Der Boxkampf des Jahrhunderts«Ali, töte ihn!»
50 Jahre «Rumble in the Jungle»: Am 30. Oktober 1974 schlägt Muhammad Ali den grossen Rivalen George Foreman in Kinshasa nieder. Erinnerungen an das Gigantenduell.
Ali redet, weil es für ihn anders nicht geht. Darum redet er auf George Foreman ein, als er ihm vor dem Kampf im Ring gegenübersteht. «George», sagt er, «du hast keine Kraft, du schlägst nicht hart.» Ali brüllt mehr, als dass er redet, George steht regungslos da.
Sechs Wochen sind Muhammad Ali und George Foreman zu dieser Zeit schon in Kinshasa, der Hauptstadt eines Landes, das damals noch Zaire heisst und nicht Demokratische Republik Kongo. Zaire ist seit neun Jahren schon in den Händen von Mobutu Sese Seko, er lässt seine politischen Gegner hinrichten, vorzugsweise im riesigen Stade du 20 Mai, in dem Ali und Foreman um den WM-Titel im Schwergewichtsboxen kämpfen.
Der Boden in den Katakomben unter dem Ring sei blutbefleckt, erzählt Norman Mailer, das Blut sei weggewaschen worden. Mailer, ein grosser Schriftsteller und Journalist, ist an diesem 30. Oktober 1974 vor Ort, und er wird später eine wichtige Stimme für Leon Gast sein, als der seine Oscar-gekrönte Dokumentation «When We Were Kings» über dieses Ereignis in Zaire veröffentlicht.
Die Naturgewalt Foreman
4.30 Uhr morgens beginnt der Kampf, es ist heiss, noch immer 30 Grad, und feucht, 90 Prozent beträgt die Luftfeuchtigkeit. Die Welt schaut zu, weil bei Ali die Welt immer zuschaut, wenn er in den Ring steigt, und jetzt steht er einem Boxer gegenüber, der selbst Sandsäcke kaputtschlagen kann. Foreman hat bis dahin alle Gegner besiegt, 40 sind es gewesen, die meisten sind k.o. gegangen, die letzten acht vor dieser Nacht in Kinshasa spätestens in der zweiten Runde.
Foreman ist eine Naturgewalt, aber er verkörpert auch das Bild des dumpfen Schlägers, er ist der frühere Kleinkriminelle aus einem Ghetto, zu der Zeit ohne jedes Charisma. In Kinshasa begeht er den Fehler, mit einem Belgischen Schäferhund aufzutreten, denn das Land hat schreckliche Erinnerungen an die Kolonialherrschaft Belgiens.
Ali dagegen nimmt die Menschen vom ersten Tag an für sich ein. Wenn er im feuchten Kongo-Delta zum Joggen auf die Strassen geht, rennen Hunderte mit ihm mit, «Ali, boma ye!» wird zum Schlachtruf seiner Fans, Ali, töte ihn! Und Ali erzählt in den Wochen vor dem Kampf viel.
Einmal sagt er: «Ich habe Neues für diesen Kampf gemacht. Ich habe mit einem Alligator gerungen, mit einem Wal gerauft, dem Blitz Handschellen angelegt und den Donner eingekerkert. Ich bin böse. Ich bin so gemein, dass ich selbst Medizin krank mache. Letzte Woche drückte ich den Lichtschalter in meinem Zimmer und war im Bett, bevor es dunkel war. Ich bin so schnell, dass ich durch einen Hurrikan laufen kann, ohne nass zu werden.»
Das ist Ali, aber nicht nur, er ist auch der grosse politische Kämpfer und verweigert den Vietnamkrieg, weshalb er von 1967 bis 1970 nicht mehr boxen darf. Er will nicht mehr Cassius Clay heissen, weil das ein Sklavenname sei, er tritt zum Islam über und nennt sich von da an Muhammad Ali.
Die Angst in Alis Augen
«Rumble in the Jungle» heisst der Kampf. Der Amerikaner Don King hat ihn als Promoter möglich gemacht und in Mobutu einen Diktator gefunden, der glaubt, mit diesem Poltern im Dschungel seinem Land zu internationalem Ansehen zu verhelfen. Je fünf Millionen Dollar kassieren die beiden Boxer, steuerfrei.
Foreman ist der klare Favorit, er hat zuletzt mit Joe Frazier und Ken Norton die beiden Boxer nach zwei Runden aus dem Ring geprügelt, gegen die Ali zuvor verloren hat. In der ersten Runde ist Ali noch mutig, er greift an und trifft Foreman immer wieder. Nach drei Minuten geht er in die Ecke, er sitzt da mit aufgerissenen Augen, und Norman Mailer wird noch über zwanzig Jahre später sagen: «Es ist das einzige Mal, in dem ich Angst in seinen Augen gesehen habe. Er sah aus, als würde er in sich selbst schauen und sich fragen: Ist das jetzt der Moment? Ist das die Stunde X?»
Ali steht einem Mann gegenüber, den er nicht dominieren kann, der härter schlägt als er, der keine Angst vor ihm hat, einem Mann, der entschlossen und unaufhaltsam ist. Oder wie es Mailer sagt: «Er ist dem Albtraum im Ring begegnet.»
Und was macht Ali? Er erhebt sich von seinem Hocker, reisst den rechten Arm hoch und beginnt «Ali, boma ye!» zu rufen, und die 100’000, die im Stadion sind, schreien mit ihm. Zumindest tönt es so intensiv und laut, als würden alle 100’000 schreien.
Ab Runde 2 hängt sich Ali in die Seile, hält die Arme hoch und lässt Foreman auf seinen Körper prügeln. Er steckt Schlag um Schlag weg und hat noch immer die Zeit, den Gegner zu reizen. «George, du enttäuschst mich», ruft er ihm zu, «George, du schlägst nicht so hart, wie ich dachte, George, du hast keine Kraft.» Ali will, dass Foreman seine Kraft verliert, darum lässt er ihn austoben. Und Foreman verliert sie, weil er längst nicht mehr gewohnt ist, mehr als fünf Runden kämpfen zu müssen. Bei zwei der drei Kampfrichter liegt Ali verblüffenderweise vorne, als die achte Runde beginnt. Die Schläge von Foreman kommen noch immer, aber sie sind inzwischen kraftlos und ungenau, mehr verzweifelte als gezielte Versuche, Ali wirkungsvoll zu treffen.
2:40 Minuten sind vorbei, als Ali aus den Seilen kommt und loslegt, ein paar Kombinationen, links-rechts, ein paar erste Treffer – bis zu dieser vernichtenden Rechten an die Schläfe. Foreman kann sie nicht mehr wegstecken. Ali hält seine Rechte im Anschlag, zum Nachsetzen bereit, aber er muss es nicht mehr. Der Koloss taumelt und geht zu Boden, Ali steht da, als würde er über ihm thronen. Sein Trainer Angelo Dundee sagt: «Ali hat dem Fall dieses Kolosses mit dem ausgelassenen Schlag seine dramaturgische Schönheit gelassen.»
Ali hat Foreman nicht getötet, er hat ihn nur schwer geschlagen.
Wenig später wendet sich Ali an die Welt. Er verhöhnt Foreman («Er hat geschlagen wie eine Memme»), er preist sich («Ich bin der Grösste aller Zeiten!») und redet ganz viel von Allah: «Ich bewies, Allah ist Gott. Er liebt mich als Botschafter. Allah hat die Macht über alles. Wenn du an ihn glaubst, schaut selbst George Foreman wie ein Baby aus.»
Sieben Jahre kämpfte Ali noch weiter, zehn Jahre nach Kinshasa wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert. 2016 starb er, 74-jährig.
Foreman verfiel nach der Niederlage in Selbstzweifel. Er wurde Pfarrer, bis ihm langsam das Geld ausging und er darum wieder zu boxen begann. 1994, mit 45, wurde er nochmals Weltmeister. In den letzten Jahren hat er im Grillgeschäft Millionen von Dollar verdient.
Der Text ist im Rahmen unserer Serie «Ewige Momente» zu einem früheren Zeitpunkt bereits erschienen. Zu Ehren des 50-jährigen Jubiläums des Boxkampfs haben wir ihn für Sie leicht angepasst.
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