Abstimmung über Ehe für alleKampagne sorgt bei queeren Menschen für messbaren Stress
Ein Forscherteam untersuchte Hunderte LGBTIQ-Menschen während des Ehe-für-alle-Abstimmungskampfs. Die Resultate zeigen, wie verletzlich Minderheiten sein können.
Die Haare belegen es. Queere Menschen, aber auch ihre Angehörigen und Freunde litten im Zusammenhang mit der Abstimmung über die Ehe für alle unter erhöhten Stresswerten. Und zwar auch dann, wenn sie sich selbst nicht als gestresst empfanden.
Haarproben zeigen für die Zeit während des Abstimmungskampfs signifikant höhere Werte für Stresshormone wie Cortisol und Cortison. Das hat ein Forscherteam unter der Leitung der Uni Zürich in Zusammenarbeit mit den Universitäten Princeton und Montreal herausgefunden.
Die erhöhten Werte korrelierten nicht nur mit dem Zeitpunkt, zu dem die Betroffenen erstmals mit den Abstimmungskampagnen in Kontakt kamen. Es zeigte sich auch, dass der Stresshormonpegel desto höher war, je intensiver die Untersuchten der Nein-Kampagne ausgesetzt waren. Am höchsten war der Level bei jenen, die sich selbst engagierten. Demgegenüber war der Stress messbar tiefer, wenn die Probanden hauptsächlich mit der Ja-Kampagne in Kontakt kamen.
Nicht in diesem Ausmass erwartet
Die klaren Resultate sind für die Forschenden bemerkenswert. Sozialpsychologin Léïla Eisner von der Uni Zürich sagt: «Wir haben zwar erhöhte Werte erwartet, aber nicht in diesem Ausmass. Und auch nicht unbedingt bei Freunden und Angehörigen, die selbst nicht queer sind.»
Der in den Haaren gemessene unterschwellige Stress unterscheide sich vom akuten Stress, den wir empfinden, wenn wir beispielsweise kurzzeitig viel Arbeit haben, sagt Eisner. «Die Stressfaktoren, die hier im Spiel sind, haben mit der persönlichen Identität zu tun, sie sind typisch für Menschen aus stigmatisierten Minderheiten.»
Deshalb seien die Resultate auch nicht ohne weiteres auf andere Gruppen übertragbar, die einen intensiven Abstimmungskampf führten oder denen das Resultat einer Volksentscheidung am Herzen liege: «Ob man in seiner Identität betroffen ist oder in seinen politischen Ansichten, ist nicht dasselbe.» Je aggressiver und respektloser die Argumente seien, desto stärker sei vermutlich der Stress.
Das persönliche Gefühl kann täuschen
Die Theorie dahinter heisst «Minority Stress Model». Auch andere Studien deuten auf den Effekt hin. Demnach kann eine politische Kampagne, in der es um Minderheitenrechte geht, erhöhten Stress auslösen. Denn eine solche Diskussion verstärkt erlebte Erfahrungen von Diskriminierung und Stigmatisierung.
Und das kann die Gesundheit gefährden. Ein über längere Zeit erhöhter Cortisol-Spiegel kann zu Depressionen, Schmerzen, Müdigkeit oder Herzproblemen führen. Was die Sache besonders tückisch macht: Direkt spürbar ist ein erhöhter Cortisol-Spiegel nicht. Das persönliche Empfinden kann ganz anders sein, es wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst.
Das zeigte sich auch bei den Probanden der Ehe-für-alle-Studie. Die meisten von ihnen gaben in Fragebogen an, sich wegen der anstehenden Abstimmung nicht besonders gestresst zu fühlen. Es könne gut sein, schreiben die Forschenden, dass die Betroffenen heruntergespielt hätten, was der Abstimmungskampf in ihnen ausgelöst habe. Oder dass sie ein allfälliges Stressempfinden anderen Ursachen zugeschrieben hätten.
Sicher ist, dass das erhöhte Stresslevel langfristig Konsequenzen haben kann. Denn der Körper reagiert auch dann, wenn wir anders empfinden.
Für die Forschenden zeigt die Studie, wie wichtig Fairness und Sachlichkeit in politischen Debatten über Minderheiten sind. «Für die meisten von uns sind Abstimmungskampagnen eine Sache von ein paar Wochen, in der Befürworter und Gegner darauf fokussieren, die Menschen von einem Ja oder einem Nein zu überzeugen», sagt Eisner. «Wir sollten aber auch im Auge behalten, welchen Einfluss und welche Folgeeffekte eine Kampagne auf stigmatisierte Gruppen haben kann.»
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