Türkischer Literaturnobelpreisträger zum 2. Mal verklagtAnklage gegen Orhan Pamuk
Ein Gericht in Istanbul will dem Literaturnobelpreisträger wegen «Beleidigung des Republikgründers» den Prozess machen.
Der neue Vorsitzende des deutschen Ablegers der Schriftstellervereinigung PEN kommentierte die Nachricht aus Istanbul auf die ihm eigene sarkastische Weise: «Als Präsident des @PEN_Deutschland begrüsse ich es, dass der türkische Staat Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk auf jene Weise ehrt, mit der dieses Land traditionell seine klügsten und originellsten Köpfe auszeichnet: mit einem neuen Strafverfahren», twitterte am Mittwoch Deniz Yücel, der von Februar 2017 an selbst fast ein Jahr nahe Istanbul in Untersuchungshaft sass. Während Yücel für Verbreitung von Terrorpropaganda in journalistischen Texten angeklagt war, soll Orhan Pamuk nun wegen einer literarischen Arbeit der Prozess gemacht werden: Ein Amtsgericht in Istanbul wies am Dienstag die Staatsanwaltschaft an, eine Anklage gegen Pamuk wegen Beleidigung des Republikgründers Kemal Atatürk und der türkischen Flagge zu erstellen.
In «Nächte der Pest» habe Pamuk mit der Figur des Offiziers Kamil eine Karikatur des zuvor Mustafa Kemal heissenden ersten Präsidenten der Türkei gezeichnet und ihn obendrein eine lächerliche Fahne mit griechischem Symbol schwenken lassen: Diese Lesart des Romans führte bei seinem Erscheinen auf Türkisch im Frühjahr schon zu heftigen Angriffen durch regierungsnahe Medien. Ein Anwalt aus Izmir erstattete Anzeige, die zunächst abgewiesen wurde. Eine zweite Instanz ordnete nun ein Verfahren an.
Schon zum 2. Mal angeklagt
«Orhan Pamuk ist ein Schriftsteller, der unsere gemeinsamen Werte angreift», sagte der klagende Anwalt dem «Tagesspiegel». Pamuk, dessen neuer Roman Anfang 2022 auf Englisch und Deutsch veröffentlicht werden soll, wollte sich bislang nicht äussern. Der Prozess könnte noch in diesem Jahr starten; für Pamuk wird es das zweite Mal sein, dass er sich für seine publizistische Tätigkeit verteidigen muss: 2005 war er wegen «öffentlicher Herabsetzung des Türkentums» angeklagt worden, nachdem er sich in einem Interview zu seinem Roman «Schnee» zum Genozid an den Armeniern geäussert hatte. Das Verfahren wurde eingestellt, ein Jahr später erhielt Pamuk den Literaturnobelpreis.
Dass der Vorgang international als Farce wahrgenommen wurde, hielt die türkische Justiz nicht davon ab, weitere Prozesse gegen Urheber fiktionaler Werke anzustrengen. 2016 etwa wurde die heute in Berlin lebende Schriftstellerin Aslı Erdoğan angeklagt, in literarischen Texten «Terrorpropaganda» zu betreiben; im Juni dieses Jahres hob ein Gericht einen zwischenzeitlichen Freispruch wieder auf.
Fehler gefunden?Jetzt melden.