Analyse zum Brian-UrteilEinzelhaft braucht Regeln und Kontrollen
Endlich hat ein Gericht anerkannt, dass die Zürcher Behörden den 28-Jährigen rechtswidrig behandelt haben. Das sollte Anlass sein, die härteste aller Haftformen zu überdenken.
Dieses Urteil war überfällig, und es ist eine Blamage für die Zürcher Justiz. Aber nicht nur für sie. Dreieinhalb Jahre behielten die Behörden Brian, den bekanntesten Gefangenen der Schweiz, in einer verbotenen Haftform – und sämtliche Gerichtsinstanzen sowie der Bundesrat deckten sie. Jetzt macht das Bezirksgericht Dielsdorf endlich klar: «Brian hätte nicht so lang isoliert werden dürfen.»
Brians Einzelhaft dauerte aber nicht nur viel länger als die erlaubten 15 Tage. Sie war auch viel zu rigide. Werden Häftlinge von ihren Mitgefangenen getrennt, müssen die Behörden ihnen mindestens zwei Stunden «meaningful human contact» (sinnvoller menschlicher Kontakt) ermöglichen. Die Essensabgabe durch eine Klappe zählt ebenso wenig dazu wie die Begleitung durch sechs Aufseher in Vollmontur in den betonierten, Stacheldraht-gesicherten Spazierhof.
Das hat gute Gründe. Welche Schäden Einzelhaft verursacht, ist nicht erst bekannt, seit Stefan Zweig in der «Schachnovelle» eindrücklich schilderte, wie ein isolierter Gefangener durchdreht. In Isolation verkümmert der Mensch.
Gefängnisinsassen berichten davon, wie selbst hartgesottene Mörder in Einzelhaft heulend zusammenbrechen. Brians Akten sprechen Bände: Zu lesen ist von Gewaltausbrüchen, nächtelangem Singen, irren Lachanfällen, Selbstgesprächen, Bluthochdruck, Schmerzen.
Niemand hat Zahlen, die Einzelhaft ist eine Blackbox
Doch trotz der gravierenden Folgen, trotz internationaler Vorschriften sitzen in der Schweiz geschätzte 30 bis 40 Personen in Einzelhaft. Wie viele es sind und wie lange sie isoliert bleiben, ist unbekannt. Das Bundesamt für Statistik hat alle möglichen Zahlen zu Haftplätzen, Ausbrüchen, Geschlecht und Alter der Gefangenen – aber nicht zur restriktivsten und schädlichsten aller Haftformen.
Die Einzelhaft ist eine Blackbox. Das Schweizer Strafgesetzbuch präzisiert nicht, wie sie ausgestaltet werden muss. Das ist Sache der Kantone. Hinzu kommt, dass die Betroffenen als verurteilte Straftäter meist keinen Anwalt haben, der sich für sie einsetzt. Die nationale Folterkommission, die die Gefängnisse regelmässig besucht, kann nur allgemeine Empfehlungen abgeben.
Es braucht landesweit gültige Mindeststandards und unabhängige Kontrollen. Und es braucht Alternativen.
Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig.
Spätestens nach dem Urteil vom Mittwoch müssen die kantonalen Behörden ebenso wie der Bund über die Bücher. Es braucht landesweit gültige Mindeststandards für Einzelhaft, die sich an den internationalen Konventionen orientieren. Es braucht unabhängige Kontrolleure, die mehr dürfen als nur Berichte schreiben.
Und es braucht dringend Alternativen zur Einzelhaft. Begründet wird diese ja mit der Gefährlichkeit der betroffenen Häftlinge. Das ist ernst zu nehmen.
Gefängnisse haben auch eine Fürsorgepflicht ihrem Personal und den Mitgefangenen gegenüber. Niemand soll sich Drohungen anhören müssen wie «ich reisse euren Kindern die Herzen aus». Niemand muss sich anspucken, mit Urin bewerfen und beissen lassen.
Aber das ist gerade kein Argument für eine immer restriktivere Einzelhaft. Schon gar nicht, wenn sie offenkundig das renitente Verhalten noch verstärkt. Die Fürsorgepflicht gilt auch für Menschen wie Brian.
Alternative Ansätze brauchen Mut, und manchmal kosten sie Geld. Aber sie sind möglich. Brian verhielt sich kooperativ, sobald er ins Gefängnis Zürich in den Gruppenvollzug wechseln konnte. Für die Zürcher Parkhausmörderin Caroline H. hat man in der Strafanstalt Hindelbank eigens einen Werkstattbereich mit Gitter abgetrennt, um ihr Kontakt zu den Mitgefangenen zu ermöglichen.
So geht humaner Strafvollzug. Alles andere ist eine Schande.
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