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14-Jähriger steuerte Unglücksmaschine bei Diavolezza

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Am 4. August 2017 verloren in der Region Diavolezza drei Personen bei einem Absturz ihr Leben, eine 17-Jährige überlebte schwer verletzt. Sie hat den Ermittlern der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle Sust Angaben liefern können, die zur Rekonstruktion des Absturzes beigetragen haben.

So wurde klar, dass der Pilot der Piper eine ungeeignete und risikoreiche Flugroute wählte und ein 14-jähriger Jugendlicher auf dem Sitz neben ihm das Steuer übernommen hatte. Letzteres war im Aviatik-Jugendlager des Aero-Club der Schweiz (AeCS) offenbar so üblich, wie sich nun zeigt. Ab dem Flugplatz Samedan wurden während des Lagers über mehrere Tage «Lufttaufen» geflogen – ein kurzer Rundflug, der das erstmalige Erlebnis des Fliegens vermitteln soll. Im Einsatz standen zwei Maschinen, wobei eine von einem Fluglehrer pilotiert wurde. In der verunglückten Piper sass ein 61-jähriger Mann am Steuerknüppel, der keine Fluglehrerausbildung hatte.

Während der Kennenlernflüge im Laufe der Woche wurde den Jugendlichen angeboten, selber einmal den Steuerknüppel in die Hand zu nehmen, wie dem Abschlussbericht der Sust zu entnehmen ist. Das sprach sich während des Lagers unter den 13- bis 17-jährigen Teilnehmenden herum. Am Morgen des 4. August wusste das auch der 14-Jährige aus der Romandie, der neben dem Piloten vorne rechts in der Piper sass. Auf seine Frage hin durfte er das Steuer dann auch übernehmen, und das «in einer anspruchsvollen Phase» des Fluges, wie es im Sust-Bericht heisst.

Überflug war nicht mehr möglich

Von Samedan gestartet flog die Piper in Richtung Berninapass. Auf Höhe der Talstation der Bernina-Diavolezza Pendelbahn leitete der 14-jährige Passagier auf Anweisung des Piloten eine Linkskurve ein, schreiben die Ermittler. Nach einem Dreiviertelkreis wies der Pilot den Passagier an, in Richtung Diavolezza weiterzufliegen.

Die Piper näherte sich im Steigflug dem Lej da Diavolezza und passierte den Gipfel der Diavolezza auf dessen Ostseite. Die Höhe über Grund betrug zu diesem Zeitpunkt rund 25 Meter, die angezeigte Fluggeschwindigkeit lag bei 63 Knoten. In der Absicht, die Bergstation der Bernina-Diavolezza Pendelbahn zu überfliegen, liess der Pilot den Passagier diesen Kurs beibehalten.

Ein Überflug auf diesem Kurs war von dieser Ausgangshöhe aus aber nicht mehr möglich, heisst es im Sust-Bericht. Nach dem Überfliegen einer Stütze der Sesselbahn in rund 20 Metern Höhe verlor die Piper in einer Rechtskurve an Höhe und unterflog Kabel und Seile, die zur Bergstation der Pendelbahn führten, danach schlug die Maschine in flachen Winkel mit dem rechten Flügel zuerst auf dem Gelände auf.

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«Für mich ist eine Welt zusammengebrochen»: Yves Burkhardt, Generalsekretär Aero-Club der Schweiz, welcher das Aviatik-Lager durchführte.
Das Flugzeug wurde komplett zerstört: Die Absturzstelle im Diavolezza-Gebiet. Der Pilot überliess das Steuer in einer heiklen Flugphase einem 14-jährigen Passagier.
Beim Unglück kamen der Pilot und zwei 14-jährige Passagiere aus der Westschweiz ums Leben, eine 17-Jährige wurde schwer verletzt.

Der 14-Jährige am Steuer, der 61-jährige Pilot und ein 14-jähriger Passagier starben beim Aufprall. Die 17-Jährige, die hinter dem Piloten sass, überlebte das Unglück schwer verletzt.

«Mangelnde Sicherheitsbewusstsein»

Für die Sust ist klar, dass der Unfall, auf eine ungeeignete und risikoreiche Flugtaktik des eigentlich erfahrenen Piloten zurückzuführen ist. Der Entscheid des nicht als Fluglehrer ausgebildeten Piloten, in einer anspruchsvollen Phase die Steuerführung an eine des Fliegens unkundige Person zu übertragen, habe zudem direkt zum Unfall beigetragen, heisst es im Bericht.

Und auch das mangelnde Sicherheitsbewusstsein der Organisatoren, die zuliessen, dass nicht als Fluglehrer qualifizierte Piloten die Flugzeugführung an des Fliegens unkundige Personen überliessen, habe systemisch zum Unfall beigetragen. Die Lufttaufen der Lager-Teilnehmer des JULA 2017 wurde von der Motorfluggruppe Oberengadin (MFGOE) durchgeführt. Seit rund 10 Jahren war der verunfallte Pilot Kontaktmann und Organisator seitens der MFGOE für die Durchführung dieser Rundflüge, so auch im Jahr 2017. Obwohl die Verantwortlichen der MFGOE davon ausgingen, dass es zur Übergabe der Steuerführung kam, wurde dieser Punkt nicht thematisiert.

Keine Mängel am Flugzeug

Das Flugzeug war hingegen in gutem Zustand und wurde zuletzt am 19. Juli 2017 kontrolliert. Auch die Untersuchung ergab keine Anhaltspunkte auf Mängel. Der Pilot hatte alle notwendigen Ausweise und verfügte über Erfahrung mit dem Flugzeugtyp. Die Sust schreibt weiter: Der verunfallte Pilot verfügte mit der Privatpilotenlizenz über die notwendige fliegerische Grundausbildung. Eine weiterführende fliegerische Fortbildung, insbesondere im Gebirgsflug, absolvierte er nicht. Die Untersuchungsstelle wirft dem Piloten zwar mangelndes Risikobewusstsein vor, schreibt aber auch, dass keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Beeinträchtungen während des Fluges vorlägen.

Der Pilot kannte die Region der Diavolezza nicht nur als Pilot, sondern auch als Skilehrer gut. Seine Französischkenntnisse waren zudem ausreichend, um sich in dieser Sprache mit seinen Passagieren aus der Welschschweiz verständigen zu können.

Kritik der Motorfluggruppe

Unklar ist, ob der Pilot noch hätte eingreifen können. Gemäss dem Abschlussbericht beobachtete die überlebende Passagierin, wie der 14-Jährige vorne das Steuer übernahm. Ob der Pilot weiterhin die Hand am Steuer hielt, konnte sie von ihrer Sitzposition aus nicht sehen. Die Flugwegaufzeichnungen anhand der Daten des Kollisionswarngerätes zeigen, dass die Variation der Steigrate ab diesem Zeitpunkt grösser ausfiel als vor der Steuerübergabe, heisst es im Sust-Bericht.

Für die Motorfluggruppe Oberengadin ist der Rückschluss der Sust, dass die Übergabe des Steuers direkt zum Unfall beigetragen habe, deshalb nicht seriös. Im Abschlussbericht heisse es ausdrücklich, dass nicht klar sei, ob der Pilot nicht auch weiterhin noch am Steuer war, sagt Christian Gartmann, Sprecher der MFGOE. «Für die tatsächliche Übergabe der Kontrolle über das Flugzeug gibt es keinen Beweis.» Und: Noch im Mai 2018 habe die Sust in einem Entwurf des Schlussberichts gar festgestellt, dass die Übergabe des Steuers nicht zur Entstehung des Unfalls beigetragen habe. Wieso die Untersuchungsstelle ihre Einschätzung seit dem Entwurf ins genaue Gegenteil geändert habe, sei unklar und überrasche die MFGOE. Die Behörde habe der Motorfluggruppe keine Fragen dazu beantwortet.

Gartmann weist zudem auf die Autopsie des Piloten hin. Die Untersuchung habe ergeben, dass im Blut des 61-Jährigen mit 17 Prozent stark erhöhte Werte an Kohlenmonoxyd gefunden wurden. Diese könnten das Bewusstsein des Piloten beeinträchtigt haben und damit eine Unfallursache sein, sagt der MFGOE-Sprecher. «Medizinische Experten können nicht ausschliessen, dass diese hohe Konzentration an Kohlenmonoxyd den Piloten in seiner Fähigkeit zu fliegen beeinträchtigt haben», erklärt Gartmann. «Dennoch behauptet der Bericht nun, eine Beeinträchtigung durch Kohlenmonoxyd habe nicht vorgelegen. Das ist unsorgfältig.»

Gartmann kannte den 61-Jährigen persönlich und kann sich aus dem Unglück keinen Reim machen. Es habe mehrere Punkte gegeben, an dem der Pilot hätte abdrehen können.

Die Sust hat am Freitag nicht auf Rückfragen von Redaktion Tamedia zum Abschlussbericht geantwortet, um die von der Motorfluggruppe eingebrachten Unklarheiten bezüglich Entwurf und Schlussbericht sowie zu den Blutwerten des Piloten zu erläutern.