Tötungsdelikt in KanadaAcht Mädchen im Teenageralter stechen Mann nieder
Eine Gruppe von 13- bis 16-jährigen Mädchen steht in Kanada unter Mordverdacht. Sie hatten sich in den sozialen Medien kennengelernt und am Tag der Tat womöglich zum ersten Mal getroffen.
Acht Teenagerinnen werden in Kanada beschuldigt, einen 59-jährigen Mann in der Innenstadt von Toronto niedergestochen zu haben. Die Mädchen im Alter von 13 bis 16 Jahren sollen über soziale Medien Kontakt miteinander aufgenommen haben und sind sich möglicherweise vor der Tat nie persönlich begegnet.
Die mutmasslichen Täterinnen wurden in der Nähe des Tatorts festgenommen und müssen sich wegen Totschlags vor Gericht verantworten.
«Ich kann mich nicht an einen Fall erinnern, bei dem acht junge Mädchen in eine solche Gewalttat verwickelt waren», sagte Terry Browne von der Mordkommission bei einer Pressekonferenz. Den Ermittlungen zufolge hätten die Jugendlichen den Mann am Sonntagmorgen in der Nähe des Hauptbahnhofs umzingelt und angegriffen, nachdem sie in eine Auseinandersetzung geraten waren. Der Mann starb nach der Attacke im Spital.
Mädchen womöglich in weitere Vorfälle verwickelt
Die acht Mädchen lernten sich nach Angaben der Polizei in sozialen Netzwerken kennen. «Sie kommen aus unterschiedlichen Teilen der Stadt», sagte Browne. «Wir wissen nicht, wie oder warum sie sich an dem Abend getroffen haben und warum das Ziel die Innenstadt von Toronto war. Wir wissen nicht, wie lange sie einander kannten. Ich würde sie zu diesem Zeitpunkt daher nicht als Gang beschreiben.»
Laut Browne wurde bei den Mädchen eine Reihe von Waffen sichergestellt. Er äusserte sich aber nicht dazu, worum es sich dabei handelte. Drei der Mädchen hätten schon früher Begegnungen mit der Polizei gehabt.
Die Polizei glaubt, dass die Gruppe versucht hatte, einer Begleiterin des Opfers eine Flasche Alkohol zu entwenden. Anschliessend sei die Situation eskaliert. Zudem seien in der Nacht weitere «Schwarmvorfälle» (swarming’ attack) in der Innenstadt sowie am Hauptbahnhof gemeldet worden, bei dem die acht Mädchen mutmasslich beteiligt gewesen sein sollen.
Das sogenannte «Schwärmen», das bei der Tat vom Sonntag stattgefunden haben soll, geht Berichten zufolge auf einen Begriff aus den 90er-Jahren zurück. Damals suchten sich Gruppen aus vornehmlich jungen Männern bei einer Reihe von Vorfällen ihre Opfer wie Ziele aus und umzingelten diese, um sie zu schikanieren.
«Untypisches» Verhalten
Junge Mädchen werden in Kanada nur selten zu Täterinnen bewaffneter Gewalt. «Wenn Mädchen an Gewalttaten beteiligt sind, dann liegen diese Vergehen weit unter dem Niveau, bei dem wir in diesem Fall sprechen», sagt Mohamed Ahmed, Co-Chef der gemeinnützigen Organisation Success Beyond Limits in Toronto, die sich auf die Arbeit mit Jugendlichen spezialisiert hat, gegenüber dem «Toronto Star».
Er habe noch nie erlebt, dass sich Konflikte von Mädchen im Teenageralter in einer solchen Gewalttat manifestierten. «Wenn wir Jugendliche in schwierigen Situationen erleben, sind es normalerweise junge Männer.»
Es sei «untypisch», dass sich Teenagerinnen an Aggressionen beteiligen, die zu einer Anklage wegen Totschlags führten, sagt auch Tracy Vaillancourt, Professorin an der Universität von Ottawa und Mitglied der Forschungsgruppe für psychische Gesundheit und Gewaltprävention bei Kindern, in einem weiteren Bericht des «Toronto Star».
Der Fall verdeutliche ihrer Meinung nach, welchen «Deindividuations-Effekt» eine Gruppe haben könne. «Das bedeutet, dass sich Personen in einer Gruppe nicht so verhalten, wie sie sich normalerweise verhalten würden, wenn sie allein wären», erklärt Vaillancourt. Dies könne zu Impulsivität und Gewalt führen. «In gewisser Weise werden Mitglieder einer Gruppe abgestumpft und desensibilisiert für die Not einer Person und die Schwere einer Tat.»
Angst vor Gewalt nimmt zu
Bei der Tat in Toronto könnte laut Vaillancourt auch eine Rolle gespielt haben, dass das Opfer zu einer Gruppe von gefährdeten Personen gehörte. Der Polizei zufolge lebte der Mann seit einiger Zeit in Notunterkünften Torontos. Der Angriff fand vor einer dieser Unterkünfte statt. Seine Familie habe ihn stark unterstützt, «ich würde ihn also nicht notwendigerweise obdachlos nennen. Vielleicht zuletzt etwas glücklos», sagte Terry Browne von der Mordkommission.
Beim Tötungsdelikt handelt es sich Berichten zufolge bereits um den zweiten Angriff auf eine ungeschützte Person in Toronto innerhalb weniger Wochen. Zudem kam die Nachricht über das Tötungsdelikt nur einen Tag, nachdem fünf Menschen in einem Hochhaus ausserhalb von Toronto von einem 73-jährigen Bewohner niedergeschossen worden waren.
Diese getrennten Verbrechen führen laut der «New York Times» dazu, dass die Angst vor Gewalt in Toronto zunimmt – obschon die Kriminalität in den letzten Jahren laut Polizeiangaben konstant geblieben oder gesunken ist. «Toronto ist eine der sichersten Grossstädte Nordamerikas. Diese Taten schüren jedoch die falsche Wahrnehmung, dass Gewaltverbrechen immer schlimmer werden», sagt Jooyoung Lee, Soziologe und Experte für Kriminalität an der Universität von Toronto, in dem Bericht. «Vor allem der Begriff des ‹Schwärmens› im Fall der acht Mädchen erzeugt dieses Bild, dass man nirgendwo mehr sicher ist.»
Auch Jennifer Silcox, Assistenzprofessorin für Soziologie an der Western University in London, Ontario, warnt in einem Interview mit «CBC» davor, nun in Panik zu verfallen. Es gebe keinen Grund zur Annahme, dass eine solche Gewalttat zum Trend unter jungen Mädchen werde. «Mädchen begehen halb so viele Verbrechen wie Jungen, und die Jugendkriminalität ist seit 20 Jahren rückläufig», so Silcox. Man müsse deshalb von einem seltenen Vorfall ausgehen.
Mädchen bleiben in polizeilichem Gewahrsam
Torontos Stadtpräsident John Tory erklärte, er sei «tief beunruhigt» über das Alter der mutmasslichen Täterinnen und den Gruppencharakter des Angriffs. In einem Statement forderte er eine schnelle Aufklärung des Falls. «Es ist unbedingt erforderlich, dass wir so gut wie möglich herausfinden, was junge Menschen zu einer solchen Tat bewegen kann», heisst es in der Mitteilung.
Die acht Mädchen sind bereits einmal vor Gericht erschienen und bleiben im Gewahrsam. Der nächste Gerichtstermin ist für den 29. Dezember angesetzt.
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