Angeklagter gesteht Mord an slowakischem Journalisten
Überraschendes Geständnis im Gerichtssaal: Ein mutmasslicher Auftragsmörder gesteht, Jan Kuciak und dessen Verlobte erschossen zu haben.
Ursprünglich hatten sie den Investigativjournalisten Jan Kuciak entführen sollen, seine Leiche sollte irgendwo verschwinden. «Aber das ist doch heutzutage unrealistisch», sagte der Auftragsmörder am Montag am Spezialstrafgerichtshof in Pezinok bei Bratislava aus. Allein schon wegen der vielen Kameras überall. Und wenn sie dann die Polizei anhalte und eine Leiche im Kofferraum finde: «Wie soll man das erklären?» Über sein Opfer habe er nichts gewusst, nur dass «er etwas schreibt, das er nicht schreiben sollte».
Am Abend des 21. Februar 2018 hatte Jan Kuciak in Velka Maca seinem Mörder die Tür geöffnet. Der erschoss ihn noch auf der Schwelle. Unerwartet für den Mörder tauchte dann die ebenfalls 27-jährige Verlobte Kuciaks auf. Der Täter folgte ihr in die Küche und erschoss auch sie.
Seitdem hat sich die Slowakei verändert. Bei den Parlamentswahlen am 29. Februar könnten neue Parteien gewinnen, mit Kandidaten, die noch keine Berufspolitiker sind. Der Prozess, der am Montag begonnen hat, kann den neuen, liberalen Strömungen nochmals Aufwind geben. Vor Gericht stehen eine Frau und drei Männer. Darunter der Unternehmer Marian Kocners. Er soll den Mord in Auftrag gegeben haben.
Schon bald nach der Tat führten die Spuren zu ihm. Kuciak hatte umfassend in Kocners Universum recherchiert, in dem Steuerhinterziehung in Millionenhöhe noch zu den kleineren Sünden zählt. Kocners hatte dem Journalisten gedroht, der hatte die Polizei um Hilfe gebeten, aber keine erhalten.
Penible To-do-Listen zeigen, wie Kocner den Staat unterwandert hatte
Noch aus dem Gefängnis heraus gab Marian Kocner seinen Vertrauten genaue Anweisungen. Penible To-do-Listen schickte er etwa an einen früheren Mitarbeiter des Slowakischen Nachrichtendienstes SIS. Kocner hatte lange mit ihm zusammengearbeitet. Die handschriftlichen Zettel, welche die Tageszeitung Denník N veröffentlicht hat, zeigen erneut, wie der 56-jährige Geschäftsmann den Staat unterwandert hatte. Er behandelte Politiker, Beamte, Staatsanwälte und Geheimdienstler teils wie seine Angestellten. Sein Netz aus Betrug, Korruption und Erpressung reichte bis in höchste Kreise – und Kocner fühlte sich offensichtlich unverwundbar. Er genoss nicht zuletzt den Schutz des damaligen Premiers Robert Fico.
Allen Angeklagten droht eine lebenslängliche Haftstrafe – nach slowakischem Recht können Verurteilte erst nach 25 Jahren, statt nach 15 wie in Deutschland, zur Bewährung frei kommen. Kocner muss sich gleichzeitig in einem weiteren Prozess wegen gefälschter Wechsel im Wert von 69 Millionen Euro verantworten – der Fall liegt Jahrzehnte zurück. Allein dafür drohen ihm bis zu zwölf Jahre Haft.
Ein weiterer Angeklagter wurde bereits zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er hatte gegen Bezahlung die beiden mutmasslichen Mörder vermittelt. Weil er in der Untersuchungshaft umfassend ausgesagt hatte, bekam er eine Kronzeugenregelung.
Die Anwälte Kocners und seiner Vertrauten Zsuzsova zogen die Aussagen des Kronzeugen vor Gericht in Zweifel. Die Anklagen seien «absolut unbegründet» und zudem unter dem Druck der Presse entstanden. Tatsächlich erklärte der geständige Mörder, mit beiden nichts zu tun gehabt zu haben. Er kenne Kocner nur aus dem Fernsehen.
Slowakische Medien veröffentlichten fast jedes Detail aus den Ermittlungen
Könnte Kocner also wieder davonkommen? Die Beweislast erscheint erdrückend, und zu viel ist schon bekannt. Die slowakischen Medien haben fast jedes Detail aus den Ermittlungen veröffentlicht. Die Mutter der ermordeten Martina Kusnirova selbst wollte, dass alles ans Tageslicht kommt und nichts mehr versteckt wird. Dass die Prozesse nun überhaupt stattfinden, ist auch ein Erfolg der slowakischen Journalisten. Matus Kostolny, Chefredakteur der Tageszeitung Dennik N gibt sich bescheiden: «Dass Kocner jetzt vor Gericht steht, ist das Verdienst der Ermittler, die ausreichend Beweise gegen ihn gesammelt haben», sagt er.
Allerdings, fügt er hinzu, «dass die Ermittler unabhängig und ungehindert arbeiten konnten, ist das Verdienst der Medien und der Leute, die demonstriert haben.» Mit der Masse an Informationen, die allein Dennik N veröffentlicht habe, habe man sicherstellen wollen, dass nichts verloren gehe. «Und dass niemand zum Schweigen gebracht oder ausgetauscht wird.»
Ähnlich ging auch die Online-Zeitung aktuality.sk vor, für die Kuciak gearbeitet hatte. «Seit dem Mord hat sich die Öffentlichkeit polarisiert», sagte seine Kollegin Laura Kellöova, die aus dem Gericht berichtet. «Die einen lieben uns und zahlen jetzt auch gern für Medien.» Andere reagierten mit schierem Hass. «Sie wünschen uns allen das gleiche Schicksal wie Jan.»
Für Kellöova wäre Kocners Verurteilung allerdings nur ein Teilerfolg. So hatte Kuciak auch über die Geschäfte der ‹Ndrangheta in der Ostslowakei recherchiert. Es ging um EU-Subventionsbetrug in Millionenhöhe und um Landraub. Eine Spur führte zu Ex-Premier Fico. Der weist alle Verbindungen zurück – und tritt mit seiner Partei Smer SD wieder zu den Wahlen an.
Der Prozess gegen Kocner zeigt, dass Polizei und Justiz funktionieren. Auch die Zettel aus dem Gefängnis sind, so gruselig ihr Inhalt ist, eine gute Nachricht. Denn Kocners jahrzehntelanger Vertrauter liess seinen Boss im Stich. Er ging zur Polizei und händigte ihr die teils verschlüsselt formulierten Nachrichten aus. Kocner, der seit Juni 2018 im Gefängnis sitzt, hat seine Macht verloren. Doch wie der Anwalt der Familie Kuciak sagt: «Er ist nicht der einzige Wirtschaftskriminelle» – und vieles liegt noch im Dunkeln.
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