Pro & Kontra im Fall KnöppelAlternativer Club bucht Band wegen pöbelnder Fans nicht: Ist das okay?
Die Schweizer Kult-Punkband Knöppel soll nicht mehr in der St. Galler Grabenhalle auftreten, weil sie schwierige Fans habe und nicht «progressiv» genug sei. Was davon zu halten ist.
Die Band Knöppel sollte im Herbst ihr neues Album «Sex, Jazz, Scheisse» in der Grabenhalle St. Gallen vorstellen. Doch das alternative Lokal verzichtet auf den Auftritt, weil es laut der Betriebskommission Erfahrungsberichte von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vom letzten Auftritt gibt, wonach das vorwiegend männliche Publikum und die Texte der Band als sexistisch wahrgenommen wurden. Die Band selber nimmt die Entscheidung locker, dennoch wirft der Fall bei Fans und Medien Fragen auf. So sehen wir die Angelegenheit:
Pro: Genauer hinhören, bitte!
Die Punkband Knöppel soll also bis auf weiteres nicht mehr in der Grabenhalle auftreten: weil das Publikum der Band den Veranstaltern beim letzten Auftritt als eine «pöbelnde, unkontrollierbare Masse» in Erinnerung blieb. Nun könnte man einwenden: Das ist halt die Punkattitüde – und Knöppel machen Punkmusik. Der Fall ist allerdings komplizierter. Zwar kommt es an einem Knöppel-Konzert vor, dass das Publikum inbrünstig zu Zeilen wie «Ich han die gern, au wenn du d Periode hesch» mitbrüllt. Oder lauthals in den Refrain «Hüt wird ona-ona-onaniert!» einstimmt.
Wer genauer hinhört, merkt jedoch, dass dahinter lyrischer Witz steckt, dass zwar oft von Sex die Rede ist, aber dass es um das Gegenteil geht: ums Nicht-Sex-Haben. Ironische Songs über Männer als vermeintliche Potenzmonster, die sich als Verlierer entpuppen. Es ist wie beim Song «Die Tütsche sind blöd», mit dem sich Knöppel-Bandleader Daniel Mittag einst für den Eurovision Song Contest bewarb: auf den ersten Blick primitiv, auf den zweiten entlarvend.
Und das – nicht das ausgefallene Konzert – ist das Interessante am Fall: Im Überbiss des grassierenden Kulturkampfs (man ist entweder woke oder halt anti-woke) gehen solche Feinheiten bezeichnenderweise unter. Dabei ist doch gerade der moralische Graubereich in der Kunst besonders spannend.
Natürlich ist dem Veranstalter überlassen, eine Band zu buchen oder eben nicht zu buchen. Das Argument, Knöppel sei in der Auseinandersetzung mit Männlichkeit zu wenig progressiv, ist angesichts des harmlosen Restprogramms der Grabenhalle indes fadenscheinig. Dass man keine übergriffigen Besucher möchte, denen die Knöppel-Ironie entgeht, ist klar – doch das Problem liesse sich etwa über Hinweise und eine strengere Türpolitik anpacken, wenn man denn wollen würde.
Kontra: Herunterkühlen, bitte!
Viel lieber als einen Kontra-Text zu verfassen und mich als Verfechter einer keimfreien Kultur aufzuspielen, möchte ich hier zur Deeskalation aufrufen. Wir befinden uns gerade in einer Zeit, in der die Empörung Hochkonjunktur feiert. Und zwar in der ganzen Breite des ideologischen Spektrums. Das beginnt langsam zu nerven. Also: Wir haben hier eine Mannenband, die sehr gerne über das eigene Geschlechtsgehänge singt und die Romantik eines chronisch betrunkenen Frauennichtverstehers ironisch zu brechen trachtet. Eine Band also, die das musikalische Äquivalent zum Bierfurz in die Weihen der Kunst erhoben hat.
Und weil diese Band aus ehrenwerten Herrschaften aus der subversiven Subkultur besteht, darf dazu ohne schlechtes Gewissen auch mal etwas bierselig ausgeflippt werden, sofern man ebenfalls dieser subversiven Subkultur angehört. So weit, so gut.
Auf der anderen Seite ist da die Grabenhalle, wo man im Kollektiv entschieden hat, die Band vorläufig eher nicht mehr zu buchen, weil man sie nicht besonders lustig findet und weil man bei früheren Auftritten befand, dass die Sache mit dem Besoffen- und Primitivsein etwas allzu sehr aufs Publikum übergesprungen sei.
Und was geschieht nun in unserer empörungsfreudigen Schweiz? In regionalen und sozialen Medien wird umgehend die Keule der Cancel-Culture geschwungen, es wird von «Auftrittsverbot» gefaselt und die Kunstfreiheit infrage gestellt. Könnte man nicht einfach konstatieren, dass die Welt und der Humor – ganz ohne ideologischen Seitenwind – im permanenten Wandel sind? Dass der Herrenwitz zwischenzeitlich genauso aus der Mode kommen darf wie der Pöbelpunk und der Bierfurz? Dass das Team der Grabenhalle für einmal aus dem sonst recht monoton gewordenen Gutfind-Kanon der Schweizer Indie-Szene ausschert, ist kein Anlass, eine neue Wokeness-Debatte zu lancieren. Einigen wir uns doch darauf: Es ist eine Frage des Geschmacks.
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