Sensibilisierung. Es soll aber auch ein Reporting für Fälle aufgebaut werden.

Ob die Massnahmen im Alltag Wirkung zeigen, will die Armee selbst überprüfen. Im zweiten Halbjahr 2026 ist eine erste Zwischenevaluation geplant. 2027 soll dann erneut eine Umfrage zu sexualisierter Gewalt unter Armeeangehörigen durchgeführt werden.